SAFE Finance Blog
22 Jun 2023

Was die Finanzindustrie zur Klimawende beitragen kann

Jan Pieter Krahnen: Eine vereinfachte Einteilung in grüne und braune Wertpapiere greift zu kurz. Der Finanzmarkt kann und muss eine umfassendere Rolle bei der Transformation spielen

Die Erderwärmung zu bremsen ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Damit dies gelingen kann, werden massive zusätzliche Investitionen in nachhaltige Energiegewinnung und -verwertung benötigt – und letztlich eine Veränderung einige unserer Lebensgewohnheiten. Auch der Finanzsektor gerät zunehmend unter Druck, einen Beitrag zu dieser Transformation hin zu einer „grünen“, d.h. nachhaltig ökologischen und klimaschützenden, Wirtschaft zu leisten. Doch welche Rolle kann das Finanzsystem spielen? Können grüne Investorenpräferenzen einen bedeutenden Beitrag leisten und inwieweit hängt der Erfolg der Transformation von einer grundlegenden gesetzgeberischen Arbeit ab? Die Antworten auf diese Fragen sind höchst kontrovers und werden auch in SAFE Policy Letter No. 101 thematisiert.

So wird beispielsweise von Seiten der Fondsindustrie argumentiert, dass eine gezielte Strukturierung von Anlegerportfolios hin zu grünen Unternehmen deren Finanzierungskonditionen und damit auch deren Wachstumsaussichten im Vergleich zu „braunen“ Firmen verbessern kann und damit einen wichtigen Beitrag zur Transformation leisten kann. Dieser Argumentation ist aber aus ökonomischer Sicht entgegenzuhalten, dass eine Zusammenstellung grüner Wertpapiere in einem Portfolio kaum geeignet ist, einen Einfluss auf deren relative Preise zu nehmen.

Normalerweise sorgt ein liquider Wertpapiermarkt dafür, dass Umschichtungen zwischen Anlegerportfolios keinen Preiseffekt haben werden. Selbst wenn es einen Nachfrageüberhang für grüne Wertpapiere geben sollte, und es deshalb zu einer Verringerung der erwarteten Rendite dieser Wertpapiere kommt, wird eine dauerhafte Bereitschaft der Anleger vorausgesetzt, einen „warm glow“ anstelle einer wiederkehrenden Dividende zu akzeptieren.

Verlässliche Metriken, Messwerte und Berichtswesen fehlen bislang

Es kommt erschwerend hinzu, dass nach den heute üblicherweise praktizierten Verfahren zur Bildung grüner Anlegerportfolien nicht auf die Veränderung der klimaschädlichen Emissionen, sondern auf deren Niveaus abgestellt wird. Eine Messung der verursachten Veränderung würde wissenschaftlich basierte Metriken, umfassend erhobene Messwerte sowie ein vertrauenswürdiges Berichtswesen voraussetzen – die allesamt bisher nicht gegeben sind.

Nicht zuletzt gibt es das Zurechnungsproblem: eine direkte Verknüpfung einer bestimmten Finanzierungsmaßnahme mit einer einzelnen (grünen) Investitionsentscheidung ist nur schwer nachzuweisen – und daher weitgehend willkürlich.

Die vorgenannten Kritikpunkte legen eine ordnungspolitisch eingegrenzte Rolle der Finanzwirtschaft nahe, die sich als Brücke mit drei stützenden Pfeilern darstellen lässt (siehe Abbildung). Säule 1, Wirtschaft und Haushalte, liefert die Datenbasis zur Erfassung der Klimabelastung auf Firmen- und Haushaltsebene. Säule 2, die Politik, beschreibt die regulatorischen Rahmenbedingungen, die versehen mit einer demokratischen Legitimation für Firmen und Haushalte gesetzt werden, um Richtung und Geschwindigkeit der Transformation festzulegen. Säule 3, das Finanzsystem, mobilisiert die notwendigen Investitionsmittel und verteilt diese auf Firmen und Haushalte.

