SAFE Finance Blog
05 Mar 2019

Die Risiken von Staatsanleihen in Zentralbankbilanzen sollten nicht übertrieben werden

Target-Debatte: Jan Krahnen antwortet Hans-Werner Sinn und Clemens Fuest: Wir sollten aufhören, lösbare Probleme in scheinbar unvermeidliche Desaster zu überhöhen.

Der Beitrag von Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn ist ein hilfreicher Schritt in Richtung einer allgemeineren Diskussion über die Vor- und Nachteile von Europas Finanzarchitektur – von der das gemeinsame Zahlungssystem und dessen (Target-)Salden ein integrierter Bestandteil sind. 

Fuest und Sinn weisen auf eine Reihe von Risiken in der derzeitigen Finanzarchitektur hin, die eine nähere Betrachtung verdienen. Dazu gehört etwa die Höhe der Kapitalpuffer bei Banken, die heutigen Methoden der Zinsrisikoberechnung durch die Bankenaufsicht, oder die Anreize für riskante Investitionen in dem derzeitigen Aufsichts- und Abwicklungsregime. Auch meine eigenen Arbeiten der vergangenen Jahre im Feld der Politikberatung haben sich genau um diese Themen gedreht: Wie kann es gelingen, die gegenwärtige Praxis der Bankenaufsicht so zu verbessern, dass Marktdisziplin auch im Bankgeschäft wieder die starke und glaubwürdige Rolle spielen kann, die ihr in der Bankenunion zukommen soll?

Genau diese umfangreichen institutionellen Regeln sind heute der Kern der Bankenunion – sie fehlen aber vollständig in Fuest und Sinns ursprünglichem Aufsatz. Selbst wenn wir uns hinsichtlich des Vertrauens unterscheiden mögen, das wir in diese Institutionen der Bankenunion setzen, so stimmen wir doch offenbar darin überein, dass sie eine entscheidende Rolle übernehmen, wenn die Zahlungsfähigkeit einer Zentralbank diskutiert werden soll. Ich bin beiden Autoren dankbar, dass wir diesen gemeinsamen Nenner gefunden haben.

Am Rande möchte ich erwähnen, dass sich die europäische Bankenregulierung (die “Bankenunion”) in den letzten fünf Jahren erheblich entwickelt und dabei stark verändert hat. Die Verweise auf die Bankenkrise in 2007/08 und die Griechenland-Krise in 2012, wie sie wiederholt von Fuest und Sinn angestellt werden, sind deshalb nicht wirklich sachgerecht – weil sie gewissermaßen überholt sind und dem heutigen Stand von Regulierung und Aufsicht nicht entsprechen.

Fuest und Sinn führen in ihrem Paper ein zweites Argument an, indem sie auf Wertpapiere als bedeutende Position in der Bilanz von Zentralbanken hinweisen, neben der Forderung an Banken. Wertpapiere, insbesondere Staatsanleihen, sind erst seit Beginn der unkonventionellen Geldpolitik im Jahre 2014 zu der wichtigsten Anlageklasse in der Zentralbankbilanz geworden. Diese Anleihen sind keineswegs risikofrei, insbesondere, wenn sie von einem Staat emittiert werden, dessen Haushaltslage prekär ist (hier fällt einem Italien als Beispiel ein).

Es ist eine weit verbreitete Ansicht unter Ökonomen, und Fuest, Sinn und auch ich sind da keine Ausnahmen, dass Staatsanleihen von der Bankenaufsicht wie jede andere Schuldverschreibung behandelt werden sollten. Daher sollten sie gemäß ihrem tatsächlichen Ausfallrisiko mit einem Risikogewicht versehen und, wenn auf der Bilanz einer Bank, entsprechend mit Tier-1-Eigenkapital unterlegt werden.  Tatsächlich werden Staatsanleihen von OECD-Ländern aufgrund einer Vereinbarung in Basel so behandelt, als wären sie unisono risikofrei. Der Reformbedarf ist hier evident und Regulierer in Basel, Brüssel und Berlin sind sich dessen durchaus bewusst.

