Mit „Next Generation EU“ hat die Europäische Union ein 750 Milliarden Euro schweres Paket geschnürt, das Europa in Zeiten der Covid-19-Pandemie wirtschaftlich wieder auf die Beine bringen soll. Wie dieser Aufbauplan funktioniert, wohin das Geld fließen soll und welche Signalwirkung der Fonds für die zukünftige Gestaltung der EU hat, waren zentrale Aspekte bei der Paneldiskussion am ersten Veranstaltungstag der diesjährigen Frankfurt Conference on Financial Market Policy, die coronabedingt erstmalig komplett online stattfindet. Bei dieser ersten Session stellten die Experten heraus, dass der sich der Finanzsektor in der laufenden Coronakrise als stabiler erweise im Vergleich zur Situation der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007/2008. Der wirtschaftliche Wiederaufbau in Zeiten der Pandemie müsse in Europa solidarisch und nachhaltig angegangen werden.
Der Generaldirektor der EU-Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, Marco Buti, betonte im Verlauf der Paneldiskussion: Aufschwung und Widerstandskraft bildeten die Kernelemente, auf die „Next Generation EU“ in den einzelnen Ländern Europas abziele. Um erfolgreich zu sein, müsste der Aufbauplan als Ganzes von den Mitgliedstaaten angenommen und in glaubwürdige nationale Reformprogramme gegossen werden. „Solidarität senkt das Risiko für jedes Land“, so Buti. Die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds sollten gleichsam so eingesetzt werden, dass sie zur Bewältigung von Transformationsprozessen wie der Digitalisierung oder erneuerbarer Energien beitragen.
Die Coronakrise trifft auch Europas Banken
Mit Blick auf den Finanzierungsaspekt stellte Buti heraus, dass Europas Banken heute wesentlich stärker aufgestellt seien als vor der Finanzkrise. Das Niveau notleidender Kredite habe sich im zeitlichen Verlauf erheblich reduziert. Nichtsdestoweniger habe die EU-Kommission bereits ins Auge gefasst, einen Aktionsplan für Problemkredite vorzulegen. Aus der Sicht von Marti Subrahmanyam ein nötiger Schritt, denn der europäische Bankensektor sei im Vergleich zu seinem US-amerikanischen Pendant äußerst fragil. „Die Volkswirtschaften werden Jahre brauchen, um sich von der Coronakrise zu erholen, die Banken aber noch länger“, betonte der SAFE Fellow von der Stern School of Business der New York University. Die europäischen Kreditinstitute hätte es dabei weltweit am härtesten getroffen.
Jakob von Weizsäcker bezeichnete den Aufbaufonds als angemessene Antwort auf die Coronakrise. Denn, so der Chefökonom des Bundesfinanzministeriums, die derzeitige Krise unterscheide sich in drei wesentlichen Punkten von der Finanzkrise. Zuerst sei der Ausbruch von Covid-19 eine Naturkatastrophe, weswegen aktuell nicht von einer systemischen Krise gesprochen werden könne. Zweitens sei das geopolitische Gefüge im Jahr 2020 wesentlich komplexer als noch vor 13 Jahren und schließlich hätten fiskalpolitische Instrumente unter den gegebenen Umständen enorm an Bedeutung gewonnen.
Solidarität in Europa ist gefragt
„Wir müssen diese Krise solidarisch bewältigen“, so Weizsäcker. Wenn „Next Generation EU“ in den EU-Mitgliedstaaten gut umgesetzt werde, könnte der Fonds als „Bauplan für zukünftige Krisen“ dienen. Zwar seien Fehlanreize in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stets eine Gefahr, aber das „Moral hazard“-Problem sei kein Wesensmerkmal der Coronakrise. Vielmehr müsse sich zeigen, ob das Momentum jetzt langfristig nicht dazu genutzt werden könne, über den Aufbau eines gemeinsamen Europäischen Finanzministeriums nachzudenken.
Die gegenwärtige Debatte darum, wie der Coronakrise beizukommen sei, richte den Fokus wieder auf politische Kernelemente wie Solidarität und Verantwortung. Werte wie das Rechtsstaatsprinzip würden von fast allen EU-Staaten gleichermaßen geteilt, stellte Cornelia Woll, Professorin für Politikwissenschaft an der Sciences Po Paris, fest. „Next Generation EU“ unterscheide sich wesentlich von den seinerzeit implementierten Gegenmaßnahmen während der Finanz- und späteren Staatsschuldenkrise: Das jetzige Wiederaufbauprogramm sei dezentral aufgestellt und weniger an Konditionalität geknüpft. „Damit haben die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung mehr Spielraum für ihre nationalen Präferenzen“, so Woll.