SAFE Finance Blog
15 Aug 2023

Geld mit der Gießkanne kauft keine realen Standortvorteile

Alfons Weichenrieder: Der vom Wirtschaftsministerium geplante Brückenstrompreis zur Entlastung der deutschen Industrie verwaltet den Mangel statt in die Energieinfrastruktur zu investieren

In den letzten 24 Monaten haben zwei Entwicklungen den deutschen Strompreis maßgeblich nach oben getrieben:

Zum einen gab es ab der zweiten Jahreshälfte 2021 einen rasanten Anstieg des Erdgaspreises. Dieser erhöhte die Kosten für erdgasbetriebene Kraftwerke und verteuerte den gesamten Großhandelspreis für Strom, weil meist die Erdgaskraftwerke als marginale Produzenten preisbildend sind. Dieser Grund für hohe Strompreise ist weitgehend entfallen. Zuletzt ist der europäische Großhandelspreis für Erdgas aber wieder auf das Niveau von September 2019 gefallen. Kostennachteile bestehen weiterhin gegenüber den USA, die im Gegensatz zu Deutschland in die heimische Gasproduktion investiert haben, nicht dagegen gegenüber Asien.

Zum anderen ist der CO2-Preis im europäischen Zertifikatehandel seit Ende 2020 von ca. 24 Euro auf rund 90 Euro am aktuellen Rand gestiegen. Diese Preiserhöhung hat einen nachhaltigen Effekt auf den Großhandelspreis am Strommarkt und bedeutet für Gaskraftwerke zusätzliche Grenzkosten von 4 ct/kWh und mehr. Gegenüber den Jahren vor der Energiekrise ergibt sich allein daraus in etwa eine Verdopplung des Großhandelspreises am Strommarkt. Letztlich ist dieser Preisanstieg politisch gewollt, auch wenn solche Kosten, die sich aus einer steigenden CO2-Bepreisung ergeben, in den meisten anderen Teilen der Welt – zumindest auf diesem Niveau – nicht existieren. 

Beihilfen für energieintensive Industrie

Während gerade über das Arbeitspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und dessen Vorschlag eines Brückenstromtarifs für die Industrie, also vorübergehend verbilligtem Strom für mehr Wettbewerbsfähigkeit, diskutiert wird, hat Deutschland in diesem Jahr bereits knapp drei Milliarden Euro an Beihilfen an die stromintensive Industrie bereitgestellt, ohne dass dies in dem BMWK-Papier auch nur erwähnt wird. Bei diesen drei Milliarden handelt es sich um Mittel für die so genannte Strompreiskompensation, die für bestimmte, besonders stromintensive Industrien einen Ausgleich dafür schaffen soll, dass der europäische CO2-Handel den Strompreis, wie gerade ausgeführt, inzwischen deutlich erhöht. Da der CO2-Preis bereits gestiegen ist, ist absehbar, dass die Mittel 2024 auf fast 5 Milliarden anwachsen müssten, um den Preisanstieg abzufedern. Das Kabinett hat am 9. August im Umlaufbeschluss dafür 2,6 Mrd. eingeplant.

Die Konstruktion der Strompreiskompensation, eine staatliche Beihilfe für indirekte CO2-Kosten, die im Gegensatz zu den neuen BMWK-Vorschlägen bereits europäisch abgestimmt ist, mag nicht perfekt sein. Im Gegensatz zum Gießkannenprinzip der vom BMWK zum Vorbild ernannten „Besonderen Ausgleichsregelung“ bestimmt es die relevanten Sektoren aber noch vergleichsweise zielgenau. Darüber hinaus adressiert es einen Nachteil, der in der politischen Bepreisung liegt. Das Instrument versucht nicht, gegen reale Kostennachteile anzusubventionieren.

Die Mammutaufgabe einer klimaneutralen Stromversorgung

Deutschland hat sich trotz gigantischer Herausforderungen entschieden, grundlastfähige, funktionsfähige Kraftwerke stillzulegen und hat damit das Vertrauen der stromintensiven Industrien in den Standort sicher nicht gestärkt. Die CO2-freie Stabilisierung der Stromversorgung ist eine Mammutaufgabe und erfordert einen teuren und technologisch noch nicht ausgereiften Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft, der 2030 sicher nicht abgeschlossen sein wird, schon weil die Infrastruktur dafür noch nicht einmal in Ansätzen vorhanden ist. Deutschland, das weder besonders viel Wind, Sonne oder nennenswerte Stauseen zu bieten hat, sollte daher besser seine Mittel investieren, statt neue, schuldenfinanzierte Subventionen auszuschütten, die reale Kostennachteile nicht verringern, sondern nur notdürftig überdecken.


Alfons Weichenrieder ist Professor für Finanzwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und SAFE Fellow.

Dieser Artikel erscheint auch als Teil der Reihe „Pro&Contra“ bei Wirtschaftsdienst – Zeitung für Wirtschaftspolitik.

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