07 Feb 2022

Der Wandel wird teuer

Beim Leibniz-Wirtschaftsgipfel 2022 diskutieren die Leiter der Leibniz-Wirtschaftsforschungsinstitute über die ökologische Transformation der Wirtschaft – und ihre Kosten

Drängende wirtschaftspolitische Baustellen für Deutschland, Europa und die Welt gibt es genug. Die Diskussion beim diesjährigen Leibniz-Wirtschaftsgipfel am 2. Februar 2022 lief allerdings immer wieder auf einen zentralen Punkt hinaus: die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft – und die Auseinandersetzung darüber, wie viel Wachstum und welche Kosten damit verbunden sind.

„Wir müssen uns fragen, auf was wir hin-transformieren und -investieren wollen“, bemerkte Jan Pieter Krahnen, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE, in der Debatte mit den Leitern der weiteren Wirtschaftsforschungsinstitute unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft. Das grüne Transformationsthema beherrsche alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche, so Krahnen weiter, und stelle erstmals seit der deutschen Wiedervereinigung ein übergeordnetes Politikziel dar. „Das Konzept für diese gewaltige Bewegung ist noch nicht durchdacht“, sagte Krahnen etwa mit Blick auf die Finanzierungs- und Kapitalmarktseite.

Die von der Europäischen Kommission angeschobene Taxonomie zur Einordnung von Nachhaltigkeit sei keine gute Lösung. „Der Taxonomie liegt eine binäre Kategorisierung zugrunde, bei der Veränderungsraten keine Rolle spielen“, erklärte der SAFE-Direktor, „das ist ein Konzeptionsfehler und kann keinen Prozess des Wandels herbeiführen, sondern nur eine Momentaufnahme zementieren“. Veränderungen müssten aber bewertet werden, denn: „Der Wandel wird teuer.“

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Clemens Fuest, der Präsident des ifo Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München, verglich die Taxonomie mit Planwirtschaft. Es gelte vielmehr, Bewertungsinstrumente zu diskutieren und die Transformation der Wirtschaft sozial zu flankieren. Reale Produktionsprozesse würden mit den derzeitigen Planungsverfahren kollidieren. „Es ist richtig, dass sich Deutschland am Klimaschutz beteiligt, wir tragen damit zu einem weltweiten öffentlichen Gut bei“, so Fuest, „aber es liegt auf der Hand, dass Klimapolitik keine Wohlstandssteigerung für Deutschland mit sich bringt.“

Die Transformation als Wachstumsprogramm zu betrachten, sei illusorisch, meinte auch Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft, im Gegenteil: Es werde in den kommenden Jahren sehr hohe Investitionen brauchen, was die deutschen Produktionsmöglichkeiten strapaziere, die ohnehin weniger stark wachsen könnten aufgrund der demografischen Entwicklung. Auch die realwirtschaftlichen Möglichkeiten seien begrenzt. Die Transformation stelle Rendite in 20 bis 30 Jahren in Aussicht, aber aus Sicht der nächsten Dekade könne es „keine Doppeldividende von Wachstum und Effizienzen grüner Transformation“ geben, so Kooths.

Diesen Punkten widersprach Marcel Fratzscher. Die gängigen Konzepte zur Messung von Wachstum seien zu eng gefasst, die Transformation sei ein Wachstumsmotor, der wohlstandsfördernd ist, „weil sie unsere Lebensgrundlage erhält“, sagte der Präsident des DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Vor allem müssten aber fossile Energieträger müssten deutlich teurer werden, um die Transformation sozial verträglich zu gestalten. „Bisher lässt sich der Bundesregierung ein gutes Zeugnis ausstellen, aber die Transformation kann nur gelingen, wenn es eine hohe soziale Akzeptanz gibt“, betonte Fratzscher.

Wer trägt die Kosten der Transformation?

Die Diskussion um unterschiedliche Wachstumsmaße sei nicht neu, wandte Achim Wambach ein, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim. Am Bruttoinlandsprodukt als Messgröße lasse sich aber ablesen, wo die Arbeitsplätze sind und die Menschen ihr Geld verdienen. Ebenso lange würde bereits über Netzausbau und den Ausbau erneuerbarer Energien diskutiert. „Wir müssen Genehmigungsverfahren beschleunigen, die uns sonst Jahre kosten können“, so Wambach.

Ohne Fachkräfteengpässe anzugehen, werde Deutschland auch in der Klimapolitik nicht weiterkommen, führte Thomas Bauer vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen aus. Für den Ausbau der Netze brauche es Arbeitskräfte. Zudem seien die erklärten Klimaziele nicht erreichbar, „wenn wir nicht international denken“. Deutschland müsse sich am Aufbau eines internationalen Marktes für erneuerbare Energien beteiligen, zum Beispiel bei CO2-Mindestpreisen.

Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle kritisierte, dass in der Öffentlichkeit nicht transparent genug darüber gesprochen würde, wer die Kosten der Dekarbonisierung trage. Die notwendigen Investitionen müssten real erbracht werden, das werfe auch Verteilungsfragen auf. „Diese Transformation wird auch Verlierer produzieren“, mahnte er. So sei zwar Braunkohle kein Energieträger mit Zukunft, aber die Abbaugebiete könnten auf Jahre hinaus benachteiligt werden, wenn nicht gegengesteuert werde. Auch Energiepreise träfen verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich. „Es wird Eindruck erweckt, dass durch mehr Verschuldung oder expansivere Finanzpolitik diese Probleme überlagert werden können“, sagte Holtemöller. Die Politik müsse sich an ökonomischen Effizienzkriterien orientieren und Marktkräfte wirken lassen, sowohl was die Klimapolitik als auch die Pandemiebekämpfung betrifft.