01 Jun 2017

"Mehr Europa" ist nicht die Antwort auf Re-Nationalisierungstrends

Thomas Wieser fordert mehr demokratische Legitimität und Risikoverteilung in der Europäischen Union

Ist der gegenwärtige Trend zur Re-Nationalisierung in der Europäischen Union ein „Unfall“ oder eine anhaltende Entwicklung? Thomas Wieser, Vorsitzender der Eurogroup Working Group und des Wirtschafts- und Finanzausschusses sagte auf einer SAFE Policy Lecture am 30. Mai, dass die EU an einem Wendepunkt der Nachkriegsgeschichte angekommen sei. Der Brexit und der zunehmende Populismus in Europa seien Anzeichen für eine drohende Rückabwicklung etablierter Strukturen. Eine Re-Nationalisierung der Finanzregulierung könne schwerwiegende Konsequenzen für den europäischen Integrationsprozess als Ganzes haben, warnte Wieser. Die Folge wären stärker segmentierte Märkte und abnehmender Wettbewerb, was wiederum zu einem Abwertungswettlauf führen könnte. „Am Ende steht der Binnenmarkt und die politische Union als Ganzes zur Disposition“, warnte Wieser.

Es sei allerdings naiv, Populismus und Nationalismus mit einer Beschleunigung des europäischen Integrationsprozesses bekämpfen zu wollen. „Prinzipiell ist mehr Integration richtig, jedoch ist es angesichts der gegenwärtigen anti-europäischen Stimmungslage auch gefährlich“, gab der studierte Ökonom zu bedenken. Stattdessen forderte er mehr demokratische Legitimität für die europäischen Institutionen. Die nationalen Parlamente hätten ihr Interesse an der EU-Integration verloren, da alle Entscheidungen mit EU-Bezug inzwischen vom Europäischen Parlament getroffen würden. Darüber hinaus profitiere ein großer Teil der Bevölkerung nicht von der Globalisierung. „Ein Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern ist ausgeblieben“, so Wieser. Er forderte eine neue Architektur für die Europäische Union. „Einfach weitermachen wie bisher ist keine Option.“

Wieser glaubt nicht, dass sich eine Fiskalunion in absehbarer Zeit realisieren lasse. Wir werden bei einer Reihe von praktischen Themen Fortschritte erzielen, aber den Durchbruch wird diese Generation nicht mehr erleben. Hoffnungen setzt der Österreicher jedoch in das deutsch-französische Tandem: „Es hat eine gute Chance, die Dinge voranzutreiben“, sagte er. Allerdings sollte sich Deutschland mehr darauf einlassen, Risiken mit seinen europäischen Partnern zu teilen.