Allerdings, obwohl die Forderung von Fuest und Sinn nach einer Abwendung von der Nullgewichtung für Staatsanleihen weithin von Ökonomen und Politikern geteilt wird, ist der Markt von dieser politischen Auseinandersetzung wenig beeindruckt – und unterscheidet sehr wohl zwischen souveränen Emittenten mit hohem und niedrigem Ausfallrisiko. Man muss sich hierfür nur die Zinsdifferenz zwischen Staatsanleihen in Deutschland und Italien anschauen. Die Marge ist in den letzten Jahren von 105 Basispunkten (1,05 Prozent) im Oktober 2015 auf einen Höchststand von 303 Basispunkten im Oktober 2018 gestiegen. Die Marge steht aktuell bei rund 260.

Eine Sehnsucht nach der krisenhaften Zuspitzung

Um zurück zu kommen auf Fuest und Sinns Argumentation kann man festhalten, dass das Ausfallrisiko in einer Zentralbankbilanz voller Staatsanleihen durchaus real ist – aber es wächst eben nicht über alle Grenzen. Auch hier gilt nämlich, ganz ähnlich wie bei ihrem ersten Argument mit der Bankenunion, dass der Markt die Emittenten diszipliniert. Dies geschieht durch die Erhöhung des Zinskupons, also der jährlichen Zinszahlungen, die Staaten bei Emission neuer Anleihen den Investoren anbieten müssen, wenn diese eine unverantwortliche Entwicklung des Staatshaushalts befürchten.

Der Fall Italiens im April 2018, als der stellvertretende Premier Matteo Salvini in einem berühmt gewordenen Pressegespräch eine laxe Haushaltspolitik ankündigte, mag hier als Beispiel dienen. Der dramatische Anstieg der genannten Zinsmarge von 122 auf 290 Basispunkten innerhalb von wenigen Tagen hat sicherlich auch der italienischen Regierung eine Lektion erteilt. Jedenfalls haben sich der Premierminister und sein Kabinett in der Folge deutlich von den extremen Politikoptionen distanziert, die sie zuvor vertreten hatten, einschließlich der Nichtachtung der zuvor vereinbarten Neuverschuldungsgrenze des Haushalts.

Dies bringt mich zu meinem abschließenden Argument: Das ursprüngliche Paper von Fuest und Sinn, und auch die Antwort auf meine Erwiderung, enthält durchaus bedenkenswerte Kritikpunkte an der gegenwärtigen Finanzpraxis, ein Körnchen Wahrheit also – aber ein Korn oder selbst mehrere Körner fügen sich nicht so ohne Weiteres zu einem Stolperstein zusammen. Mit anderen Worten, es lohnt eine Auseinandersetzung mit den kritischen Argumenten von Fuest und Sinn, wenn es darum geht, Mittel und Wege zu finden, um die eine oder andere problematische Konstellation im europäischen Regime von Aufsicht und Geldpolitik aufzugreifen und zu verbessern.

Alle aufmerksamen Beobachter unserer Finanzmärkte und ihrer Regulierung sollten das tun. Aber ich kann den beiden Autoren nicht folgen bei ihren Versuchen, aus isolierten, lösbaren Problemen Untergangsszenarien zu entwickeln. Man nimmt beim Lesen der Texte geradezu eine Sehnsucht nach krisenhafter Zuspitzung wahr, die sich in den einzelnen Argumenten wiederfindet; dieser Hang zur überzogenen Krisenwarnung erschwert eine sachbezogene Debatte.

Ich meine, wir sollten damit aufhören, unwahrscheinliche Endzeit-Szenarien in ihrer Bedeutung zu überhöhen (was die Argumentation von Sinn und Fuest charakterisiert), und stattdessen über realistischere (und in der Regel auch lösbare) Mängel der heutigen institutionellen Regeln  diskutieren. Dann haben wir auch eine fruchtbare Grundlage für eine Debatte über das Wie und Wann einer Reform in Richtung einer nachhaltigeren Finanzarchitektur für Europa gefunden.

Dennoch gibt es gute Gründe, sich auch mit Extremszenarien auseinanderzusetzen und Handlungsmöglichkeiten zu planen. Allerdings erwarten wir in einer schweren systemischen Finanzkrise, wie sie Fuest und Sinn mit der Illiquidität einer Zentralbank anführen, dass dann gänzlich andere politische Eingriffsregeln zum Tragen kommen würden, und jene außer Kraft setzen, die für das Zahlungssystem Target 2 oder die Bankenunion im Allgemeinen gelten.


Jan Pieter Krahnen ist Professor für Finance an der Goethe-Universität Frankfurt und Direktor des LOEWE-Zentrums SAFE.

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