Die Folgen des Klimawandels gefährden auch die Finanzstabilität. Eine global einheitliche Berichterstattung von Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit ist dabei unerlässlich, um nachhaltige Anlageentscheidungen zu ermöglichen. Bei der ersten Sustainability Standards Watchers Conference am 12. Juli im House of Finance in Frankfurt diskutieren Wissenschaftler:innen und Vertreter:innen aus der Praxis, wie sich die Auswirkungen des Klimawandels messbar machen lassen, sodass Daten und Metriken weltweit geliefert und genutzt werden können, um Nachhaltigskeitsstandards verbindlich zu definieren.
Getragen wurde die Veranstaltung vom „Frankfurt Panel on Sustainability Research“ (FPSR), einem neu gegründeten Zusammenschluss von Wissenschaftler:innen des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE, der Goethe-Universität Frankfurt, des Senckenberg Biodiversität und Klima- Forschungszentrums (SBiK-F) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Konzipiert als Plattform für eine wissenschaftlich fundierte, kritische Beurteilung und Bewertung von Nachhaltigkeitsstandards, brachte die Konferenz die maßgeblich beteiligten Akteur:innen zum ersten Mal zu konkreten Fragestellungen zusammen.
Einen Tag lang tauschten sich bei den Diskussionen internationale Finanzwissenschaftler:innen, Klima- und Ökosystemforscher:innen, Jurist:innen sowie Vertreter:innen von Zentralbanken, Institutionen und Finanzindustrie aus. In seiner Keynote zur Konferenz stellte Robert Stambaugh, Finanzprofessor an der Wharton School of the University of Pennsylvania, Forschungsergebnisse zu den Entwicklungen erwarteter und tatsächlich realisierter Renditen grüner Anlagen in den vergangenen zehn Jahren vor. In Kombination mit den Paneldiskussion zeigte sich, dass neben wissenschaftlicher Expertise eine Kraftanstrengung von politischen Entscheidungsträger:innen, Regulatoren und Interessengruppen gefragt ist, da die Zeit drängt. Entgegen den bisherigen Spielregeln müssen nun schnell mehrere verschiedene Standardsetzungsprozesse gleichzeitig abgewickelt werden, die es zum Teil erst noch zu setzen und zwischen verschiedenen Zuständigkeitsbereichen zu koordinieren gilt.
Bei der Festlegung von Nachhaltigkeitsstandards müssen derzeit konkurrierende Institutionen koordiniert werden und kooperieren. Ähnlich wie der Klimawandel zu bisher noch nicht beobachteten Phänomenen führt, zählt das Erfassen, Dokumentieren und Berichten von Informationen für verbindliche Nachhaltigkeitsstandards zu einer neuen Disziplin, wie Patrick de Cambourg während der von SAFE-Direktor Jan Pieter Krahnen moderierten High-Level-Debatte betonte. Cambourg als Vertreter der Europäischen Beratungsgruppe zur Rechnungslegung („European Financial Reporting Advisory Group“, EFRAG), die der EU-Kommission fachliche Expertise im Prozess der Übernahme der internationalen Rechnungslegungsvorschriften für Unternehmen („International Financial Reporting Standards“, IFRS) liefert, teilte sich das Podium mit Sven Gentner von der EU-Kommission, Sue Lloyd aus dem Vorstand des „International Sustainability Standards Board“ (ISSB), und Martin Moloney, Generalsekretär der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden („International Organization of Securities Commissions“, IOSCO).
„Wir müssen an Boden gewinnen“
Cambourg bemerkte mit Blick auf die Analyse der Klimafolgen, dass sich zum Teil zwar noch keine finanziellen Konsequenzen beispielsweise bei Cashflows von Unternehmen quantifizieren ließen, sich das aber rasch ändern könne: „Wir haben Zeitdruck und müssen an Boden gewinnen.“ Er begrüßte den Ansatz des ISSB, wie Sue Lloyd ihn bei der Konferenz präsentierte, machte aber deutlich, dass global gesehen nicht alle Regionen über derart institutionelle Vorteile wie die EU verfügten, um dem ISSB-Ansatz zu entsprechen. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen, nahtlosen Zusammenarbeit aller beteiligten Akteur:innen liege dabei im Dialog.
