SAFE Finance Blog
17 Nov 2022

Deutschlands „Doppel-Wumms“ – kritikwürdig, aber zweckmäßig

Europa hat skeptisch auf das milliardenschwere Paket der deutschen Bundesregierung gegen die Energiepreiskrise reagiert. Allerdings setzt das „Doppel-Wumms“-Programm richtige Anreize zum Energiesparen

Das als „Doppel-Wumms“ bezeichnete Programm der deutschen Bundesregierung, bis zu 200 Milliarden Euro gegen die Energiepreiskrise bereitzustellen, hat europaweit Aufruhr verursacht. Deutschland wurden (und werden noch immer) zwei Dinge vorgeworfen: zum einen der übermäßige Umfang des Pakets, der im Vergleich zu anderen Ländern des europäischen Binnenmarktes zu einer unangemessenen staatlichen Beihilfe für Deutschland führen würde; zum anderen die Tatsache, dass die Bundesregierung im Alleingang und nicht in konzertierter Aktion mit anderen europäischen Ländern gehandelt habe.

Seitdem die Bundesregierung die Vorschläge Energie-Expertenkommission angenommen hat, wissen wir, wie Deutschland vorgehen will, wo vorher (bei der ersten Reaktion im europäischen Ausland) nur Mutmaßungen waren.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission (bestehend aus 21 Expert:innen, darunter Ökonom:innen, Gewerkschaftler:innen und Unternehmer:innen, im Allgemeinen mit pro-europäischer und klimafreundlicher Tendenzen) stellte einen interessanten Gegensatz zur Prozedur in anderen EU-Ländern dar. Nur in Deutschland hat man es Expert:innen überlassen, die Pläne dazu auszuarbeiten, wie die Regierung am besten Familien und Unternehmen helfen kann, mit den hohen Energiepreisen zurechtzukommen, ohne die Anreize zum Energiesparen zu verlieren. In den meisten EU-Ländern hat die Regierung selbst entschieden und war dabei natürlich das Ziel von enormem politischem Druck.

Dies ist vielleicht auch der Grund warum die nun von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen wenig mit den Anschuldigungen aus dem Ausland zu tun haben. Dies betrifft insbesondere die Sorgen, welche in Italien vorgetragen wurden.

Der Rettungsschirm der Coronapandemie als Beispiel

Zunächst sind 200 Milliarden Euro nicht so viel, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Die deutsche Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz hat einen hohen Betrag genannt, mehr um das Publikum zu versichern, dass die Regierung es ernsthaft meint, als um eine feste Summe zu nennen, die auch tatsächlich so eingeplant ist.

Ein ähnliches Szenario spielte sich im Frühjahr 2020 zu Beginn der Coronapandemie ab: Die Bundesregierung kündigte ein gigantisches Hilfspaket in Höhe von insgesamt rund einer Billion Euro an. Dies war aber die Obergrenze für mögliche Kredite und Garantien. Im Endeffekt wurde ein Bruchteil der bereitgestellten Mittel tatsächlich eingesetzt, und in den Jahren 2020 und 2021 hat Deutschland laut den Zahlen der Europäischen Kommission viel weniger zur Stützung der Wirtschaft ausgegeben als Länder wie Italien oder Frankreich (etwa die Hälfte in Relation zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt). Dies könnte sich jetzt wiederholen.

Selbstverständlich soll der Wirtschaft und den Bürger:innen in Deutschland bei der Bewältigung der exorbitanten Gaspreise geholfen werden; alle Regierungen versuchen, dieses Bedürfnis zu erfüllen. Gleichzeitig sollten aber Anreize geschaffen werden, weniger Energie zu verbrauchen, denn Gas ist zurzeit äußert knapp.

Zwei-Stufen-System erhält Anreize zum Energiesparen

Um diesen Zielkonflikt zu bewältigen hat die Kommission vorgeschlagen, nur eine Grundmenge, in Höhe von 80 Prozent des Verbrauchs der Vergangenheit zu subventionieren. Jede Kilowattstunde, die über diesen Betrag hinausgeht, muss zum Marktpreis bezahlt werden. Die Einmalzahlung in Höhe einer monatlichen Abschlagsrechnung am Anfang des Winters lässt den Anreiz zum Sparen auch unverändert. Für die Industrie ist ein ähnliches Zwei-Stufen-System vorgesehen. Nur 70 Prozent des Verbrauchs der Vergangenheit wird subventioniert.

Man kann sich sicher noch bessere Systeme vorstelle, um den Verbraucher:innen und der Industrie zu helfen; aber dieses Zwei-Stufen-System erhält die Anreize zum Energiesparen. Dies ist in vielen anderen Ländern nicht der Fall, wo die Preise meist ohne Obergrenze beim Verbrauch gesenkt werden. Eine allgemeine Gaspreisbremse, wie sie einige Länder unter der Führung Italiens befürworten, würde zu Mehrverbrauch führen. Die Hoffnung, dass die Verbraucher:innen ihren Konsum trotz allem reduzieren, erschein trügerisch. Staatliche Appelle allein, wie in Frankreich, haben bisher wenig Wirkung gezeigt. Ohne Anreize zum Energiesparen wird die EU aber das Ziel von einem Minderverbrauch von 15 Prozent in diesem Winter nicht erreichen (und der nächsten Winter; ganz ohne russisches Gas wäre dann auch wieder problematisch).

Die Frage drängt sich auf: Ist es gerecht, einen monetären Anreiz für ein notwendiges Gut zu setzen, das für alle garantiert werden soll, wie zum Beispiel die Energie, die Häuser beheizt und Essen wärmt, noch dazu, wenn das kalte Wetter einsetzt und der Winter vor der Tür steht? Bei näherer Betrachtung scheint es so zu sein: Ein gewisser Anreiz zum Sparen ist sinnvoll. In Spanien, wo die Nutzung von Gas zur Stromerzeugung staatlich subventioniert wird, ist der Gasverbrauch gestiegen, während er in Deutschland um etwa 15 bis 20 Prozent gesunken ist. In Italien hat sich der Verbrauch bis jetzt kaum verändert. Die scheidende Regierung hat die Heizperiode in Mehrfamilienhäusern für den Winter 22/23 um zwei Wochen verkürzt. Aber das reicht nicht. Die neue italienische Regierung unter Giorgia Meloni muss weitere Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs ergreifen, wenn auch Italien zur Lösung des Problems beitragen will.


Ignazio Angeloni ist SAFE Senior Fellow und Teilzeitprofessor am Robert Schuman Centre for Advanced Studies des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz.

Daniel Gros ist Research Fellow am Centre for European Policy Studies (CEPS).

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 14. Oktober 2022 in der italienischen Zeitung Il Sole 24 Ore veröffentlicht.