Eines der wichtigsten Aspekte eines Darlehensvertrags ist der Tilgungsplan. Traditionell zwingen die meisten Hypotheken die Kreditnehmer:innen, die Hypothek schrittweise zurückzuzahlen und Vermögen in Form von Eigenkapital aufzubauen. In den letzten Jahrzehnten hat die Finanzindustrie jedoch eine Vielzahl von alternativen Hypothekenprodukten entwickelt, die es den Haushalten ermöglichen, die Rückzahlung der Hypothek aufzuschieben (Cocco, 2013).
Das vielleicht bekannteste Beispiel ist die sogenannte „interest-only“-Hypothek, die Mitte der 2000er Jahre populär wurde und vor der Finanzkrise 2008 in den Vereinigten Staaten rund 25 Prozent der Hypothekenabschlüsse ausmachte (Amromin et.al, 2018). Solche Hypothekenverträge sind in vielen europäischen Ländern nach wie vor beliebt und haben in den letzten Jahren an Interesse gewonnen, da die Regierungen versuchen, den jüngsten Anstieg der Lebenshaltungskosten zu bewältigen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass „interest-only“ Hypotheken zwar die monatlichen Zahlungen verringern, aber aufgrund der verzögerten Hypothekenrückzahlung auch zu einem geringeren Vermögensaufbau führen (Bernstein und Koudijs, 2023). Darüber hinaus haben viele Kommentatoren einen engen Zusammenhang zwischen „interest-only“-Hypotheken und steigender Hypothekenverschuldung vermutet (siehe z.B. den Artikel der New York Times, "How Countrywide Covered the Cracks").
Auswirkungen von „interest-only”-Hypotheken auf die Kreditaufnahme privater Haushalte
Obwohl der Tilgungsplan eine wichtige Rolle spielt, gibt es kaum Belege dafür, wie sich dieses Merkmal des Darlehensvertrags auf die Kreditaufnahme der Haushalte auswirkt. Es gibt mindestens zwei gegensätzliche Ansichten. Einerseits locker zinsgebundene Hypotheken die Kreditbeschränkungen und helfen Haushalten mit eingeschränkten Möglichkeiten, Kredite aufzunehmen, wenn sie mit steigenden Einkommen oder Hauspreisen reichen (Piskorski und Tchistyi, 2010; Cocco, 2013). Andererseits haben viele Beobachter:innen die Ansicht vertreten, dass die Verbraucher:innen unter Verhaltensverzerrungen leiden könnten, die sie dazu veranlassen, die Kreditaufnahme aufgrund der niedrigen Anfangszahlungen zu erhöhen. Dieser Theorie zufolge könnten sowohl eingeschränkte als auch nicht eingeschränkte Verbraucher:innen eine niedrige and somit attraktivere monatliche Rate bevorzugen, anstatt den Kapitalwert der zukünftigen Zinszahlungen zu minimieren (Argyle et al., 2020). Während wir bereits eindeutige Beweise für den ersten Mechanismus haben, wissen wir wenig über den zweiten.
In einem kürzlich erschienenen SAFE Working Paper untersuchen wir die Rolle von Verhaltensfehlern, die die Wahl von Hypothekenkrediten über die üblichen wirtschaftlichen Faktoren, wie z.B. Kreditrestriktionen, hinaus beeinflussen können. Konkret nutzen wir eine politische Reform in Schweden, durch die „interest-only“-Hypotheken für die Kreditnehmer:innen mit einem Beleihungswert („loan-to-value“, LTV) von über 50 Prozent abgeschafft wurden. Anhand der Daten stellen wir fest, dass viele Hauskäufer:innen nach der Reform höhere Anzahlungen leisten, während bestehende Kreditnehmer:innen weniger Eigenkapital entnehmen.
Abbildung 1 zeigt die Verteilung der Beleihungsquoten zum Zeitpunkt der Hypothekenvergabe in den Jahren vor und nach der Reform im Jahr 2016. Die drei oberen Felder zeigen die Verteilung vor der Reform, während die drei unteren Felder die Verteilung nach der Umsetzung der Reform zeigen. Nach der Reform reduzierten viele Haushalte ihre Kreditaufnahme, um einen Beleihungswert von genau 50 Prozent zu erreichen, so dass sie sich für eine „interest-only“-Hypothek qualifizieren konnten. Unter Verwendung eines Difference-in-Bunching-Schätzers stellen wir fest, dass die Kreditnehmer:innen ihren Beleihungswert um fünf Prozent reduzieren, wenn der durchschnittliche Tilgungssatz um einen Prozentpunkt höher ist, was darauf hindeutet, dass die obligatorische Darlehensrückzahlung zu einer geringeren Kreditaufnahme führt.
