Für eine erfolgreiche Aktienanlage ist es nicht notwendig, in Unternehmen mit höheren Gewinnerwartungen zu investieren. Der Grund dafür ist einfach: Für Unternehmen, von denen mehr Erfolg erwartet wird, zahlt man einen höheren Aktienkurs. Dieser wichtige Grundsatz wird jedoch von Privatanleger:innen bei der Betrachtung von Aktienrenditen häufig vernachlässigt, was auf eine große Lücke im Finanzwissen von Haushalten hindeutet.
Angenommen, der US-amerikanische Sportartikelgigant Nike kündigt an, seine Produktionskosten um 20 Prozent senken zu können. Die Meldung ist vier Wochen alt. Fachleute sagen voraus, dass dieser unerwartete Erfolg die Marktposition von Nike in der Sportbekleidungsindustrie erheblich stärken wird. Würden Sie daraus schließen, dass dies ein guter Zeitpunkt ist, um in Nike-Aktien zu investieren?
Ein weiteres Gedankenexperiment. Angenommen, es wird bekannt, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seine Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft deutlich nach oben korrigiert hat. Die sogenannten Wirtschaftsweisen gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft deutlich stärker wachsen wird als ursprünglich prognostiziert. Das wurde vor vier Wochen bekannt gegeben. Endlich mal eine gute Nachricht! Ist das ein guter Zeitpunkt, um in den deutschen Aktienmarkt zu investieren?
Niedrigere Produktionskosten bedeuten höhere zukünftige Gewinne für Nike, und eine stärkere Wirtschaft bedeutet höhere zukünftige Gewinne für deutsche Unternehmen. Aber bedeuten höhere Gewinnerwartungen für Unternehmen auch höhere Renditeerwartungen für Anlagen in diese Unternehmen? Die Antwort ist für viele Anlageinteressierte überraschend: Höhere erwartete zukünftige Unternehmensgewinne bedeuten nicht direkt höhere erwartete zukünftige Renditen für eine Anlage.
Aktuelle Aktienkurse spiegeln Zukunftserwartungen wider
Der Grund dafür ist, dass Aktienmärkte zukunftsorientiert sind. Erwartungen über zukünftige Gewinne und Dividenden spiegeln sich bereits in den heutigen Aktienkursen wider. In beiden Gedankenexperimenten lagen die Nachrichten vier Wochen zurück, sodass der Aktienmarkt genügend Zeit hatte, auf die Nachrichten zu reagieren. Wenn die Marktteilnehmenden für die Zukunft höhere Gewinne und Dividenden erwarten, werden sie die Aktie stärker nachfragen und der aktuelle Aktienkurs wird höher sein. Die Attraktivität einer Investition wird also nicht einfach durch die erwarteten Gewinne eines Unternehmens bestimmt, sondern – grob gesagt – durch den erwarteten Erfolg im Verhältnis zum aktuellen Aktienkurs. Sofern Aktienkurse das, was über die Zukunft bekannt ist, korrekt widerspiegeln, sind die zukünftig erwarteten Gewinne für die zukünftigen Renditen sogar irrelevant.
Nur wenige Privatpersonen verstehen den Zusammenhang zwischen erwarteten Gewinnen und Aktienrenditen
Unser SAFE Working Paper zeigt, dass nur wenige Privatinvestierende dieses Prinzip verstehen. In Gedankenexperimenten wie den oben beschriebenen prognostizieren Privatpersonen in der Regel höhere Renditen für eine Investition in ein Unternehmen, selbst Wochen nachdem gute Nachrichten über die zukünftigen Gewinnaussichten eines Unternehmens veröffentlicht wurden. Wir beobachten diesen Effekt bei US-amerikanischen und deutschen Haushalten, einschließlich derer, die regelmäßig in den Aktienmarkt investieren. Darüber hinaus dokumentieren wir das gleiche Ausmaß an Missverständnissen bei Finanzberatern, Analysten und Händlern, die US-amerikanische Haushalte beraten und für sie handeln. Dies spiegelt ein weit verbreitetes und grundlegendes Missverständnis darüber wider, wie Renditen an den Märkten zustande kommen.
Eine wichtige Komponente finanzieller Allgemeinbildung
Diese Erkenntnis kann uns helfen, vier kostspielige und häufige Anlagefehler zu verstehen.
(1) Zu viel Trading: Wenn Anlegende glauben, dass veraltete Nachrichten über künftige Unternehmensgewinne höhere Aktienrenditen in der Zukunft versprechen, verleitet sie dies dazu, häufig zu handeln und ihr Portfolio anzupassen. Solche Transaktionen sind jedoch kostspielig, führen aber selten zu höheren Renditeerwartungen und verringern somit die effektive Rendite der Anlagestrategie.
(2) Mangelnde Diversifizierung: Wenn Privatinvestor:innen glauben, dass die Renditen vorhersehbar sind, unterschätzen sie möglicherweise das Risiko einzelner Aktienanlagen und halten unzureichend diversifizierte Portfolios. Dadurch setzen sie sich unnötigen Risiken aus.
(3) Verzicht auf Investitionen: Viele Haushalte investieren nicht am Aktienmarkt. Viele sind vielleicht deshalb so vorsichtig, weil sie glauben, zu wenig über die Geschäftswelt zu wissen, um die Unternehmen mit den höchsten Gewinnaussichten zuverlässig identifizieren zu können. Dadurch verpassen sie jedoch eine wertvolle Gelegenheit für langfristige Investitionen.
(4) Zu hohe Gebühren: Andere Haushalte bevorzugen aktive Investmentfonds, weil sie glauben, dass professionelle Fondsmanager am besten in der Lage sind, Unternehmen mit hohen Gewinnerwartungen zu identifizieren. Hohe Gebühren schmälern jedoch die effektive Rendite solcher aktiv verwalteten Fonds erheblich. Tatsächlich ist es für aktiv verwaltete Fonds oft schwierig, nach Abzug der Gebühren eine bessere Performance zu erzielen als passive Fonds.
Die Tatsache, dass Aktienkurse die Zukunft widerspiegeln, bedeutet, dass die Anlage am Aktienmarkt in vielerlei Hinsicht viel einfacher ist, als Privatanleger:innen glauben. Zukünftig erwartete Unternehmensgewinne sind nur insoweit von Bedeutung, als sie sich nicht vollständig in den heutigen Aktienkursen widerspiegeln. Haushalte müssen sich aber nicht auf dieses komplizierte Ratespiel einlassen. Sie müssen den Markt nicht überlisten. Stattdessen können sie die durchschnittliche Marktrendite erzielen, indem sie in große und breit gestreute Indexfonds (ETFs) mit niedrigen Gebühren investieren.
Peter Andre ist Juniorprofessor für Behavioral Finance bei SAFE.
Philipp Schirmer ist Doktorand der Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn.
Johannes Wohlfart ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln.
Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen.