SAFE Finance Blog
01 Apr 2020

Die Europäische Bankenaufsicht macht noch nicht, was nötig ist

Ignazio Angeloni: Für die Rückkehr zur Normalität nach der Corona-Pandemie müssen unter anderem Banken gerettet werden. Dafür muss die Regulierung angepasst und mehr öffentliche Förderung bereitgestellt werden

Dieser Text von Ignazio Angeloni wurde zuerst am 24. März in Englisch auf VoxEU veröffentlicht.

Reihenweise scheinen lang vertretene Grundsätze und Tabus der regelbasierten, liberalen Nachkriegsordnung Europas wegzufallen. Nationale Grenzen schließen. Persönliche Freiheiten werden eingeschränkt. Regierungen bestimmen per Dekret, während verlassene Parlamente eilig alles abstempeln. Steuergrenzen werden überschritten. Die Aufhebung des EU-Stabilitätspakts und die Verabschiedung des Haushaltsplan in Deutschland mit einem erheblichen Defizit blieben vor wenigen Tagen fast unbemerkt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat alle verfügbaren Instrumente eingesetzt, massive währungspolitischen Maßnahmen eingeführt und kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie bereit ist, ihre bisherige „roten Linie“ wie viele und welche Anlagen sie kaufen kann, zu überschreiten.

Genau das sollte passieren. Eine vernünftige Strategie gegen einen furchterregenden und unbekannten Feind besteht darin, ihn in Geschwindigkeit und Größe zu übertreffen. Dies gilt sowohl für das Gesundheitswesen als auch für die Wirtschaft. "Was auch immer notwendig ist" („Whatever it takes“) bedeutet unter den gegenwärtigen Umständen "mehr als man für notwendig erachtet". Schnelles und umfangreiches Handeln ist von entscheidender Bedeutung.

Bankenregulierung wie in Kriegszeiten

Die einzige Ausnahme von dem derzeit vorherrschenden kriegszeitähnlichen Ansatz ist die Bankenregulierung. Das überrascht: Es sollte bekannt sein, dass Banken den finanziellen Sauerstoff der Wirtschaft bereitstellen. Selbst die große „Bazooka“ der EZB kann nicht richtig arbeiten, wenn die Banken aufhören zu funktionieren oder, Gott bewahre, enorm viele Bankrott gehen. Genau das ist jedoch das Risiko im Euroraum, wenn die Realwirtschaft im freien Fall –  zumindest für mehrere Monate – zu steigenden Kreditausfällen und massiven Verlusten von Risikopositionen führt. Letzteres ist bereits aufgetreten. Ersteres ist praktisch unausweichlich.

Europäische und nationale Regulierungsbehörden, die Regierungen, Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden müssen entschlossen und dringend handeln, um dieses Schreckensszenario abzuwenden. Der angewandten Logik in den anderen Bereichen nach – vom Arbeitsmarkt bis zur Unternehmensförderung – sollte sichergestellt werden, dass die Banken die kritische Phase so unbeschadet wie möglich bewältigen. Deswegen sollten die üblichen aufsichtsrechtlichen Regeln nicht für die Folgen des Virus in den Bilanzen gelten. Diese Folgen sollte stattdessen öffentliche Förderung neutralisieren – Kapitalzuschüsse, Garantien und, in einigen Fällen, aufsichtliche Nachsicht. Die Offensive muss an drei Fronten ansetzen: Vermögen, Schulden und Governance der Banken.

