SAFE Finance Blog
02 Dec 2021

Der digitale Euro – ein Umweg zur Bankenunion?

Tom Huertas: Die Einführung des digitalen Euro würde de facto die Bankenunion etablieren, die dann jedoch maßgeblich von der EZB getragen wäre. Wenn Kreditinstitute an der Bankenunion beteiligt sein sollen, muss es für den Euro ein einheitliches Einlagensicherungssystem geben

Die Europäische Zentralbank hat im Juli 2021 entschieden, den Weg zur Einführung eines digitalen Euro weiterzugehen. Der digitale Euro würde es potenziell jedem ermöglichen, ein Konto direkt bei der Zentralbank zu haben. Vor Kurzem haben EU-Entscheidungsträger erneut gefordert, die Bankenunion zu vollenden und ein europäisches Einlagensicherungssystem einzuführen. Der Enthusiasmus für den digitalen Euro steigt; der für die Bankenunion bleibt – vorsichtig gesagt – verhalten.

Spielt das eine Rolle? Allerdings. Denn beim digitalen Euro handelt es sich effektiv um eine gemeinsame Verpflichtung der Mitgliedsstaaten der Eurozone. Die Inhaber werden den digitalen Euro in Zukunft zur Speicherung von Werten sowie zur Übertragung und zum Empfang von Werten verwenden können. Der digitale Euro ist ein Vermögensgegenstand, der seine Wertstellung in Euro aufrechterhält, auch wenn ein Kreditinstitut ausfällt oder ein Mitgliedstaat seine Schulden nicht begleichen kann. Wie EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta zuletzt im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments festgestellt hat, wird der digitale Euro risikolos sein.

Dasselbe kann momentan nicht von Bankeinlagen behauptet werden, auch nicht von gedeckten Einlagen. Obwohl gedeckte Einlagen abgesichert sind, hängt die Glaubwürdigkeit dieser Absicherung von der Auffanglösung („Backstop“) hinter ihr ab. Obwohl Mitgliedsstaaten nationale Einlagensicherungssysteme möglicherweise mit einem solchen Auffangmechanismus ausstatten können, garantiert eine derartige Lösung nicht, dass ein Euro in gedeckten Einlagen ein Euro bleibt, vor allem, wenn die Zahlungsunfähigkeit (oder auch nur die Abnahme der Kreditwürdigkeit) des Mitgliedsstaates den Ausfall der Bank verursacht, die die Einlagen ausgibt.

Digitaler Euro vor Bankeinlage

Ein digitaler Euro würde diesen fundamentalen Missstand im gegenwärtigen Rahmenwerk für Krisenmanagement und Einlagensicherung der Eurozone aufdecken. Wenn Individuen oder Institute die Wahl haben, entweder einen digitalen Euro oder eine Bankeinlage zu halten, werden sie sich wahrscheinlich für den digitalen Euro entscheiden, insbesondere, wenn die betreffende Bank schwach ist und/oder ihren Hauptsitz in einem schlecht bewerteten Mitgliedsstaat hat. In einer solchen Umgebung würden Mittel an die EZB fließen, und die EZB wäre – direkt oder indirekt – für die Kreditvergabe zuständig. Dieser Umstand würde zu einer Bankenunion führen, die jedoch von der EZB getragen wird.

Die EZB ist sich der nachteiligen Auswirkungen durchaus bewusst, die der digitale Euro auf die finanzielle Stabilität haben könnte. Unter anderem aus diesem Grund haben politische Entscheidungsträger:innen angeregt, dass der Betrag an digitalen Euros, die eine Person oder Institut halten kann, begrenzt sein soll, oder dass der digitale Euro deutlich negative Zinssätze haben soll. Die EZB plant, im Laufe des nächsten Jahres die Gestaltungsmöglichkeiten einzugrenzen und im Jahr 2023 einen Prototyp vorzustellen.

Aber die Geschichte lehrt, dass nichts so zeitweilig ist, wie eine dauerhafte Begrenzung. Und Ökonom:innen lassen verlauten, dass es schwierig sein wird, einen Zinssatz zu bestimmen, der den digitalen Euro im Verhältnis zum Bargeld als physischer Währung und Kryptowährungen attraktiv erscheinen lässt, im Verhältnis zu Bankeinlagen aber unattraktiv bleibt. In der Tat ist es praktisch unmöglich, einen Zinssatz zu bestimmen, der den digitalen Euro verglichen mit einer Bankeinlage bei einer kriselnden Bank unattraktiv erscheinen ließe.

Eine Euro-Einlagensicherung mit europäischem Backstop

Um zu verhindern, dass ihre Einlagen in den digitalen Euro abfließen, benötigen Banken daher eine Euro-Einlagensicherung mit einem europäischen Backstop. Dies würde gedeckte Einlagen nicht nur vor dem Risiko eines Bankausfalls schützen, sondern auch, was vielleicht noch wichtiger ist, vor der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Behörden, Banken abzuwickeln, sobald diese nicht mehr tragfähig sind.

Wie das SAFE White Paper 85 klarstellt, kann eine europäische Einlagensicherung mit nur geringen zusätzlichen wirtschaftlichen Kosten eingeführt werden. Zu verdanken ist das der Höchstpriorität gedeckter Einlagen gemäß der Abwicklungsrichtlinie („Bank Recovery and Resolution Directive“, BRRD), dem Fortschritt, den Banken in Richtung der Einhaltung von Nachrangigkeitserfordernissen im Sinne der Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten („Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities“, MREL) gemacht haben, den Beiträgen, die Banken bereits zum einheitlichen Abwicklungsfonds („Single Resolution Fund“, SRF) geleistet haben, sowie der Garantie, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus den SRF ausstattet.

Alles, was noch getan werden muss, ist, den SRF zum einheitlichen Einlagensicherungssystem zu machen. Weiterhin ist die Abwicklung durch Bail-in zum einzigen bevorzugten Weg für den Umgang mit ausfallenden Banken zu machen, um die geordnete Liquidation im Rahmen einer solventen Abwicklungsstrategie zu erleichtern. Zuletzt sollte dafür gesorgt werden – indem die EZB zum einzigen Kreditgeber letzter Instanz gemacht wird –, dass Behörden keine Nachsicht üben und die Banken nicht über den Punkt der Unrentabilität hinaus aktiv sein lassen. Die von den nationalen Einlagensicherungssystemen angehäuften Mittel müssen nicht angerührt werden. Solche Systeme können und sollten ausschließlich als institutionelle Schutzsysteme fungieren.

Insgesamt würden diese Schritte die Sicherheit der Einlagen erhöhen, die Inanspruchnahme der Steuerzahlenden minimieren und die Finanzstabilität fördern. Und nicht zuletzt wäre es somit wahrscheinlicher, dass der digitale Euro nicht das Bankenwesen, wie wir es kennen, beendet, sondern eine Bankenunion einleitet, die sowohl Banken als auch die EZB einbezieht.


Thomas Huertas ist SAFE Senior Fellow und Fellow des Center for Financial Studies.

Dieser Blogpost basiert auf dem SAFE White Paper No. 85 „Reset required: The euro area crisis management and deposit insurance framework“, das im Rahmen der gezielten Konsultation zum CMDI-Rahmen durch die Europäische Kommission eingereicht wurde.

Blog-Einträge stellen die persönliche Meinung der Autoren:innen dar und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen wider.

Thomas F. Huertas

SAFE Senior Fellow