SAFE Finance Blog
16 Mar 2020

Das Coronavirus und die Finanzstabilität

Gezielte und koordinierte Maßnahmen sind notwendig, um eine neue Bankenkrise zu verhindern

Das neuartige Virus COVID-19 verbreitet sich seit Jahreswechsel weltweit und wird zusehends als unkontrollierte Pandemie wahrgenommen, die unsere Leben verändern könnte. Die hieraus resultierende geringere Wirtschaftsleistung droht eine globale Rezession auszulösen und der Finanzstabilität zu schaden. Einige Regierungen haben strenge Vorschriften zur Unterbindung von unnötigem Kontakt zu bereits Infizierten verfügt, um gefährdete Bevölkerungsgruppen zu schützen. Dies hat Schließungen von Bildungseinrichtungen, Fabriken und Unternehmen veranlasst, die die Welt mit einem seit Jahrzehnten nicht da gewesenen Schatten überziehen.

Die Auswirkungen auf die Wirtschaft, das heißt für die Produktion und in zunehmendem Maße für den Konsum, sind schwerwiegend, da Lieferketten auf der ganzen Welt betroffen sind und Lieferengpässe entstehen. Wenn Lagerbestände abgebaut sind, könnte die Produktion mit weitreichenden Folgen herunterfahren. Enorme Störungen können im Dienstleistungssektor, inklusive der Reise- und der Freizeitindustrie, beobachtet werden. Die Angst auf Seiten der Verbraucher wird sich schon bald im individuellen Konsum niederschlagen und sich wiederum auf die Umsätze der Unternehmen auswirken.

Auswirkungen auf die Finanzmärkte

Im Gegensatz zur Finanzmarktkrise von 2008, ist der Unternehmenssektor aufgrund der engen, globalen Verflechtungen in der Fertigung und im Vertrieb weltweit betroffen. Die durch die unterbrochene Wirtschaftsaktivität anfänglich hervorgerufenen Liquiditätsprobleme für Einzelpersonen, Unternehmen und Banken könnten sich aufgrund ihrer Verwobenheit zu Solvenzproblemen für Betriebe und Banken weiterentwickeln. 

Selbst im Falle eines tragfähigen Geschäftsmodells könnten die verringerten Umsätze der Firmen die Bezahlung ihrer Zulieferer, ihrer Angestellten und letztlich ihrer Banken erschweren. Gleichwohl ist der, durch das Coronavirus ausgelöste, Produktionsrückgang vorübergehend und damit eher eine Interruption als eine langfristige Disruption. Es ist wahrscheinlich, dass sich nach der Epidemie das Ertragsniveau wieder normalisiert. In einer idealen Welt stellt die Epidemie folglich ein Problem der Liquidität dar, nicht der langfristigen Wirtschaftlichkeit von Unternehmen. In der Realität sind Informationen jedoch unvollkommen verteilt und Finanzmittel manchen Firmen unzugänglich, wodurch der Liquiditätsdruck zu einem Solvenzproblem wird, welches möglicherweise Kreditausfall oder gar Insolvenz nach sich zieht.

Daher müssen Banken, als Hauptkreditgeber in Europa, sich gegen Ausfallrisiken absichern, die ihrer Eigenmittelausstattung verringern. Wir beobachten dies bereits in Italien, wo Banken ihren Darlehensnehmern Zahlungsaufschub gewähren, um Kreditausfälle zu vermeiden. Diese Infektionskette könnte auch Regierungen betreffen, indem sie zusätzlich zu den Unterstützungsleistungen für Firmen und Individuen auch Hilfspakete für Bankhäuser schnüren müssten. Ein erhöhtes Staatsverschuldungsniveau beschränkt den fiskalischen Spielraum des Staates, aufgrund seinerseits verschlechterter Finanzierungskonditionen weiter, sodass ein Teufelskreis zwischen den Ausfallrisiken der Banken und des Staates wie im Jahre 2011 entsteht. 

Im Unterschied zur Eurokrise 2011, löste ein exogener Schock die gegenwärtige virusinduzierte Krisensituation aus, sodass Fehlanreize im Sinne moralischer Risiken (Moral Hazard) abgeschwächt sein sollten. Der potentielle Stress innerhalb des Bankensystems könnte jedoch auch die Lage auf der Einlagenseite verschlimmern. Eine zuverlässige europäische Einlagensicherung fehlt und es könnten Zweifel hinsichtlich der Belastbarkeit des Bankensystems aufkommen, die wiederum einen Ansturm auf Banken auslösen könnte. Dadurch könnte die derzeitige Gesundheitskrise zu einer voll entfalteten Bankenkrise werden. Da die Virusepidemie systemische Risiken erzeugt und sich zu einem weltweiten Phänomen zuspitzen könnte, ist eine Art gemeinsamer Versicherungsmechanismus sinnvoll – der Firmen für die Zahlungsausfälle durch die Krise, jedoch nicht für vergangene Fehlentwicklungen, kompensiert, und so den Dominoeffekt von Produktion, Konsum und Bankenwesen begrenzt (oder vermeidet).