Maßnahmen der Europäischen Zentralbank

Auf der Aktivseite hat die EZB-Aufsicht versprochen, „den Banken zu ermöglichen, in vollem Umfang von Garantien und Moratorien zu profitieren, die von den Behörden eingeführt werden“. Diese lobenswerte Absicht lässt die Initiative jedoch in der Hand der nationaler Behörden, die nicht alle bereit oder in der Lage sind, Maßnahmen zu ergreifen. Der letzte Woche genehmigte italienische Haushaltsplan unter dem Namen „cura Italia“ („Italien heilen“) erwähnt solche Garantien nicht. Der Plan konzentriert sich – verständlicherweise unter den örtlichen Gegebenheiten – auf die Unterstützung von Familien sowie des Gesundheits- und anderen vorrangigen Sektors. Im Gegensatz dazu, sieht der deutsche Haushaltsplan 400 Milliarden Euro für Kreditgarantien vor. Die derzeitige Kombination aus bedingter Nachsicht durch die EZB und den großen Unterschieden zwischen den Ländern kann dazu führen, dass die Bankenmarktfragmentierung zunimmt und die vom Virus am stärksten betroffenen Länder an der „Südfront“ benachteiligt werden.

Um die Passivseite zu schützen, sind die Finanzierung als auch das Kapital zu stützen. Die Maßnahmen der EZB im Rahmen ihrer langfristigen (long-term refinancing operation, LTRO) und bedingten (targeted longer-term refinancing operations, TLTRO) Offenmarktgeschäfte zielen darauf ab, die Finanzierungsquellen offen zu halten. Ihre Wirkung hängt jedoch davon ab, dass die Banken über ausreichende „angemessene“ Kreditsicherheiten verfügen – eine Anforderung, die im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) festgelegt ist. Die Verfügbarkeit solcher Sicherheiten ist wahrscheinlich stark asymmetrisch, was die oben erwähnte Fragmentierung verschärft. Kapital wird wahrscheinlich auch zu einem Hindernis werden. Die EZB-Aufsicht hat eine nachsichtige Haltung bei der Verwaltung ihrer Leitlinien für Säule-2-Empfehlungen (Pillar-2-Guidance, P2G) angekündigt, aber P2G macht nur einen kleinen Bruchteil der gesamten Kapitalanforderung aus. Das europäische Recht enthält keine Öffnungsklauseln, um Kapitalverpflichtungen in Notfällen oder einem Abschwung reduzieren zu können. Die Flexibilität besteht lediglich in den sogenannten makroprudenziellen Puffern, die im vorangegangenen zyklischen Aufschwung leider nur wenig angehoben wurden. Zurzeit kann die dringend benötigte Kapitalflexibilität nur mit Hilfe von Aussetzung oder Verschiebung bestehender gesetzlicher Kapitalanforderungen oder mittels Kapitalzuführungen durch den öffentlichen Sektor, die gemäß den EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen verboten sind, erreicht werden. Am 17. März hat EU-Kommissarin Margrethe Vestager einen „vorübergehenden Rahmen“ mit einer Reihe von Hilfsmaßnahmen in Folge des Virus veröffentlicht, jedoch nicht diese Möglichkeit.

Mit dem Aussetzen von Aufsichtsregelungen, Vermögensgarantien und öffentlichem Eigentum – alles unter den jetzigen Umständen erforderlich – würden die Rahmenbedingungen des Bankwesens im Euroraums für einen begrenzten, aber unbestimmten Zeitraum denen zu Kriegszeiten entsprechen. Einschränkungen bei bestimmten Verwaltungsentscheidungen bei den Banken wären unvermeidlich, vor allem bei der Verteilung von Bonuszahlungen und Dividenden, wie es der Systemic Risk Council empfohlen hat. Es kann auch vorübergehende Eingriffen in andere Bereiche geben. Während die Ewiggestrigen auf dem freien Markt die Nase rümpfen werden, ist dies wahrscheinlich ein kleinere Übel. Um zur Normalität, nach der wir uns alle sehnen, zurückzukehren, müssen unter anderem die Banken gerettet werden. Dafür muss die Regulierung angepasst und mehr öffentliche Förderung bereitgestellt werden.


Ignazio Angeloni ist SAFE Senior Policy Fellow und Research Fellow am Mossavar-Rahmani Center for Business and Government der Harvard Kennedy School.