SAFE Finance Blog
12 Apr 2022

Nationale Interessen und supranationale Abwicklung in der europäischen Bankenunion

Die Entscheidung über die Abwicklung europäischer Banken sollte vollständig auf supranationaler Ebene getroffen werden, um die Dominanz nationalstaatlicher Interessen zu unterbinden

Der EU-Rahmen für das Krisenmanagement von Banken zielt darauf ab, im gemeinsamen Interesse des Binnenmarktes die bestmöglichen Lösungen zu finden. Der einheitliche Abwicklungsmechanismus („Single Resolution Mechanism“, SRM), die zweite Säule der europäischen Bankenunion, stellt eine institutionelle Ergänzung zu den in der Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten („Bank Recovery and Resolution Directive“, BRRD) festgelegten materiellen Vorschriften und Standards dar. Das Hauptmerkmal des SRM ist, dass der Einheitliche Abwicklungsausschuss („Single Resolution Board“, SRB), eine supranationale Behörde, den Abwicklungsrahmen in den teilnehmenden Mitgliedstaaten anwendet und durchsetzt und zu Finanzierungszwecken auf den einheitlichen Abwicklungsfonds („Single Resolution Fund“, SRF) zurückgreifen kann.

In unserem kürzlich veröffentlichten SAFE Working Paper untersuchen wir, ob der Rahmen für das Bankenkrisenmanagement der europäischen Bankenunion tatsächlich verhindern kann, dass sich nationale Interessen bei grenzüberschreitenden Bankenzusammenbrüchen durchsetzen. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass die Zurückhaltung des SRB, sich Fällen  anzunehmen, als Reaktion auf den anhaltend starken Einfluss nationaler Interessen bei der supranationalen Bankenabwicklung gesehen werden sollte. Die Aussicht, gegen Sonderwünsche von Mitgliedstaaten ankämpfen und ihnen zumindest teilweise nachgeben zu müssen, veranlasst hauptamtliche SRB-Vorstandsmitglieder, sich von strittigen Abwicklungsentscheidungen fernzuhalten, indem sie ein öffentliches Interesse an einer supranationalen Abwicklung ablehnen. Diese Anreizstruktur spricht gegen eine umfassende Anwendung des SRM-Rahmens mit seinen anspruchsvollen Anforderungen an die Verlustübernahme durch den privaten Sektor (mindestens acht Prozent Bail-in).

Viele Einfallstore für nationale Sonderinteressen

Wir analysieren zunächst die internen Governance-Regelungen und Entscheidungsverfahren des SRB und zeigen, dass sich nationale Interessen in kritischen Fragen durchsetzen können. Die Zusammensetzung der SRB-Plenarsitzung ermöglicht die Bildung von Koalitionen zwischen den Mitgliedstaaten, was dazu führen kann, dass supranational entwickelte Abwicklungspläne nicht umgesetzt werden, wenn sie nicht mit den nationalen Interessen übereinstimmen. Die Plenarsitzung beschließt letztlich über alle Abwicklungskonzepte, die eine erhebliche Finanzierung aus dem SRF erfordern, einschließlich der Bereitstellung von Liquidität. Damit haben die Mitgliedstaaten in vielen kritischen Fällen ein gewichtiges Wort mitzureden. Der SRB hat wiederholt supranationale Abwicklungen in Fällen abgelehnt, in denen die staatliche Förderung den relevanten Schwellenwert von fünf Milliarden Euro erreicht oder überschritten hat.

Ebenso können gegensätzliche nationale Interessen in der Umsetzungsphase der vom SRB ausgearbeiteten Abwicklungskonzepte von Bedeutung sein. Wir erläutern, dass die Aufteilung der Kompetenzen und Befugnisse zwischen dem SRB und den nationalen Abwicklungsbehörden („National Resolution Authorities“, NRA) sowie die Kompetenzverflechtungen mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat viele Einfallstore für nationale Sonderinteressen bieten, die eine supranationale Abwicklung behindern können. Dies wiederum führt zu unattraktiven Perspektiven für den SRB: Die Aussicht, Abwicklungspläne gegen widerstrebende NRA durchsetzen zu müssen, kann den SRB dazu veranlassen, die Zuständigkeit für solche Fälle von vornherein abzulehnen.

Eine ehrgeizigere Zentralisierung ist notwendig

Wir zeigen, dass die Bewertung des öffentlichen Interesses („Public Interest Assessment“, PIA), die der SRB in seiner Exekutivsitzung durchführt, bevor er die Abwicklung auslöst, es den hauptamtlichen SRB-Mitgliedern ermöglicht, Abwicklungsfälle effektiv zu vermeiden, die nationale Ressentiments hervorrufen könnten. Bei einer negativen PIA werden die Fälle an die nationale Ebene verwiesen, die weniger strenge Anforderungen an die Verlustübernahme durch den Privatsektor stellt und mehr Spielraum für staatliche Rettungsmaßnahmen bietet. Unsere Analyse zeigt, dass der Weg zum nationalen Krisenmanagement bereits in der Abwicklungsplanungsphase vorgezeichnet werden kann. Nach einer negativen vorläufigen PIA kann der SRB die Liquidation nach nationalem Recht als bevorzugte Strategie vorbereiten, wodurch es de facto unmöglich wird, zu einer Abwicklung zurückzukehren, sobald die Bank scheitert.

Schließlich dokumentieren wir, dass der SRF auch nach der Ratifizierung der Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und der Einführung der SRF-Letztsicherung ("backstop facility")nicht in der Lage ist, die nationale Dominanz bei der supranationalen Abwicklung und die drohenden Reibungsverluste zu überwinden. Die begrenzte autonome Feuerkraft des SRF und die Entscheidungsregeln für die Nutzung der ESM- Letztsicherung sorgen erneut für ein deutliches Übergewicht der Mitgliedsstaaten. Darüber hinaus kann die teilweise Aufteilung der Verluste auf die teilnehmenden Mitgliedstaaten zu unverhältnismäßigen Belastungen führen, die den nationalen Widerstand gegen Abwicklungspläne, die erhebliche SRF-Beiträge erfordern, verstärken können.

Eine ehrgeizigere Zentralisierung ist notwendig, um ein unparteiisches europäisches Bankenkrisenmanagement im Interesse des Binnenmarktes zu stärken. Daher schlagen wir eine vollständige Supranationalisierung der Abwicklungsentscheidungen vor, um die schädliche Dominanz nationaler Interessen bei grenzüberschreitenden Bankenzusammenbrüchen zu überwinden, die sich negativ auf die soziale Wohlfahrt auswirken.


Anastasia Kotovskaia ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am SAFE Policy Center und promoviert derzeit in Rechtswissenschaften an der Goethe-Universität.

Tobias Tröger leitet das Forschungscluster „Law & Finance“ am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE und ist Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, und Rechtstheorie an der Goethe-Universität Frankfurt.

Dieser Beitrag wurde zuerst im Oxford Business Law Blog in englischer Sprache veröffentlicht.

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen.