29 Sep 2021

Krisen flexibel begegnen statt standhalten

In einem SAFE-CFS Policy Web Seminar erklärt Ökonom Markus Brunnermeier, warum und wie sich Wirtschaft und Gesellschaft resilienter aufstellen lassen

Volkswirtschaften können Krisen besser überstehen, wenn sie die Fähigkeit entwickeln, nachzugeben und zurückzufedern, also agil und flexibel zu reagieren, anstatt ökonomische Schocks einfach auszuhalten. Dieses dynamische Konzept der Resilienz war die Kernbotschaft, die Markus Brunnermeier in einem Policy Web Seminar vermittelt wissen wollte, das vom Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE und dem Center for Financial Studies gemeinsam am 21. September 2021 organisiert wurde.

„Wir werden uns in Zukunft möglicherweise mit neuen Pandemien, einer neuen Finanzkrise und anderen Unwägbarkeiten auseinandersetzen müssen“ sagte der Ökonom von der US-amerikanischen Princeton University zu Beginn der Veranstaltung. Seine Antwort darauf, wie diesen Krisenszenarien am besten begegnet werden kann, lautet: Wirtschaft und Gesellschaft resilienter zu machen. Dabei komme es wesentlich auf den Unterschied zwischen Robustheit und Resilienz an. „Robustheit bedeutet, jedem Schock standzuhalten wie eine Eiche im Wind. Im Vergleich dazu bedeutet Resilienz, vielmehr nachzugeben, aber zurückfedern zu können, wie ein Schilfrohr, das im Wind ständig schwankt, aber nicht bricht“, erklärte Brunnermeier. So wie es verschiedene Resilienzebenen gebe – individuell, systemisch und gesellschaftlich –, gebe es auch Risikosituationen, in denen ein Nachgeben oder Zurückfedern nicht mehr möglich sei. Diese Situationen gelte es allerdings zu vermeiden.

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Resilient auf Krisen zu reagieren, heiße nicht, Risiken per se zu vermeiden, betonte Brunnermeier weiter. Resilienz biete die Fähigkeit, sich wieder zu erholen, was im langfristigen Durchschnitt einen höheren Wachstumskurs verspreche, auch wenn sich daraus kurzfristig höhere Risiken ergäben. Daher sollte eine Gesellschaft auf Innovation und Wettbewerb setzen und gelegentliche Rückschläge in Kauf nehmen, sich also auch bewusst kalkulierbaren Risiken aussetzen, um für den Ernstfall gerüstet zu sein. „Wenn man sich davon erholen kann, fallen diese Rückschläge weniger ins Gewicht“, so der Ökonom. Diese Fähigkeit erlaube es, nach und nach mehr Risiken einzugehen, vorausgesetzt die Gesellschaft sei offen dafür.

Mit Blick auf die Politik führte Brunnermeier aus, dass es nicht ausreiche, Krisen nur zu managen. Resilienz bedeute in der konkreten Umsetzung, verfügbare Redundanzen einsetzen zu können beispielsweise in Form von Ressourcen oder Reservekapazitäten. So sei es in der Coronakrise gelungen, über die Entwicklung und den Einsatz von Impfstoffen, zu einem „neuen Normalzustand“ zurückzukehren. Aus makroökonomischer Sicht biete ein Niedrigzinsumfeld, wie es derzeit vorherrscht, mehr fiskalischen Spielraum und dadurch auch mehr fiskalische und weniger monetäre Resilienz, da aufgrund der Null-Prozent-Untergrenze die Gefahr einer Liquiditätsfalle höher sei. Im Finanzbereich sei eine effiziente Umschuldung zur Vermeidung eines Schuldenüberhangs in Verbindung mit Zentralbankkrediten ein resilienter Ansatz. Eigenkapitalanforderungen fungierten dagegen eher als robuste Puffer. „In wirtschaftlich guten Zeiten sollten Steuerkapazitäten wieder aufgestockt werden, auch wenn es politisch vielleicht unattraktiv ist“, befand Brunnermeier.

Zentralbanken und makroprudenzielle Aufsicht als Garanten für Stabilität

Eine Gefahr für resiliente Politikansätze drohe vor allem durch Deflation und Inflation. Um diese Gefahr unter Kontrolle zu bringen, sei es von größter Bedeutung, sowohl unabhängige Zentralbanken zu garantieren – wie in Europa über die EU-Verträge –, als auch auf makroprudenzielle Regulierung zu setzen. „Ein gutes System ist mit einem Rennauto vergleichbar, das beschleunigt werden kann, wenn zugleich die Bremsen zuverlässig funktionieren“, so Brunnermeier. Wenn die Inflation also anziehe, könnten sich Eingriffe durch Zentralbanken und die Überwachung der Finanzstabilität bezahlt machen, wohingegen in Krisenzeiten dann wiederum die zuvor aufgebauten fiskalischen Reservekapazitäten genutzt werden könnten. So habe sich die US-Notenbank Fed im März 2020 bei Ausbruch der Coronapandemie als „Market Maker“ erwiesen, als der Markt für festverzinsliche US-Staatsanleihen einbrach. „Jetzt ist es an der Zeit, die makroprudenziellen Puffer aufzubauen“, meinte Brunnermeier am Schluss seiner Ausführungen.

In der Diskussion zum Vortrag hob Sir Paul Tucker, Senior Fellow an der Harvard Kennedy School, hervor, dass das von Brunnermeier ausgearbeitete Resilienzkonzept enorm vielseitig sei und sich auf nahezu alle Schockszenarien übertragen lasse. Tucker ging allerdings eher auf demokratietheoretische Aspekte und internationale Beziehungen ein mit Blick auf resiliente Strukturen. „Demokratien sind resilienter als autoritäre Regime“, hielt Tucker fest mit der Begründung, dass es in Rechtsstaaten mit verfassungsmäßigen Ordnungen möglich sei, die jeweilige Regierung per Wahlen abzusetzen, ohne das Regierungssystem als solches in Frage zu stellen.

Autokratien setzen eher auf Robustheit als auf Resilienz

An Brunnermeiers Beispiel der Fed-Intervention an den US-Anleihemärkten zu Beginn der Coronapandemie illustrierte Tucker, dass Zentralbanken nach diesem Verständnis sicher zu einem resilienten System beitragen würden, das Märkte vor dem Kollaps bewahre. „Aber die Frage ist doch, ob nicht auch der private Sektor so resilient sein kann, dass Zentralbanken weniger aktiv werden müssen.“ Weiterhin betonte Tucker, dass die geopolitischen Verhältnisse in absehbarer Zeit zu Schwierigkeiten führen könnten, vor allem wenn es um Handelsabkommen gehe. Wenn etwa zwei Staaten ein Abkommen abschließen würden, das sich auf einen Drittstaat auswirke, stehe die Frage nach externen Effekten im Raum, die Resilienz unter Umständen zerstören könnten.

Markus Brunnermeier ergänzte in der anschließenden Fragerunde, dass autokratische Regime eher dazu tendierten, auf Robustheit bei der Problemlösung zu setzen als auf Resilienz. Das Argument zu den geopolitischen Implikationen erinnere an die kürzlich neu geschmiedete Allianz zwischen den USA, Großbritannien und Australien, durch die ein milliardenschweres Geschäft mit U-Boot-Lieferungen zwischen Frankreich und Australien zum Nachteil Frankreichs geplatzt war.