Maßnahmen auf europäischer Ebene

Es besteht auf europäischer Ebene dringender Handlungsbedarf, da die Implementierung der Maßnahmen sehr komplex ist. Wenn dies misslingt, könnte die nächste Finanzkrise ausgelöst werden. Gelingt es jedoch, könnte dieses gemeinsame Handeln bestehende Risiken verteilen und zu einer nachhaltigen, europäischen Bankenunion beitragen und Solidarität ohne ein moralisches Risiko aufrechterhalten. Regierungen ergreifen bereits politische und finanzielle Maßnahmen, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Einige Länder und ihre Zentralbanken arbeiten an Maßnahmen, um den Schaden für das Weltwirtschaftswachstum abzuschwächen. Die Europäische Zentralbank hingegen hat bis dato nicht gehandelt, sondern ihre Interventionsbereitschaft angekündigt.

Unsere Analyse empfiehlt gemeinsame fiskalische Maßnahmen und spricht geldpolitischen Aktionen nur eine begrenzte Rolle zu. Angesichts der sich abzeichnenden Unternehmens- und Privatinsolvenzen, scheint es unwahrscheinlich, dass geldpolitische Instrumente, wie Zinsen oder der Ankauf von Vermögenswerten, die Liquiditätskrise beenden können. In dieser Stunde gilt es, Unternehmen, deren Produktion gestört, deren Lieferkette unterbrochen oder deren Aufträge und Nachfrage eingebrochen ist, schnell und gezielt Liquidität bereitzustellen. Zwei Dimensionen kennzeichnen die gegenwärtige Herausforderung für Europa: Einerseits, sind geeignete Instrumente zu finden, um den Cashflowrückgang zu messen, andererseits sind Wege zur Bereitstellung der Finanzmittel für betroffene Individuen, Unternehmen und Banken zu finden. 

Ein bewährter und verlässlicher Weg, Firmen direkt und zielgerichtet zu erreichen, könnte das in Deutschland etablierte Kurzarbeitergeld sein. Mit diesem System können Firmen mit Zahlungsschwierigkeiten einen Teil ihrer Lohnkosten für Mitarbeiter zeitweilig externalisieren. Mitarbeiter arbeiten dabei Teilzeit, aber mit nahezu gleichbleibendem Gehalt. Die Lohnlücke wird durch die Arbeitslosenversicherung geschlossen. Wenn der Arbeitgeber berechtigt ist, Kurzarbeitergeld zu beantragen, gibt es daher eine zeitlich begrenzte Aufteilung des Arbeitsausfallrisikos zwischen den Arbeitnehmern. Die Anspruchsvoraussetzungen für Kurzarbeit begrenzen Fehlanreize – eine Voraussetzung für die ökonomische Effizienz und politische Akzeptanz des Kurzarbeitergelds. Alternativen zur Kurzarbeit beinhalten einen Aufschub der Mehrwertsteuerzahlungen mittels staatsgesicherter Kredite.

In Europa könnten die staatlichen Förderbanken als Kanäle für förderfähige, solvente Firmen fungieren. Supranationale Finanzinstitute, insbesondere die Europäische Investitionsbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, könnten aufgrund ihres europaweiten Zugangs zu Banken und Kapitalmärkten die erforderlichen Finanzmittel bereitstellen. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Maßnahmenpakets könnte die Krisenzeit überbrücken, mithilfe dessen betroffene Unternehmen Konkursverfahren umgehen könnten. 


Dieses Essay wurde von internationalen Finanzexperten im Umfeld des Leibniz Instituts für Finanzmarktforschung SAFE in Frankfurt verfasst: Arnoud Boot (Universität Amsterdam), Elena Carletti (Bocconi Universität), Rainer Haselmann (Goethe-Universität Frankfurt), Hans-Helmut Kotz (Harvard Center for European Studies und SAFE), Jan Pieter Krahnen (SAFE), Loriana Pelizzon (Goethe-Universität Frankfurt und SAFE), Stephen Schaefer (London Business School) und Marti Subrahmanyam (New York Universität, Stern Business School).

 

SAFE Policy Paper No. 78