Die Finanzkrise von 2007 bis 2009 und die darauffolgende Eurokrise von 2010 bis 2015 waren Anlass auf der Ebene der Europäischen Union, Reformen in der Bankenregulierung und -aufsicht vorzunehmen und die europäische Bankenunion mit einheitlichen, gemeinsamen Regeln und zentralen Institutionen zu schaffen. Die derzeitigen Krisen und Unsicherheiten strahlen auch auf die Finanz- und Bankenmärkte aus, bisher ohne, dass vergleichbare Verwerfungen wie im vergangenen Jahrzehnt zu beobachten wären.
Der Reformprozess ist trotzdem noch nicht abgeschlossen. Besonders die enge Verflechtung zwischen Staaten und ihren heimischen Banken muss aufgelöst werden, um auch die nächste harte Probe bestehen zu können und nicht erneut einen Dominoeffekt auszulösen.
Am 16. Juni 2022 hat die Euro-Gruppe ihren Entwicklungsplan zur Bankenunion vorgestellt, der wichtige Punkte enthält. Mit Thorsten Beck, Philippe Martin, Franz Mayer, Jean Pisani-Ferry, Beatrice Weder di Mauro, Nicolas Véron und Jeromin Zettelmeyer nehmen wir diesen Plan zum Anlass, drei Deals zu identifizieren, die das Projekt der Bankenunion unterschiedlich weit und schnell voranbringen. Entscheidend für den Erfolg der jeweiligen Deals ist neben dem politischen Reformwillen, ob grundlegende Änderungen am Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgenommen werden oder lediglich Gesetze der Bankenaufsicht und der Regulatorik geändert werden müssen.
Die Bankenunion ist noch lange nicht vollendet
Mit der Bankenunion soll vor allem die Privathaftung im Bankwesen wiederhergestellt und damit implizite Staatsgarantien abgeschafft werden. Sie soll die Verflechtungen zwischen Banken und Staaten aufheben, damit sich Bankenpleiten nicht wie im Jahr 2011 auf die Schulden eines Staates auswirken. Weiterhin ist die Bankenunion eine Voraussetzung dafür, um einen echten europäischen Bankenbinnenmarkt zu schaffen, der Vorteile in der Kreditvergabe für Unternehmen und Private mit sich bringt.
Um diese Ziele zu erreichen, liegen aber zum einen noch zu viele Kompetenzen im Krisenmanagement des Bankensektors in den Händen nationaler Behörden. Des Weiteren muss die Bankenabwicklung auf EU-Ebene auch tatsächlich genutzt werden. Trotz des supranationalen Rahmens weichen die Mitgliedstaaten mit stillschweigender Zustimmung der europäischen Behörden nach wie vor auf nationale Lösungen aus und machen den europäischen Abwicklungsmechanismus faktisch wirkungslos. Zuletzt muss die enge Verflechtung von Staaten und ihren heimischen Banken unterbrochen werden.
Auch wenn die Eurogruppe um Fortschritte bemüht ist – mit der Umsetzung der Vorschläge vom Juni wäre die Bankenunion noch lange nicht vollendet.
Der inkrementelle Deal
Aus der Erklärung der Euro-Gruppe leiten wir einen „inkrementellen“ Deal mit konkreten Maßnahmen ab, ohne dass diese im Einzelnen der politischen Absichtserklärung entnommen werden könnten. Dieser Deal würde vor allem das Krisenmanagement und die Einlagensicherung verbessern – er adressiert aber nicht den Banken-Staat-Nexus. Genauer beinhaltet der inkrementelle Deal sechs Schritte, die keiner Änderungen am EU-Vertrag, aber fast alle Änderungen von Sekundärrecht bedürfen. Sie beinhalten
- Die Schaffung eines harmonisierten Krisenmanagementrahmens für alle Banken der EU – einschließlich kleiner und mittlerer Institute,
- Schärfere Vorschriften für Staatshilfen, um mit Steuergeldern unterstützte Liquidationen weitgehend zu unterbinden,
- Autonome Datenzugriffsrechte für die europäische Abwicklungsbehörde SRB, damit sie besser einschätzen kann, welche Institute ausfallen oder ausfallen könnten („failing or likely to fail“-Status),
- Veröffentlichung von Rohdaten der Kreditinstitute, damit Investoren und Gläubiger besser informiert sind,
- Die Behandlung von institutionellen Sicherungssystemen als „Konglomerate“, wenn kleinere Mitgliedsbanken als alleinstehende Institute oder Holdinggesellschaft agieren,
- Die Einführung einer generellen Einlagenpräferenz – jenseits der Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL) sind alle Einlagen gleichrangig. Außerdem muss die Verlustabsorptionsfähigkeit des bail-in-fähigen Kapitals verbessert werden.
