21 Jun 2022

Trübe Aussichten für Europas Finanzstabilität

Der jüngste Finanzstabilitätsbericht der Europäischen Zentralbank nennt Unternehmensbilanzen und Immobilienpreise als wunde Punkte

Seit dem zuletzt veröffentlichten Finanzstabilitätsbericht („Financial Stability Review“, FSR) der EZB, der die Entwicklungen von November 2021 bis Mai 2022 analysiert, haben sich die Ereignisse überschlagen: Zu den wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie sind die Konsequenzen der russischen Invasion in die Ukraine hinzugekommen, die Inflation hat sowohl in der Eurozone als auch in den USA stärker als erwartet zugelegt. Trotz der veränderten Rahmenbedingungen habe die aktuelle FSR-Bewertung nichts an Substanz eingebüßt, betonte John Fell, stellvertretender Direktor der EZB-Generaldirektion „Makroprudenzielle Politik und Finanzstabilität“, am 14. Juni in einem gemeinsamen Policy Web Seminar des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE und des Centre for Economic Policy Research: „Die Aussichten für die Finanzstabilität haben sich seit November 2021 aus mehreren Gründen verschlechtert.“

Moderiert von Loriana Pelizzon, Leiterin der SAFE-Forschungsabteilung „Financial Markets“, legte Fell während der Veranstaltung dar, dass etwa die Bilanzen des Unternehmenssektors und die Immobilienpreise bereits in der Vergangenheit Anlass zur Sorge waren. „Diese Schwachstellen haben sich allerdings verstärkt“, so der EZB-Vertreter, der seit dem Jahr 2004 maßgeblich an der FSR-Erstellung beteiligt ist. Die EZB veröffentlicht den Bericht zwei Mal jährlich.

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Dass sich die genannten und bekannten Schwachstellen als so hartnäckig erwiesen, könne zwar auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zurückgeführt werden. „Die Preise für Energie und andere Rohstoffe wurden aber schon vor Kriegsausbrauch durch eine Zunahme der Gesamtnachfrage getrieben“, fuhr Fell fort. Mit dem Einmarsch Russlands auf ukrainischem Gebiet habe sich die Entwicklung der „Slowflation“ – ein schrumpfendes Wirtschaftswachstum bei steigender Inflation – verstärkt, was wiederum die Finanzstabilität beeinträchtige. Die durch den Krieg ausgelöste globale Verknappung habe einige Rohstoffpreise weiter in die Höhe schnellen lassen. Dies habe zu Liquiditätsproblemen auf den Märkten für Rohstoffderivate geführt.

Dadurch wachsen die Kreditrisiken im Unternehmenssektor: „Die Unternehmen wurden durch die Invasion in der Ukraine mit einem neuen Schock konfrontiert und stehen im Euroraum jetzt unter Druck, da die Inputpreise steigen und sich die Wirtschaftsaussichten eintrüben“, erklärte Fell. Die Auswirkungen auf einzelne Sektoren und Länder dürften unterschiedlich sein. Vor allem hätten die Luftverkehrs-, Textil- sowie Lebensmittel- und Getränkeindustrie unter den steigenden Energiepreisen zu leiden. Gleichzeitig sei zu beobachten, dass die Hauspreisinflation seit Bestehen der Eurozone ein Allzeithoch erreicht habe. „Wir könnten in eine gefährliche Kreditspirale bei den Hauspreisen eintreten“, warnte Fell.

Makroprudenzielle Spielräume zur Krisenbewältigung nutzen

In Kombination mit dem Trend zu steigenden Energie- und Rohstoffpreisen warf Moderatorin Loriana Pelizzon die Frage auf, ob es angesichts sequenzieller Krisen an der Zeit sei, Maßnahmen wie den antizyklischen Kapitalpuffer als Instrument der Bankenaufsicht zu überdenken, der zur Resilienz von Banken beitragen soll. Laut aktuellem FSR hat sich die Rentabilität im Bankensektor seit Ende 2021 erholt, was jetzt aber ins Stocken geraten könnte, wenn Banken ihr Kapital nicht organisch wachsen lassen. „Unsere Empfehlung lautet, die makroprudenziellen Maßnahmen auf die vorhandenen Schwachstellen abzustimmen“, entgegnete Fell. Dabei könnten auch Regulierungsspielräume genutzt werden, um die Widerstandsfähigkeit von Banken aufrechtzuerhalten und auch die Ausstattung des antizyklischen Kapitalpuffers nach Möglichkeit zu erhöhen.

Außerdem wollte SAFE-Professorin Pelizzon wissen, was über makroprudenzielle Regulierungen hinaus getan werden könne, zumal andere Bereiche, wie der Investmentsektor, derzeit durchaus auf wackeligen Beinen stünden. Gerade für Investmentfonds sehe er Potenzial, mehr Stresstests durchzuführen, um so die Fähigkeit zur Schockabsorption zu erhöhen, sagte Fell.


 

Felix Kretz

Leiter Kommunikation