Am Ende jedes Monats stellt das SAFE Regulatory Radar eine Auswahl wichtiger Neuigkeiten und Entwicklungen im Bereich der Finanzregulierung auf nationaler und EU-Ebene zusammen.
Crowdfunding-Richtlinie: Neue technische Standards für Dienstleister
Die Europäische Kommission hat ihr Crowdfunding-Regulierungssystem aktualisiert, basierend auf der Verordnung über europäische Crowdfunding-Anbieter für Unternehmen („Regulation on European Crowdfunding Service Providers for Business“, ECSPR). Seit ihrer Einführung am 10. November 2021 soll die Verordnung die Verfügbarkeit von kredit- und investmentbezogenem Crowdfunding sowie den Schutz des Anlegers in der gesamten Europäischen Union erhöhen, indem Standards harmonisiert werden, die es Crowdfunding-Dienstleistern ermöglichen sollen, Risiken effektiv zu managen, klar und fair zu kommunizieren und von den zuständigen nationalen Behörden („National Competent Authorities“, NCAs) angemessen zugelassen und überwacht zu werden. Nun hat die Europäische Kommission beschlossen, die Übergangsfrist der Verordnung zu verlängern und ihre technischen Standards zu präzisieren.
Verlängerung des Übergangszeitraums
Am 12. Juli verabschiedete die EU-Kommission eine delegierte Verordnung, die den Übergangszeitraum für die weitere Erbringung von Crowdfunding-Dienstleistungen im Einklang mit nationalem Recht gemäß Artikel 48 Absatz 1 der ESCPR verlängert. Artikel 48 Absatz 1 gestattete den Crowdfunding-Dienstleisternweiterhin die bestehenden nationalen Vorschriften zu befolgen, zumindest bis zum 10. November 2022 oder bis sie von den zuständigen nationalen Behörden offiziell zugelassen werden – je nachdem, welcher Zeitpunkt früher liegt. Nun schlägt die EU-Kommission vor, die Übergangsfrist um ein Jahr, bis zum 10. November 2023, zu verlängern, um das Risiko von Störungen bei der Erbringung von Crowdfunding-Diensten, insbesondere auf großen Märkten, zu verringern und den Dienstleistern genügend Spielraum für die Umgestaltung ihrer Organisationen, Verfahren und Abläufe einzuräumen, wozu zuvor die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde („European Securities and Markets Authority“, ESMA) riet. Die entworfene Delegierte Verordnung wird derzeit von Europäischem Parlament und Europäischem Rat geprüft und soll spätestens am 11. November 2022 in Kraft treten und angewendet werden.
Festlegung technischer Standards
Neben ausreichender Zeit für die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen, sind auch die Klarheit und Endgültigkeit der verbindlichen Standards bedeutsam. Dem technischen Bericht zufolge neigen die Dienstleister dazu die Anpassung ihrer internen Verfahren und die Beantragung einer Zulassung im Rahmen der ESCPR bis zur endgültigen Verabschiedung der jeweiligen Level 2-Maßnahmen hinauszuzögern. Diese Hürde beseitigte die EU-Kommission am 13. Juli 2022, indem sie Delegierter Verordnungen verabschiedete, denen technische Regulierungsstandards („Regulatory Technical Standards“, RTS) und technische Durchführungsstandards („Implementing Technical Standards“, ITS) der Europäischen Aufsichtsbehörden vorausgingen wie im SAFE Regulatory Radar von November 2021 berichtet. Die nun verabschiedeten neun RTS und vier ITS ist spezifizieren
- die Art und Weise, wie Dienstleister interne Regeln zur Verhinderung, Identifizierung, Verwaltung, Offenlegung und Entschärfung von Interessenskonflikten anwenden, die Ausfallraten von Krediten berechnen, ihren Plan zur Fortführung des Geschäftsbetriebs erstellen, das Hauptinformationsblatt für Investitionen verfassen, Beschwerden bearbeiten, die Prüfung der Einstiegskenntnisse und der Verlusttragfähigkeit für potentielle, nicht erfahrene Investoren durchführen und jedes einzelne Kreditportfolio verwalten, einschließlich der Kreditrisikobewertung, der Offenlegung von Informationen und der Unternehmensführung, und Informationen über finanzierte Projekte an die nationalen Behörden gemeldet werden sollen; und überdies
- wie die national zuständigen Behörden das Verfahren für die Beantragung der Zulassung regeln, Informationen für die Untersuchung, Überwachung und Durchsetzung austauschen, vor und während der Inspektionen zusammenarbeiten und kommunizieren, bei der Zusammenarbeit und einem Informationsaustausch mit der ESMA vorgehen, und die ESMA über die für Crowdfunding-Dienstleister geltenden nationalen Vermarktungsanforderungen informieren sollen.