„Unter dieser Zusammenarbeit verstehen wir global kompatible Informationen zu Nachhaltigkeit für Investoren im Einklang mit rechtlichen Anforderungen“, sagte Lloyd in direktem Bezug zu den Ausführungen des EFRAG-Vorstandsmitglieds. Das Ziel des ISSB bestehe darin, Investoren an den Kapitalmärkten die Möglichkeit zu bieten, bei größtmöglicher Transparenz der vorgegebenen Offenlegungspflichten, vergleichbare Entscheidungen zu treffen. Da diese Pflichten länderspezifisch seien, will das ISSB bis zum Spätjahr ein Bausteinkonzept umsetzen, wonach zunächst die Berichterstattung über alle Nachhaltigkeitsaspekte, die erhebliche positive oder negative Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Wirtschaft haben, im Vordergrund steht. Darauf würden dann eine Berichterstattung über diejenigen nachhaltigkeitsbezogenen Themen, die kurz-, mittel- und langfristig den Unternehmenswert steigern oder mindern können, sowie die dahingehenden Angaben in Jahresabschlüssen von Unternehmen aufbauen. „Unser Fokus liegt klar auf Investoren, für die diese Angaben ohne das ISSB gar nicht verfügbar wären“, so Sue Lloyd.
Zur Definition und dann möglichen Setzung von Nachhaltigkeitsstandards müsse ein datengetriebener Ansatz verfolgt werden, erklärte IOSCO-Generalsekretär Martin Moloney. Es gelte jetzt, ein global integriertes Datenmanagement zu etablieren, um Standardsetzungs- und Regulierungsprozesse miteinander in Einklang bringen zu können. Durch Metriken festgelegte Kennzahlen seien dabei die Erfolgskriterien, die von der Rechtsprechung durchgesetzt werden könnten. „Wir bewegen uns von der bisher freiwilligen Festlegung von Standards hin zu einer verbindlichen Festlegung von Standards durch die Politik“, sagte Moloney weiter, „das hat es so noch nicht gegeben“. Bislang habe das Momentum stets bei der Gesetzgebung gelegen, die durch mehr oder minder starke Regulierung Standards festgelegt habe, die dann von Unternehmen übernommen wurden. Das ändere sich nun im Zuge des Klimawandels.
Der Referatsleiter Unternehmensberichterstattung, Audit und Kreditratingagenturen in der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion der EU-Kommission, Sven Gentner, machte die komplexen Strukturen des Umsetzungsprozesses deutlich – und betonte, dass die EU-Kommission als Behörde einen sehr viel breiteren Umfang aufgrund der Vielfalt der beteiligten Akteure bei der Standardsetzung im Vergleich zum ISSB abdecke. „Wir müssen sicherstellen, dass Unternehmen nicht über verschiedene Arten von Standards berichten müssen“, so Gentner, es also eine redundante Berichterstattung der Unternehmen zu vermeiden gelte. Im europäischen Gesetzgebungsprozess müsse ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Rechtsrahmen gefunden werden. Erst dieses Gleichgewicht ermögliche die Definitionverbindlicher Zielsetzungen für Regulatoren und Unternehmen. Auf Basis dieser Ziele bekämen dann Investor:innen, Interessengruppen und Finanzmarktteilnehmer:innen gleichermaßen verlässliche Informationen geliefert, damit sie ihre Entscheidungen treffen könnten. „Dabei stehen wir unter enormem Zeitdruck“, meinte Gentner, „denn wir müssen dieses Problem in einem hohen Tempo lösen und parallel an verschiedenen politischen Stellschrauben drehen.“