Der wahre Deal
Der „wahre Deal“ ist eine umfassendere Reform für die Bankenunion und sorgt dafür, dass auch die zu enge Verflechtung zwischen Banken und ihren Staaten gekappt wird. So kann ein nachhaltigeres Sicherheitsnetz für die Gewährleistung der Finanzstabilität im Euroraum geschaffen werden.
Neben neuen Gesetzen wäre hier auch eine Änderung im EU-Vertrag erstrebenswert, um die tatsächliche Entscheidungshoheit des SRB zu festigen und so ein effektives Krisenmanagement jenseits nationaler Partikularinteressen sicherzustellen. Die dafür notwendigen Maßnahmen sind
- Bündelung aller Entscheidungen zum Krisenmanagement beim SRB, dem Einheitlichen Abwicklungsmechanismus der EU, der zu diesem Zweck Außenstellen in allen Mitgliedstaaten unterhalten sollte. So würden die institutionellen Voraussetzungen vollendet, um die europäischen Regelungen der Sanierungs- und Abwicklungs-Richtlinie und der SRM-Verordnung unabhängig durchzusetzen,
- Finanzierung eines leistungsfähigen Rettungsschirms für den neu gestalteten SRB, um ihn handlungsfähig zu machen,
- Verankerung von Konzentrationsaufschlägen für Staatsanleihen im Bankenaufsichtsrecht, um dem Bank-Staat-Nexus zu begegnen,
- Schaffung einer verpflichtenden europäischen Einlagensicherung in einem Wasserfallmodell, nachdem die Einlagensicherungskosten bis zu einer bestimmten Höhe auf nationaler Ebene oder bei den institutionellen Sicherungssystemen verbleiben. Der SRB entscheidet über alternative Maßnahmen, um ein Eingreifen dieser Einlagensicherung abzuwenden.
Der Wunsch-Deal
Der dritte Deal beinhaltet Maßnahmen, die einen einheitlichen, integrierten, europäischen Bankenmarkt schaffen. Dafür ist es nötig, die Bankenunion zu vollenden und darüber hinaus auch
- die Besteuerung der Banken,
- das Insolvenzregime für Unternehmen und Private,
- und den rechtlichen Rahmen für Immobilienfinanzierungen zu vereinheitlichen.
Was nach einer radikalen Idee klingt, ist rechtlich möglich und bedarf nicht einmal Änderungen im AEUV, denn die Harmonisierung würde „die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben“ (AEUV Art. 114).
Den Bank-Staaten-Nexus auflösen
Die unterschiedlich weitreichenden Reformen schließen einander nicht aus. Sie brauchen vor allem unterschiedlich viel Zeit, um umgesetzt zu werden. Der inkrementelle Deal, der sich an den Bestrebungen der Euro-Gruppe orientiert, könnte zwar noch in dieser Legislaturperiode des EU-Parlaments umgesetzt werden, würde aber Banken nicht von ihren Heimatstaaten trennen. Der Reformprozess reicht somit noch nicht aus.
Ideal aus unserer Sicht ist der Wunsch-Deal, der aber noch in weiter Zukunft zu liegen scheint. Der „inkrementelle Deal" berücksichtigt die Beschlüsse der Euro-Gruppe, greift aber zu kurz. Wir plädieren stark dafür, zumindest den "wahren Deal" umzusetzen, damit auch der Nexus zwischen Banken und Staaten entflochten wird – am besten vor der nächsten Krise.
Jan Pieter Krahnen ist SAFE-Gründungsdirektor und emeritierter Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt.
Tobias Tröger leitet das SAFE-Forschungscluster „Law & Finance“ und ist Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, und Rechtstheorie an der Goethe-Universität Frankfurt.
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