Die Delegierten Verordnungen werden durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat geprüft und voraussichtlich nicht vor dem vierten Quartal 2022 in Kraft treten.
Finanzmärkte: Investmentfirmen und Versicherungen müssen künftig Nachhaltigkeitsrisiken, -faktoren und -vorlieben bewerten
Ab dem 2. August 2022 müssen Unternehmen, die der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente („Markets in Financial Instruments Directive“, MiFID II) oder der Richtlinie über den Versicherungsvertrieb („Insurance Distribution Directive“, IDD) unterliegen, (a) Nachhaltigkeitsrisiken, (b) Nachhaltigkeitsfaktoren und (c) Nachhaltigkeitspräferenzen in ihrer gesamten Organisation und ihren Geschäftsabläufen bewerten, um Falschverkäufe und „Greenwashing“ zu verhindern.
Wertpapierfirmen und Versicherungsunternehmen und Versicherungsvertreiber müssen den Dreiklang der Nachhaltigkeitskriterien in ihre Betriebsablaufanforderungen integrieren. Das verbindliche Regelwerk verpflichtet den Finanzmarktteilnehmenden
- Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Tätigkeiten, Prozessen und Systemen zu ermitteln, zu reflektieren und zu analysieren und gegebenenfalls eine Risikotoleranz festzulegen, indem angemessene Risikomanagementrichtlinien und -verfahren eingeführt werden, um tatsächliche oder potenzielle substanziell negative Auswirkungen auf den Wert einer Investition zu mindern;
- Nachhaltigkeitsfaktoren zu beschreiben, die bei der Auswahl von Finanzinstrumenten im Rahmen der Anlageberatung eine Rolle spielen, um hierdurch aufzuzeigen, inwieweit Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte, Korruptions- und Bestechungsbekämpfung berücksichtigt wurden und um den regelmäßig zu überprüfenden Zielmarkt und dessen Kunden zu identifizieren; und
- Nachhaltigkeitspräferenzen potenzieller Kunden zu ermitteln, um Interessenskonflikte bei der Anlageberatung zu reduzieren, unangemessene Empfehlungen, Falschdarstellungen und Fehlinvestitionen zu vermeiden. Um Wertpapierfirmen und die nationalen Behörden bei der Erfassung der Nachhaltigkeitspräferenz des Kunden zu unterstützen, wird die ESMA ihre Leitlinien voraussichtlich bis zum Ende des dritten Quartals aktualisieren. Am 20. Juli 2022 veröffentlichte bereits die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen („European Insurance and Occupational Pensions Authority“, EIOPA) einen nicht abgeschlossen und unverbindlichen Leitfaden wie die Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen der in der Versicherungsvertriebsrichtlinie vorgeschriebenen Geeignetheitsprüfung zu bewerten sind.
Die Rolle und Relevanz der Nachhaltigkeitspräferenzen bei Privatinvestitionen, ihre Verbreitung und Stärke für die Unternehmensfinanzierung und die sozial optimale Festlegung von Nachhaltigkeitsstandards ist Thema von SAFE Working Papers No. 346.
