SAFE Finance Blog
11 Feb 2022

Nachhaltigkeitsziele und Wettbewerbsrecht zwischen Einklang und Einschränkungen

Einige Länder haben Leitlinien zur Nachhaltigkeit bereits gesetzlich verankert. In Deutschland überwiegt dagegen noch Skepsis. Es gibt allerdings gangbare Möglichkeiten

In Österreich und den Niederlanden ist Nachhaltigkeit seit 2021 fest im Kartellgesetz beziehungsweise entsprechenden Leitlinien verankert. Nach dem novellierten österreichischen Kartellgesetz werden demnach bei der Beurteilung der wettbewerblichen Wirkungen von Kooperationen Beiträge zu einer “ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft” im Rahmen der Frage berücksichtigt, ob Verbraucher:innen angemessen an den (Effizienz-)Vorteilen einer wettbewerbsbeschränkenden Kooperation teilhaben. Auch andere europäische Länder sowie die Europäische Kommission arbeiten an einer Reform ihrer Leitlinien insbesondere für zulässige Unternehmenskooperationen.

In Deutschland werden diese Entwicklungen bislang noch skeptisch betrachtet. Diese Skepsis wird von vielen Ökonomen geteilt, die hierin unter anderem eine Vermischung von Aufgabenbereichen und Zuständigkeiten sehen. Diese Kritik ähnelt derjenigen, die gegen die Bestrebungen anderer europäischer Institutionen, wie der Europäischen Zentralbank (EZB), vorgebracht werden, die Nachhaltigkeit im Rahmen ihrer bisherigen Ziele oder aber als Ergänzung dieser verfolgen wollen.

Verschränkung mit zunehmenden Anforderungen an Unternehmen

Die Kritik an einer Reform des Wettbewerbsrechtes bleibt aber oft nur reflexhaft, und sie ignoriert zudem den größeren Zusammenhang. Denn diese Entwicklungen verschränken sich mit der zunehmenden Bereitschaft in Gesellschaft und Politik, der Wirtschaft Nachhaltigkeit ins Pflichtenheft zu schreiben. Dies geschieht zum einen über konkrete gesetzliche Vorgaben, so durch entsprechende Umweltauflagen oder aber zum Beispiel durch das im Jahr 2021 verabschiedete deutsche Lieferkettengesetz (wobei das voraussichtlich weiter gefasste, europäische Pendant noch aussteht).

Allerdings beschränken sich die zunehmenden Erwartungen und Anforderungen, die Bürger:innen und Politiker:innen vermehrt an die Wirtschaft stellen, auch nicht in der Erfüllung des allein gesetzlich Geforderten. So sieht die EU-Kommission zur Verwirklichung des sogenannten „Green Deal“ die Industrie mit in der Verantwortung. Auf Unternehmen wird zudem zunehmend Druck von Investor:innen und anderen Stakeholdern, einschließlich der Arbeitnehmer:innen, ausgeübt, dass sie ihre Geschäftsmodelle nachhaltiger gestalten.

Wettbewerbsrecht als möglicher Engpass

Zur Erreichung dieser Ziele können allerdings Maßnahmen erforderlich sein, die eine Beschränkung des Wettbewerbs darstellen, so horizontale und vertikale Kooperation und Verhaltensbeschränkungen. Das betrifft etwa eine im Einzelfall notwendige Beseitigung des „First-Mover-Problems“ bei Produkteinführungen oder Informationsaustausch und Verpflichtungen hinsichtlich der Kooperation bei Nachhaltigkeitslabeln oder der Etablierung von Ethik- und Nachhaltigkeitsstandards zur Umsetzung von Pflichten aus dem Lieferkettengesetz.

In gängiger Praxis kann dies nur dadurch salviert werden, dass Verbraucher:innen andererseits auch Vorteile erwachsen, die in der Regel höheren Preisen entgegenwirken müssen, so etwa die Realisierung von Kosteneffizienzen. In einem solch engen Korsett ist für Nachhaltigkeitsüberlegungen bislang wenig Platz. Der traditionellen Kartellrechtspraxis fehlt daher derzeit noch weitgehend ein Instrumentarium, um solchen Kooperationsformen mit dem Ziel von Nachhaltigkeit hinreichend Rechnung zu tragen. Es besteht daher die Gefahr, dass die geltenden Enforcement-Prinzipien den Transformationsprozess hin zu mehr Nachhaltigkeit behindern.

