SAFE Finance Blog
21 Sep 2023

Einlagensicherung in Deutschland: Ein Modell für Europa?

Jan Pieter Krahnen: Es wird oft nach dem Modellcharakter des deutschen Bankensystems für Europa gefragt – dafür gibt es ein positives Beispiel

Seit es vor wenigen Monaten in den USA, England und der Schweiz zu plötzlichen Einlagenfluchten (Bank-Runs) und anschließenden, umfangreichen Rettungsaktionen seitens des Staates bzw. der US-Aufsichtsbehörde FDIC gekommen ist, stehen Form und Umfang der Einlagensicherung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Europäische Kommission hat hierzu einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der derzeit diskutiert wird.

Erinnern wir uns: Dramatische Einlagenfluchten, wie man sie sonst nur aus verstaubten Lehrbüchern kennt, waren erst kürzlich in Echtzeit zu beobachten, beginnend bei der kalifornischen Silicon Valley Bank, gefolgt von der New Yorker Signature Bank und der schweizerischen Credit Suisse.

Keines dieser Institute hat die Einlagenflucht überlebt, zugleich wurden umfassende Rettungsaktionen und in allen Fällen eine schlagartige Ausweitung der Sicherungszusage nötig, um die Anlegerinnen und Anleger von weiteren Mittelabflüssen abzuhalten.

Bank-Runs lassen sich ausschließen

Dies ist also ein guter Moment, um daran zu erinnern, dass Deutschland bereits seit Jahrzehnten ein Sicherungsmodell entwickelt und angewendet hat, das Einlagenfluchten bzw. Bank-Runs wie in den USA oder der Schweiz praktisch ausschließt. Wir wollen daher fragen, inwieweit das deutsche Modell auch für andere Länder und die Eurozone eine Vorbildfunktion haben kann und soll.

Die Besonderheit, um nicht zu sagen: weltweite Einzigartigkeit des „deutschen Modells der Einlagensicherung“ ergibt sich aus der in ihrer Höhe de-facto unbeschränkten Sicherungszusage für Einleger. Diese de-facto Einlagengarantie wird bei den am deutschen Bankenmarkt dominierenden Verbünden (Sparkassen und Genossenschaften haben einen Depositenmarktanteil von 80 Prozent) durch die sogenannte Institutssicherung erreicht.

Um konkurrenzfähig zu bleiben, hat auch die dritte „Säule“ des deutschen Bankwesens (Privatbanken, mit Depositenmarktanteil unter 20 Prozent) schon in den 1980er Jahren ihre Sicherungszusage von den europaweit üblichen 100.000 Euro je Kontoinhaber auf einen sehr viel höheren Betrag ausgeweitet. Bei der Deutschen Bank zum Beispiel belief sich die Schutzgrenze bis vor kurzem auf sechs Milliarden Euro je Kontoinhaber, und wurde in diesem Jahr auf immer noch stolze fünf Millionen Euro für natürliche Personen und 50 Millionen Euro für Unternehmen gekürzt.

Deutschlands Einlagensicherung als Vollkasko-Modell

Das deutsche Vollkasko-Modell der Einlagensicherung trägt – so darf man vermuten – wesentlich dazu bei, dass schockartige Einlagenabzüge von Sichteinlegern in Deutschland nicht zu erwarten waren und sind – zumindest nicht seitens der Einleger, für die diese umfassende Garantiezusage gilt. Dies betrifft bei den Verbünden konstruktionsbedingt grundsätzlich alle Kontoinhaber, egal ob natürliche Personen oder Firmen, egal ob klein oder groß. Bei den Privatbanken gilt die umfassende Garantie heute nur noch in den oben genannten Grenzen.

Die guten Erfahrungen mit einer umfassenden Einlagengarantie in Deutschland untermauern den unlängst von SAFE vorgelegten Vorschlag zur Reform der europäischen Einlagensicherung. Dort wird mit einer entscheidenden Einschränkung die Ausdehnung des Vollkasko-Modells der Einlagensicherung auf alle Banken Europas gefordert. Die entscheidende Einschränkung bezieht sich auf die Furcht vor erhöhten Kreditrisiken. Um erhöhte Kreditrisiken auszuschließen, wird gefordert, dass alle Institute neben der umfassenden Garantie von Sichteinlagen eine separate Anlagekategorie besitzen müssen, die de-facto haftendes Fremdkapital darstellt.

Bail-in Fremdkapital als Hebel für Marktdisziplin

Dieses sogenannte Bail-in Fremdkapital soll, in den Händen risikobewusster Investoren, für das notwenige Quäntchen Marktdisziplin sorgen, ohne welches wir nicht von einer marktwirtschaftlichen Rechtsordnung des Bankensektors sprechen könnten. Es trifft sich gut, dass diese Zusatzregelung bereits in der europäischen Rahmenordnung der Abwicklungsrichtlinie BRRD fest verankert ist.

Damit bleibt festzuhalten, dass wir mit der in Deutschland geschaffenen, quasi-Vollkaskoabsicherung von Bankeinlagen eine funktionsfähige Regelung gefunden haben, die als Rollenmodell für die übrigen europäischen Länder taugt und deshalb in die laufende Reformdebatte zum europäischen Rahmen für Krisenmanagement und Einlagensicherung („Crisis Management and Deposit Insurance“, CMDI) mit Nachdruck eingebracht werden kann.  

Dabei ist aber auch darauf zu achten, dass zum Schutz vor Risikoanreizen (Moral Hazard) parallel für jedes Institut einzeln (bzw. für jeden Verbund insgesamt) neben dem Eigenkapital ein ausreichend hohes finanzielles Polster aus Bail-in Fremdkapital vorzuhalten ist. Dann, und nur dann, kann die Abschirmung von Banken gegen Run-Risiken harmonisch einhergehen mit ihrer Öffnung gegenüber Marktdisziplin und Bankenrestrukturierung.


Jan Pieter Krahnen ist SAFE-Gründungsdirektor und Professor i.R. für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt.

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen.

Dieser Beitrag wurde zuerst unter dem Online-Portal des Wirtschaftsmagazins Capital veröffentlicht.

Prof. Dr. Jan Pieter Krahnen

Gründungsdirektor emeritus