Abbildung: Rolle der Finanzwirtschaft
Die Abbildung zeigt eine ordnungspolitisch eingegrenzte Rolle der Finanzwirtschaft als Brücke mit drei stützenden Pfeilern: Säule 1, Wirtschaft und Haushalte, liefert die Datenbasis zur Erfassung der Klimabelastung auf Firmen- und Haushaltsebene. Säule 2, die Politik, beschreibt die regulatorischen Rahmenbedingungen, die versehen mit einer demokratischen Legitimation für Firmen und Haushalte gesetzt werden, um Richtung und Geschwindigkeit der Transformation festzulegen. Säule 3, das Finanzsystem, mobilisiert die notwendigen Investitionsmittel und verteilt diese auf Firmen und Haushalte.

Bei den grundlegenden Aufgaben in Säule 1 ist vor allem die Wissenschaft aufgefordert, für einheitliche Messverfahren auf Firmen und Haushaltsebene zu sorgen, bspw. bezüglich Treibhausgasemissionen oder Verlusten an Biodiversität. In Säule 2 findet sich die politisch bestimmte und laufend aktualisierte Rahmensetzung für wirtschaftliches Handeln – ganz im Sinne einer ordnungspolitischen Grundorientierung. So kann die Regierung beispielsweise unternehmensbezogen Zeit- und Mengenvorgaben für die Erreichung eines Netto-Null-Emissionsziels festlegen und deren Offenlegung bestimmen.

Wenn belastbare Daten über die verursachungsgerechte Zurechnung von Umweltschäden sowie klare und langfristige Regelungen von klimabezogenen Grenzwerten für Unternehmen vorhanden sind, dann kann der Finanzmarkt als 3. Säule die Auswirkungen individueller Schadensbeiträge auf spätere finanzielle Erträge und Risiken abschätzen – und damit die angestrebte Internalisierung der Umweltexternalitäten ermöglichen. Diese Leistungen des Finanzsektors werden nicht nur durch die Preissetzung am Kapitalmarkt für börsennotierte Unternehmen ermöglicht, sondern ganz analog durch die Konditionengestaltung für Bankkredite, und damit für kleine und mittelständische Unternehmen sowie für Haushalte.

Das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieses Transformationsprozesses wird durch das regulatorische Rahmenwerk vorgegeben, denn dieses beeinflusst maßgeblich, welche Aktivität ertragsstark sein kann, und welche nicht. Die Politik als Regelsetzer ist bei dieser „Transformationsbrücke“ auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie – und nur sie – die notwendige demokratische Legitimation für weitreichende Eingriffe in das Marktgeschehen liefern kann. Das natürliche Gewinnstreben der Firmen lenkt dann auch die Investitionsmittel dorthin, wo Unternehmen die regulatorisch geforderten Grenzwerte auf möglichst effiziente Weise erreichen können.

Finanzinstitutionen und -märkte als tragende Säule des Transformationsprozesses

Auf die eingangs gestellte Frage nach der Rolle des Finanzsystems für die grüne Transformation kann nun eine klare Antwort gegeben werden: Finanzinstitutionen und -märkte sollten als tragende Säule des Transformationsprozesses angesehen werden; sie wirken komplementär zu Unternehmen und Haushalten, die laufend Daten zur Umweltbelastung liefern, und sie wirken auch komplementär zum politischen Entscheidungsprozess, in dem die regulatorischen Regeln für Richtung und Geschwindigkeit des Transformationsprozesses  demokratisch legitimiert festgelegt werden.

Diese Charakterisierung der Rolle des Finanzsektors macht deutlich, dass ohne verlässliche Daten, an denen es heute mangelt, und ohne klare und stabile politische Rahmensetzung, an der es auch wegen des Datendefizits heute ebenfalls mangelt, er keinen sinnvollen Eigenbeitrag zur Klimawende leisten kann – dies gilt ganz besonders für institutionelle Investoren, die in einer grünen Anlagestrategie auf die simple Einteilung in „grüne“ und „braune“ Firmen aufbauen.


Jan Pieter Krahnen ist SAFE-Gründungsdirektor und Professor i.R. für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt.

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 19. Juni 2023 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht.

Prof. Dr. Jan Pieter Krahnen

Gründungsdirektor emeritus