Möglichkeiten einer weitergehenden Berücksichtigung von Nachhaltigkeit ohne Zielkonflikt

In einer Reihe gemeinsamer Arbeiten haben wir dargestellt („Technical Report”; „Integrating Sustainability Benefits”; „Prospective Welfare Analysis”; „Reflective Willingness to Pay”; „Social Norms”; „Externalities”), dass allerdings selbst innerhalb des existierenden Kartellrechts Nachhaltigkeitsziele stärkere Geltung erlangen können – und dies, ohne dass den Kartellbehörden Nachhaltigkeit als zusätzliches oder gar gleichgestelltes Ziel auferlegt werden muss. Zunächst sehen wir ein erhebliches Potenzial für eine Anpassung der Analysemethoden zur – gegebenenfalls generationenübergreifenden – Ermittlung der Zahlungsbereitschaft von Konsument:innen für mitunter komplexe Nachhaltigkeitsanliegen.

Die gängigen wettbewerbsökonomischen Ansätze riskieren, dies erheblich zu verkürzen – anders als Ansätze, die bereits seit Jahrzehnten in Kosten-Nutzen-Analysen der Wettbewerbs- und Ressourcenökonomie Verwendung finden. Hierbei ist auch ein wesentlicher Ansatzpunkt die Ermittlung von Nachhaltigkeitspräferenzen außerhalb einer durch geringe Information und Aufmerksamkeit geprägten Kaufsituation. Wir haben auch die Möglichkeit einer Präferenzerhebung diskutiert, durch die negative Externalitäten anderer Konsument:innen mitberücksichtigt werden. Auch hier lassen sich gegebenenfalls Ergebnisse gewinnbringend in den Finanzbereich transferieren, unter anderem da sich auch dort die Frage sogenannter „grüner Präferenzen“ zunehmend stellt.

Mit einer solchen Ausweitung des Konzeptes des Verbrauchernutzens sowie des entsprechenden empirischen Instrumentariums kann damit Nachhaltigkeit stärker berücksichtigt werden, ohne dass das Mandat der Wettbewerbsbehörden überfrachtet wird. Auch hier gibt es Analogien im Finanzbereich, so im Rahmen der Instrumente der Geldpolitik oder aber der Finanzstabilität.

Primat der Politik bei einer weitergehenden Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen

Gleichwohl zeigen unsere Arbeiten auch, dass Inhalt und Zweck des Wettbewerbsrechts der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen klare Grenzen vorgeben. Ein sogenannter „multi-goals approach“, bei dem die Wettbewerbsbehörden Ziele wie Verteilungsgerechtigkeit oder ökologische Nachhaltigkeit mit dem der Gewährleistung von Wettbewerb im Verbraucherinteresse gleichberechtigt verfolgen sollen, muss bereits an einer mangelnden gemeinsamen Metrik scheitern.

Allerdings bieten sich bei klar formulierbaren gesellschaftlichen Belangen von besonderem Interesse andere Rechtsinstrumente an, um kartellrechtlichen Wettbewerbsschutz und Nachhaltigkeitsziele zu versöhnen. Dies erlaubt im engen Zuschnitt die sogenannte „ancillary restraints“-Doktrin. So kann im Zusammenhang mit der Umsetzung des Lieferkettengesetzes ein Informationsaustauch kartellrechtlich erlaubt sein, wenn er notwendig ist, um zu verhindern, dass sich Unternehmen ansonsten aus bestimmten Ländern zurückziehen und mit dortigen Lieferanten überhaupt keine Geschäftsbeziehungen mehr unterhalten. Ein solches Ausweichen würde dem Zweck des Gesetzes zuwiderlaufen, dort zu einer Verbesserung der Standards beizutragen.

Die Politik könnte sich auch auf ein sehr konkretes Ziel verständigen, wie die Reduktion von Feinstaubpartikeln in Innenstädten in einem bestimmten Zeitrahmen zu senken ist, um ein klar umrissenes Nachhaltigkeitsprojekt zu definieren, dessen Umsetzung dann gegebenenfalls ein koordiniertes Vorgehen von Unternehmen erfordert und auch erlaubt. Das Konzept der marginalen Vermeidungskosten bietet hier eine Metrik, die, falls sie entsprechend gesetzlich verankert wird, das Nachhaltigkeitsziel mit dem Wettbewerbsziel kommensurabel machen kann. Hierfür sind allerdings konkrete gesetzliche Vorgaben der Politik notwendig, die sich damit gerade nicht mit einem Verweis auf den eigenständigen Beitrag der Wirtschaft exkulpieren kann. Auch hier sind die Parallelen etwa in Hinblick auf die Aufgabenstellung der EZB offensichtlich.


Roman Inderst ist Professor für Finanzen und Ökonomie im House of Finance der Goethe Universität Frankfurt.

Stefan Thomas ist Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Wettbewerbs- und Versicherungsrecht an der Universität Tübingen sowie Direktor am Tübingen Research Institute on the Determinants of Economic Activity (TRIDEA).

Dieser Blogbeitrag basiert auf dem SAFE Policy Letter No. 94 „Nachhaltigkeit und Wettbewerb: Zu einer Reform des Wettbewerbsrechts für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen“.

Blogbeiträge stellen die persönliche Meinung der Autoren:innen dar und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen wider.