Ende der vergangenen Woche hat Mario Draghi, der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) das Bundesverdienstkreuz erhalten – die höchste Anerkennung, die die Bundesrepublik für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht.
Bei der Ordensverleihung im Schloss Bellevue hob Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Verdienste Draghis hervor. Dieser habe dem vereinten Europa mit „Herz und Hand“ gedient, den Euro und die Europäische Union in schwierigen Zeiten zusammengehalten und so Deutschland einen großen Dienst erwiesen.
Weniger freundlich waren im Vergleich viele Kommentare aus Politik und Medien, die zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Mario Draghi zu lesen waren. „Es ist nicht nachvollziehbar, für welche Verdienste Mario Draghi das Bundesverdienstkreuz erhält“, erklärte zum Beispiel Florian Toncar , der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Die Politik der EZB ziehe die Altersversorge in Mitleidenschaft, außerdem seien die Risiken für die Stabilität des Bankensektors vergrößert worden. Auch aus der Union gab es Kritik: Man müsse sich vor Augen führen, dass mit Draghi nun ausgerechnet der Mann ausgezeichnet werde, der mit seiner Zinspolitik seit Jahren für eine Art schleichender Enteignung für jene stehe, die vorausschauend zurückgelegt und für das Alter investiert hätten, ließ sich CSU-Generalsekretär Markus Blume zitieren. Draghi habe „fleißige Sparer in Deutschland um viele Milliarden gebracht“, allein im Jahr 2020 betrage der Schaden mehr als 24,5 Milliarden Euro, hieß es in der Bild-Zeitung.
Was ist von dieser Kritik zu halten? Mario Draghi ist zweifellos eine Führungspersönlichkeit mit starker wissenschaftlicher Expertise. In der Eurokrise, die eine große Bedrohung gerade für den deutschen Sparer war, hat er Haltung bewiesen und die richtigen Worte gefunden, um das Vertrauen in den Euro zu erhalten. Er hinterlässt eine handlungsfähige EZB, finanziell und intellektuell, die nun aus dem Krisenmodus in einen neuen Normalbetrieb umsteuern muss.
Aber hat Draghi die niedrigen Zinsen zu verantworten? Die Vorwürfe, die EZB sei mit ihrer Politik der vergangenen Jahre dafür verantwortlich, gehen in die Irre. Für den Sparer zählt, was er sich für sein Geld in der Zukunft tatsächlich kaufen kann. Hierüber sagen die Sparzinsen nach Abzug der Inflation etwas aus: das sind die Realzinsen. Auf deren Höhe hat die EZB nach überwiegender Meinung der Wissenschaft aber kaum einen nachhaltigen Einfluss. Die Niedrigzinsen, die wir heute erleben, haben demnach viele Ursachen – wie die zunehmende Alterung der Bevölkerung oder der technologische Wandel. Mein Kollege Alexander Ludwig hat diese Faktoren im SAFE Policy Blog ausführlich beschrieben.
Daher gilt insgesamt: Draghi hat durch die Festigung des Vertrauens in den Euro gerade deutschen Sparern einen wertvollen Dienst erwiesen – das ist bundesverdienstkreuzwürdig.
Jan Krahnen ist Professor für Finance an der Goethe-Universität Frankfurt und wissenschaftlicher Direktor von SAFE.