SAFE Finance Blog
21 Dec 2020

Eine europäische Bankencharta als Motor der Bankenunion

Ignazio Angeloni: Der Bankenunion stehen zu ihrer Vollendung regulatorische Hindernisse im Weg – dennoch gibt es Möglichkeiten, das pan-europäische Projekt voranzubringen

Im Jahr 2012 hat die Europäische Union die Bankenunion ins Leben gerufen und damit zwei Ziele verfolgt. Erstens Europas Banken solide und widerstandsfähig zu machen, um eine neue Finanzkrise zu verhindern. Zweitens einen europäischen Bankensektor aufzubauen, einschließlich einiger weniger paneuropäischer Banken, die in der Lage sind, auf globaler Ebene zu konkurrieren.

Mit Blick auf das erste Gründungsziel war die Bankenunion erfolgreich: Im Wesentlichen sind die Banken heute solider und stabiler als zuvor. Banken auf die richtige Bahn zu bringen, ist jedoch die Aufgabe aller und nicht nur der europäischen Aufseher.

Indessen ist die Bankenunion mit Blick auf das zweite Gründungsziel aufgrund einer fehlenden gesamteuropäischen Herangehensweise bisher gescheitert. Acht Jahre nach offizieller Gründung der Bankenunion sind die Kreditinstitute in der Eurozone so national wie eh und je, wenn nicht noch mehr. Relevante grenzüberschreitende Zusammenschlüsse gab es bisher nicht. Banken mit globalen Ambitionen wenden sich nach innen und trennen sich von Auslandsgeschäften, zur Erleichterung heimischer Politiker. Europäische Banken haben globale Marktanteile in Schlüsselbereichen wie im Investmentbanking verloren und ihre Marktbewertung ist im internationalen Vergleich gesunken.

Grenzüberschreitende Aktivitäten sind noch unattraktiv

Nach wie vor gibt es jedoch gute Gründe für grenzüberschreitende Joint Ventures zwischen Banken im Euroraum. Synergien können zum Beispiel entstehen, wenn Banken mit großen Vertriebsnetzen und solche, die einen Vorsprung bei der Entwicklung innovativer Finanzinstrumente haben, fusionieren. Die ungleichmäßige Entwicklung der Wirtschaft im Euroraum verspricht immer noch Vorteile durch geografische Diversifizierung. Zudem erfordert die digitale Transformation große Investitionen, die sich nur große Banken leisten können.

Die Hindernisse sind regulatorischer Natur. Zwar wurde eine Euro-Bankenaufsicht geschaffen, nur sind die Barrieren, die grenzüberschreitende Aktivitäten unattraktiv machen, immer noch vorhanden. Banken, die ausländische Tochtergesellschaften erwerben oder neu gründen, sind mit hohen makroprudenziellen Anforderungen konfrontiert, da grenzüberschreitende Beteiligungen immer noch als Auslandsgeschäfte behandelt werden, obwohl sie unter demselben aufsichtsrechtlichen und gesetzlichen Dach stehen. Das Gesetz verbietet interne grenzüberschreitende Kapitalbewegungen. Nationales Ring-Fencing steht effizientem Liquiditätsmanagement im Weg. Kreditratings vergrößern die Hürden zusätzlich, da Tochtergesellschaften benachteiligt werden, wenn die Muttergesellschaft in einem Land mit niedrigerer Bonität ansässig ist.

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass grenzüberschreitende Barrieren in absehbarer Zeit verschwinden. In Abwesenheit einer gemeinsamen Einlagensicherung werden die Euro-Länder eine starke Kontrolle über ihren jeweiligen Bankensektor behalten. Ein Streit darüber, wie mit Forderungen an Staaten in den Bankbüchern umzugehen ist, blockiert die Einigung auf einen solchen Mechanismus. Es besteht jedoch keine Notwendigkeit für weitreichende, regulatorische Änderungen, die die Bankenunion als Ganzes betreffen. Nicht alle Banken streben danach, gesamteuropäische oder globale Akteure zu werden. Für die wenigen, die das wollen, ist eine maßgeschneiderte Regelung vielleicht die einfachste Lösung.

Ein Pan-Europa-Status auf Gruppenebene

Eine mögliche Regelung würde eine europäische Verordnung nutzen, um eine gesetzliche Nische für Banken zu schaffen, die kritische Werte mit Blick auf Größe und grenzüberschreitende Diversifizierung erreichen oder als Ergebnis einer Fusion erreichen wollen. Banken, die sich erfolgreich um den Pan-Europa-Status bewerben, hätten sowohl Privilegien als auch Pflichten. Sie müssten alle von der EZB festgelegten (mikro- und makroprudenziellen) Kapitalanforderungen auf Gruppenebene erfüllen. Die Gruppe würde innerhalb der Bankenunion einer „Single-Point-of-Entry“-Struktur folgen, wobei Verluste an die Hauptgesellschaft weitergereicht würden. Die Haftungsstruktur der Hauptgesellschaft würde alle Anforderungen an die Verlustabsorption erfüllen, die von der einheitlichen Abwicklungsbehörde („Single Resolution Board“, SRB) in Übereinstimmung mit den globalen Standards festgelegt wurden. Die Rechte und Pflichten zur Verlustabsorption über Grenzen hinweg würden durch direkt anwendbares europäisches Recht festgelegt.

Dedizierte Einlagensicherungs- und Abwicklungssysteme würden ausgegliedert, vom SRB verwaltet und durch den europäischen Haushalt abgesichert werden. Infolgedessen wären Kreditratings länderunabhängig. Für gesamteuropäische Bankengruppen würden makroprudenzielle Anforderungen gelten, die sich an der Bankenunion als der maßgeblichen und einzigen Jurisdiktion richten. Es wäre ihnen erlaubt, Kapital und Liquidität innerhalb der Gruppe zu verschieben, vorbehaltlich der Prüfung durch die Aufsichtsbehörde. Vorzugsweise würden ihre Vermögenswerte einem harmonisierten, flächendeckenden Insolvenzverfahren unterworfen.

Diese Regelung würde die Bankenunion vervollständigen, nicht untergraben. Europäische Richtlinien und Verordnungen würden weiterhin den Rahmen für eine weitere Bankenharmonisierung bilden. Die Euro-Bankenaufsicht unter der EZB würde weiterhin zu einem soliden Bankensektor beitragen, der auf gemeinsamen und transparenten Aufsichtspraktiken basiert. In einem solchen Umfeld könnten mittelgroße Banken, die weiter wachsen wollen, leichter den letzten Schritt gehen und eine Mitgliedschaft im paneuropäischen „Club“ beantragen.


Ignazio Angeloni ist Senior Policy Fellow am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE und Senior Fellow an der Harvard Kennedy School.

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autoren und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 19. Dezember 2020 in der „Börsen-Zeitung“ veröffentlicht.