23 Nov 2022

Der Einfluss von Zwischenhändlern auf die Wirtschaft

In einer SAFE LawLab-Veranstaltung diskutieren Wirtschaftswissenschaftler:innen und Jurist:innen darüber, wie die Columbia Law School-Professorin Kathryn Judge die Umgestaltung der Wirtschaft durch Zwischenhändler bewertet – von finanziellen Aspekten bis zu Konsumgütern

Kathryn Judge plädiert für einen Wandel hin zu einer direkteren Wirtschaft, also einem Kreislauf aus Produktion und Konsum ohne Zwischenhändler. Aus ihrer Sicht ist dies notwendig, um Produzenten und Kund:innen wieder mehr miteinander zu verbinden, sodass die durch Zwischenhändler verursachte Informationsasymmetrie minimiert wird. Die Professorin von der Columbia Law School und Autorin des Buches „Direct: The Rise of the Middleman Economy and the Power of going to the Source” präsentierte ihre Gedanken in einem LawLab Lunch, den das Policy Center des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE am 11. November 2022 veranstaltete. An Judges Vortrag schloss sich eine Diskussion mit den Rechtswissenschaftlern Hans Christoph Grigoleit (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Marc-Philippe Weller (Universität Heidelberg) sowie SAFE-Fellow Bernd Skiera (Goethe-Universität Frankfurt) an, der aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht kommentierte.

Judge begann mit einem Beispiel aus der Finanzbranche. Es gebe zwei eng miteinander verknüpfte Phänomene, die seit den 1980er Jahren zugenommen und zum Aufstieg der Zwischenhändlerwirtschaft beigetragen hätten: Während die Zahl der Banken in den USA zurückging, habe der Anteil der von den größten Banken gehaltenen Vermögenswerte – die drei größten halten etwa 40 Prozent – stark zugenommen. Judge erklärte, dass die Spezialisierung der Banken seinerzeit rentabel und Effizienzgewinne zu bringen schien. Ihrer Einschätzung nach kann dieses Beispiel auch auf andere Wirtschaftsbereiche übertragen werden. Große Zwischenhändler wie Walmart oder Amazon würden allmählich so mächtig, dass sie Einfluss auf das rechtliche Regelwerk nähmen und den Wandel hin zu einer Hyperspezialisierung in der zunehmenden Komplexität eines globalisierten Systems anschieben könnten.

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Die Komplexität von Lieferketten erhöht Informationsasymmetrie

Ein weiterer Aspekt, auf den Judge aufmerksam machte, ist die Tatsache, dass Lieferketten durch die Coronapandemie stark beeinträchtigt wurden, da die gestiegene europäische und US-amerikanische Nachfrage aufgrund strengerer chinesischer Vorschriften nicht gedeckt werden konnte. Je länger die Lieferkette sei, desto mehr Informationslücken könnten entstehen, so Judge. Daher seien politische Entscheidungsträger:innen während der Pandemie nicht in der Lage gewesen, mit dem Tempo mitzuhalten, da sie über bestimmte Aspekte im Unklaren waren. Heutzutage seien komplexe Lieferketten auch ein wichtiges Thema mit Blick auf Nachhaltigkeit.

Kund:innen erhielten möglicherweise nicht alle Informationen, die sie benötigen, um über die Auswirkungen eines Herstellers in den Bereichen Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG-Kriterien) zu entscheiden. Judge argumentierte: „Für eine mögliche Lösung des Problems müssen wir die Zwischenhändler und die direkte Wirtschaft überdenken. In meinem Buch lege ich daher den Schwerpunkt auf fünf Kernprinzipien, um eine Diskussion anzuregen, nämlich: Erstens ist Vermittlung wichtig, zweitens ist kürzer besser, drittens ist direkt ist am besten, viertens sind die zusätzlichen Kosten der Zwischenhändler zu beachten und fünftens können Brücken helfen.”

Im Anschluss an Judges Ausführungen startete die interessante und kontroverse Diskussion. So stellte Hans Christoph Grigoleit allgemein fest, dass die Frage des Machtmissbrauchs und damit zusammenhängende Aspekte wie das Abschöpfen übermäßiger Gewinne, die Verführung von Kund:innen und der Missbrauch von Daten und algorithmischer Kontrolle diskutiert werden müsse. Er sei „nicht überzeugt von Judges Schwerpunkt auf sozialem Wohlergehen, Gleichheit und ausgewogenem Lebensstil“, da er aus einer deutschen Perspektive heraus spreche.

Der Wegfall von Zwischenhändlern ist nicht die ultimative Lösung

Für Marc-Philippe Weller funktioniere die Idee einer Wirtschaft ohne Zwischenhändler „in Branchen wie der Blockchain-Technologie oder für bestimmte Plattformen, die Kundinnen und Kunden, Dienstleister oder Produzenten direkt zusammenbringen, aber es gibt den Nachteil, dass Zwischenhändler wichtige Funktionen erfüllen können, die nicht leicht ersetzbar sind, wenn sie wegfallen.“ Weller schlug daher vor, vor allem Zwischenhändler zu eliminieren, wo es helfe, die Scope-3-Emissionen, also die Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette von Unternehmen, einzusparen. Scope-3-Emissionen seien das Ergebnis von Aktivitäten und Anlagen, die sich nicht im Besitz oder unter der Kontrolle der berichterstattenden Unternehmen befinden, sondern die die Organisation indirekt in ihrer Wertschöpfungskette beeinflussen.

Bernd Skiera betonte, dass aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Zwischenhändler durchaus gefördert werden sollten, wie etwa Buchungsplattformen wie Booking.com oder Airbnb. „Es wäre einfach, die Zwischenhändler auszuschalten, aber in der Regel haben diese auch eine Funktion.“ Ohne Zwischenhändler würden so höhere Kosten auf Käufer:innen zukommen. Als Privatperson habe Skiera große Sympathie für die Kürzung der Zwischenhändler, aber als Wirtschaftswissenschaftler sehe er auch die Vorteile, die diese mit sich bringen.

Kathryn Judge fasste zusammen, dass nicht alle Wirtschaftsformen direkt sein sollten, aber die direkte Wirtschaft als Eckpfeiler betrachtet werden müsse. Sie bestätigte, dass Zwischenhändler nicht nur schlecht seien und nannte Plattformen, auf denen Waren verkauft werden können, wie etwa eBay, als positives Beispiel zum Beitrag des Übergangs der grünen Wirtschaft.