Nachhaltige Finanzen: Finanzmarktbeteiligte veröffentlichen Informationen über die wichtigsten Nachteile von Investitionen auf Nachhaltigkeitsfaktoren auf unterschiedliche Weise
Am 28. Juli 2022 veröffentlichte der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden seinen Bericht über den Umfang der freiwilligen Offenlegung der wichtigsten negativen Auswirkungen (JC 2022 35) im Rahmen der Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzierungen („Sustainable Finance Disclosure Regulation“, SFDR). Die delegierte Verordnung (EU) 2022/1288 trat am 14. August 2022 in Kraft, wird ab dem 1. Januar 2023 gelten und führt mehrere RTS ein wie im SAFE Regulatory Radar im April 2022 thematisiert.
Der Bericht, der nun veröffentlicht wird, entspringt der Anforderung des Artikel 18 der SFDR, der EU-Kommission jährlich bewährte Methoden, Empfehlungen für freiwillige Berichtserstattungsstandards und die Auswirkungen der Sorgfaltspflicht auf nachhaltigkeitsbezogene Angaben im Rahmen der SFDR vorzulegen. Artikel 4 Absatz 1 der SFDR verpflichtet die Finanzmarktteilnehmenden entweder zur Begründung, warum er nachteilige Auswirkungen seiner Investitionsentscheidungen auf die Nachhaltigkeitsfaktoren, das heißt „Principal Adverse Impacts“ (PAIs) nicht ermittelt und veröffentlicht, oder Informationen über die Identifizierung und Priorisierung von PAIs, einschließlich Indikatoren und die Einhaltung internationaler Berichtsstandards.
Die Europäischen Aufsichtsbehörden stellen fest, dass die freiwillige Offenlegung von PAIs hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Qualität divergieren, was unter anderem mit schwierigen, unsicheren und unvollständigen rechtlichen Anforderungen, unklaren Methoden sowie nicht verfügbare Daten begründet werden kann. Wenn – in einigen Ländern, vor allem große – Finanzmarktteilnehmende PAIs freiwillig veröffentlichen, lassen sich gute und schlechte Praktiken aus der unterschiedlichen Informationsqualität ableiten. Entsprechend erfüllen Finanzmarktteilnehmende die Anforderungen von Artikel 4 Absatz 1
- in ausreichender Weise, wenn sie Informationen über die verfügbaren Daten, die für jeden PAIs verwendet wurden, über nicht verfügbare und daher nicht berücksichtigte Daten, über die Methodik und über glaubwürdige Dekarbonisierungsziele, einschließlich vor- und nachgelagerter Emissionen sowie Umfang und Zeitplan der Maßnahmen, prominent platziert bereitstellen, und
- in unzureichender Weise, wenn sie PAIs und Nachhaltigkeitsrisiken verwechseln, sich gänzlich weigern, PAIs zu berücksichtigen, obgleich sie ihren Anlageentscheidungen eine positive Auswirkung auf Nachhaltigkeitsfaktoren zuschreiben, und Elemente einbeziehen, die nicht unter Artikel 4 Absatz 1 der SFDR fallen (z.B. Erstellung einer Rangfolge der Gegenparteien anhand ESG-Faktoren).
Angesichts des unterschiedlichen Niveaus und der Qualität der freiwilligen Offenlegung von PAIs empfehlen die Europäischen Aufsichtsbehörden den NCAs, eine Folgeerhebung mit einer repräsentativen Stichprobe von Finanzmarktteilnehmern durchzuführen, um die Aufsicht zu verbessern, Vor-Ort-Prüfungen zu organisieren und den beaufsichtigten Unternehmen zwischenzeitlich zusätzliche Anweisungen zu technischen Aspekten der Offenlegung auf ihrer Webseite geben zu können.
Öffentliche Konsultationen:
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Carl-Georg Luft ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am SAFE Policy Center.