SAFE Finance Blog
04 Jan 2024

Wie Haushalte auf die Vermögenseffekte von Inflation reagieren

Die Inflation wirkt sich auf Einkommen, Ersparnisse und auch die Schulden aus. In deutschen Haushalten scheinen diese Informationen nicht gleichermaßen verbreitet, was zu ungünstigen Finanzentscheidungen führen kann

Bild von Steve Buissinne auf Pixabay; Münzen in Kaliper

Seit 2021 hat Deutschland mit stark steigenden Preisen zu kämpfen. Dies liegt an verschiedenen Gründen wie der höheren Nachfrage durch die Aufhebung von Pandemiebeschränkungen einerseits und Versorgungsengpässen sowie hohen Energiepreisen aufgrund des Angriffs Russlands in der Ukraine andererseits.

Wie können sich so hohe Preisschwankungen auf Haushalte auswirken, insbesondere nach 20 Jahren niedriger Inflation (siehe Abbildung 1)? Unerwartete Inflation hat starke Wohlstandseffekte: Sie mindert den realen Wert von Schulden mit fixierten, nominalen Bedingungen, während sie den realen Wert nominaler Ersparnisse reduziert. Somit führt unerwartete Inflation zu einer Umverteilung des Wohlstands von nominalen Sparer:innen zu Schuldner:innen.

Abbildung 1: Jährliche Veränderungsrate (in Prozent) des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI) in Deutschland, Quelle: Eurostat
Abbildung 1: Jährliche Veränderungsrate (in Prozent) des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI) in Deutschland, Quelle: Eurostat, eigene Darstellung

Wissen über den Erosionskanal der Inflation

In dem kürzlich erschienenen SAFE Working Paper No. 400 haben wir untersucht, wie sich Haushalte der Vermögenseffekte von Inflation bewusst sind und wie sie darauf reagieren. Direkte Erkenntnisse über die Haushalte sind für Personen in Politik und Wirtschaftswissenschaften gleichsam von Bedeutung, da nur wenig darüber bekannt ist, welche Folgen die Vermögensumverteilung aufgrund der Geldpolitik hat. Wir wollen mit einer großen umfragebasierten randomisierten Kontrollstudie (RCT) unter Kund:innen einer großen deutschen Bank einen Beitrag zu dieser Literatur leisten.

Wir zeigen, dass die Haushalte weitgehend über die inflationsbedingten Wertverluste des Nominalvermögens informiert sind, während das Wissen über den Schuldenerosionskanal der Inflation begrenzt ist. Konkret schätzen 75 Prozent der teilnehmenden Bankkund:innen die Auswirkungen eines unerwarteten Inflationsanstiegs auf festverzinsliche Sparprodukte als sehr negativ oder negativ ein. Im Gegensatz dazu halten nur 25 Prozent (9 Prozent) der Befragten die Auswirkungen eines Inflationsanstiegs auf festverzinsliche Kredite für (sehr) positiv (siehe Abbildung 2). Das Bewusstsein für den Erosionskanal korreliert mit verschiedenen Merkmalen, wie zum Beispiel der Berufsausbildung, dem Vermögen, dem Aktienbesitz und dem allgemeinen Wissen über Inflation.

Abbildung 2: Vorwissen über die Vermögenseffekte von Inflation, Quelle: Schnorpfeil et al. 2023.
Abbildung 2: Vorwissen über die Vermögenseffekte von Inflation, Quelle: Schnorpfeil et al. 2023, eigene Darstellung.

Konsumentscheidungen in Zeiten hoher Inflation

Wie wirken sich die Informationen über den Erosionskanal der Inflation auf die Überzeugungen und ökonomischen Entscheidungen von Haushalten aus? In dem Informationsexperiment erhält die Kontrollgruppe nur Informationen über die aktuelle Inflationsrate, während die Behandlungsgruppe zusätzlich Informationen über den Wertverlust von Ersparnissen oder von Schulden erhält.

Teilnehmende, die über die Schuldenerosion informiert werden, waren Schulden weniger abgeneigt und erhöhen ihre Schätzungen des realen Nettovermögens um 2,5 bis 2,9 Prozentpunkte im Vergleich zur Kontrollgruppe. Dieser positive Effekt auf das Vermögen wird von Nettoschuldner:innen getragen. Diese sind stärker von der Schuldenerosion betroffen. Das Wissen um die Erosion der Ersparnisse führt zu niedrigeren Schätzungen des realen Nettovermögens, jedoch in geringerem Ausmaß als bei der Schuldenerosion. Mit den Kenntnissen über die Schuldenerosion erhöhen die Haushalte auch geplante und tatsächliche Ausgaben und präferieren ein höheres Schulden-Preis-Verhältnis bei einer hypothetischen Immobilientransaktion.

Forderung nach besserer finanzieller Bildung insbesondere der ärmeren Haushalte

Die Ergebnisse der Studie deuten auf suboptimale Verschuldungsentscheidungen auf individueller Ebene hin, da ein Großteil der befragten Personen zunächst nicht über die Schuldenerosion durch die unerwartete Inflation informiert war. Darüber hinaus sind wohlhabendere, besser gebildete Befragte mehr über die inflationsbedingte nominale Positionserosion informiert, was eine gegenläufige Umverteilung von Vermögen von weniger informierten zu besser informierten Haushalten nahe legt.

Diese Ergebnisse erfordern politisches Handeln. Eine konkrete Maßnahme wären Informationskampagnen für Kreditgebende. Hypothekenberater:innen könnten in Gesprächen mit (potenziellen) Kreditnehmer:innen den inflationsbedingten Wertverlust von Festzinskrediten erläutern. Dieser Ansatz ist auch vorteilhaft für Kreditgebende, da das Wissen um die Schuldenerosion die Attraktivität von Krediten erhöhen dürfte. Die Hypothekenberater der Bank, die bei diesem Projekt mit uns zusammengearbeitet haben, planen, die Schuldenerosion in Gesprächen mit (potenzieller) Kundschaft häufiger zu erwähnen.

Generell unterstreichen die Ergebnisse dieser Studie die Bedeutung von Maßnahmen, die die finanzielle Allgemeinbildung fördern. Erste allgemeine Schritte wurden kürzlich auf europäischer und nationaler Ebene unternommen. Im Rahmen des Aktionsplans zur Kapitalmarktunion 2020 haben die Europäische Kommission und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD einen Rahmen für die finanzielle Allgemeinbildung von Erwachsenen entwickelt. Dieser Rahmen soll eine konzeptionelle Grundlage für die Entwicklung nationaler Finanzbildungsstrategien, die Gestaltung von Finanzbildungsprogrammen und Lernmaterialien sowie deren Evaluierung bieten.  Als einziges G20-Land ohne eigene Finanzbildungsstrategie hat die deutsche Bundesregierung im April 2023 ihre Initiative angekündigt. Sie will in Zusammenarbeit mit der OECD eine Strategie zur Finanzbildung entwickeln, eine Plattform zur Vernetzung bestehender Programme schaffen und die Forschung stärken.


Philip Schnorpfeil ist Postdoktorand an der Goethe-Universität Frankfurt und Empfänger des Lamfalussy-Forschungsstipendiums 2022-23 der Europäischen Zentralbank.

Andreas Hackethal ist Senior Researcher and Koordinator des Pension Finance Lab bei SAFE und Professor für Finanzen der Goethe-Universität Frankfurt.

Michael Weber is Associate Professor of Finance an der University of Chicago.

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autoren:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.