Abbildung 1
Interessanterweise wird der Rückgang der Kreditaufnahme von relativ wohlhabenden Haushalten mit erheblicher zusätzlicher Kreditaufnahmekapazität getragen. Nach Prüfung möglicher Erklärungen kommen wir letztlich zu dem Schluss, dass Kreditbeschränkungen nicht der Hauptgrund für unsere Ergebnisse sind. (In der Tat können die meisten Kreditnehmer wesentlich größere Hypotheken aufnehmen, bis zu einem maximalen Beleihungsausmaß von 85 Prozent). Wir finden auch keine Hinweise auf Unterschiede bei den Zinssätzen, der Hypothekenbewilligung, der Bewertung von Sicherheiten und den Refinanzierungskosten aufgrund der Reform. Somit können unsere empirischen Ergebnisse nicht durch Kreditbeschränkungen oder andere angebotsseitige Faktoren erklärt werden.
Haushalte sehen Tilgung als Kosten, nicht als Form des Sparens
Warum entscheiden sich so viele Kreditnehmer:innen für eine größere Anzahlung, um monatliche Tilgungszahlungen zu vermeiden? Um die Präferenzen der Haushalte bei der Schuldentilgung besser zu verstehen, entwickeln wir einen theoretischen Rahmen, um die verschiedenen Mechanismen zu klären, die wohlhabende, unbeschränkte Haushalte dazu veranlassen können, Tilgungszahlungen zu vermeiden. Wir sind in der Lage, zwischen alternativen Theorien zu unterscheiden, die auf der Tatsache beruhen, dass der größte Teil der überschüssigen Menge an der 50-Prozent-Schwelle ohne fehlende Anteile oberhalb der Schwelle erzeugt wird. Auf der Grundlage dieser Analyse kommen wir zu dem Schluss, dass der Mechanismus, der am besten mit unseren Ergebnissen übereinstimmt, darin besteht, dass Kreditnehmer:innen Tilgungszahlungen als Kosten betrachten.
Unsere Ergebnisse ergänzen eine neuere Literatur, die das „Targeting der monatlichen Zahlungen“ bei Verbraucherkrediten dokumentiert. Zuletzt untersuchten Argyle et al. (2020) den US-Autokreditmarkt und fanden heraus, dass viele Kreditnehmer:innen versuchen, die monatliche Rate zu minimieren, anstatt die langfristigen Kosten des Kredits zu minimieren. Infolgedessen entscheiden sich viele Haushalte für Verträge mit niedrigen anfänglichen Raten und höheren Gesamtkosten, selbst wenn sie es sich anders leisten könnten – ein Konzept, das in Anlehnung an Shu (2013) „Net Present Value (NPV) neglect“ genannt wird. Soweit wir wissen, sind wir die ersten, die eine Vernachlässigung des Kapitalwerts bei der Wahl von Hypothekenkrediten nachweisen können.
Schlussfolgerungen
Unsere Ergebnisse haben wichtige Auswirkungen auf das Verständnis der Präferenzen privater Haushalte bei der Schuldentilgung, die in den jüngsten Diskussionen über makroprudenzielle Maßnahmen als eine wichtige politische Variable aufgetaucht ist. Während beispielsweise die Vereinigten Staaten seit der Hypothekenkrise von 2008 eine harte Haltung gegen „interest only“-Hypotheken einnehmen, ist das Vereinigte Königreich in die entgegengesetzte Richtung gegangen und hat kürzlich Banken ermutigt, mehr „interest only“-Hypotheken anzubieten, um steigenden Kreditkosten entgegenzuwirken. Darüber hinaus erlaubten mehrere Länder Kreditnehmer:innen während der Coronapandemie, die Tilgungszahlungen auszusetzen.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass viele Kreditnehmer:innen, auch solche, die nicht in finanziellen Engpässen stecken, ihre Schulden nicht tilgen wollen und bereit sind, weniger Geld zu leihen, um eine Hypothek mit Zinsbindung zu erhalten. Diese Erkenntnis erklärt die Beliebtheit von „interest only“-Hypotheken und ähnlichen Produkten in Ländern, die sie zulassen. Wir zeigen, dass diese Art von Präferenz die Auswirkungen von Hypothekenmarktinnovationen auf die Kreditaufnahme der Haushalte insgesamt verstärkt und die lebenslangen Zinskosten auf individueller Ebene erhöht. Ein besseres Verständnis dieser Präferenzen ist sowohl für die Verbraucherschutzbehörden, die sich um die Wohlfahrtseffekte neuer Finanzprodukte sorgen, als auch für makroprudenzielle Regulierungsbehörden, die sich um die Gesamtverschuldung sorgen, von entscheidender Bedeutung.
Claes Bäckman ist Gastprofessor an der Universität Mannheim und Research Affiliate des Leibniz-Instituts für Finanzforschung SAFE.
Patrick Moran ist Senior Economist beim Federal Reserve Board, Research Fellow am Institute for Fiscal Studies und Research Associate am Center for Economic Behavior and Inequality.
Peter van Santen ist Assistenzprofessor am Institut für Wirtschaftswissenschaften, Ökonometrie und Finanzen an der Universität Groningen.
Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Beschäftigten.