15 Jul 2016

Frankreich und Deutschland – unvermeidbar auf verschiedenen Wegen?

Am 13. Juli hielt Xavier Ragot, Professor of Economics an der Paris School of Economics und Präsident des Observatoire Français des Conjonctures Économiques (OFCE) eine SAFE Policy Lecture zum Thema „France and Germany – inevitably on diverging paths?” Die Veranstaltung wurde moderiert von Hans-Helmut Kotz, SAFE und Harvard University.

Ragot sprach aktuelle Symptome und Probleme der Eurozone an. Er stellte die Perspektive eines Problem-Dreiecks vor mit Arbeitslosigkeit und kurzfristiger Wachstumsschwäche in der einen Ecke, öffentlicher Verschuldung in der zweiten und nominaler Divergenz in der dritten, und argumentierte, dass Frankreich und Deutschland sich in der Bedeutung, die sie diesen Problemen jeweils zumessen würden, unterschieden. Während Deutschland den Akzent auf die Probleme der nominalen Divergenz und der Verschuldung legen würde, setze Frankreich statt an den Schulden eher an der Arbeitslosigkeit an.

Laut Ragot habe sich die ökonomische Entwicklung in Frankreich und Deutschland erst in den letzten Jahren auseinanderbewegt. So sei die Staatsschuldenquote beider Länder zwischen 1990 und 2012 nahezu gleich gewesen, während sie seitdem deutlich divergiere. Auch habe sich in den letzten Jahren ein starker Kontrast ergeben zwischen der gemeinsamen Geld- und Zinspolitik und den sehr ungleichen natürlichen Zinsraten, die die einzelnen Volkswirtschaften eigentlich benötigten (hoch in Deutschland, niedrig etwa in Frankreich und Italien). Dies habe zu hohen Kosten geführt, insbesondere seit 2010, die Ragot die „Kosten des Euro“ nennt. Erst in jüngster Zeit bewegen sich die natürlichen Zinsraten wieder aufeinander zu.

Auf der Angebotsseite illustrierte Ragot die divergierenden Wege mit Bezug auf die unterschiedlich hohen Produktivitätsraten sowie die Spannen zwischen den Lohnstückkosten in Deutschland (niedrig), Frankreich (mittel) und Italien (höher). Er erwähnte auch den hohen Leistungsbilanzüberschuss in Deutschland in Kontrast zum Defizit in Frankreich als Beispiel für die Disharmonie in der Eurozone. Als Korrekturmaßnahmen schlug Ragot eine europäische Arbeitslosenversicherung von ein bis zwei Prozent des BIP vor, mehr öffentliche Investitionen sowie Lohnsteigerungen in Deutschland und Lohnmäßigung in den anderen europäischen Ländern.

In der Aussprache mit dem Publikum wurde die französische Perspektive von Xavier Ragot deutlich infrage gestellt. Die Anwesenden forderten mehr Anstrengungen in Südeuropa, um an die deutsche Wirtschaftskraft anzuschließen, anstatt zu erwarten, dass Deutschland seine Wirtschaft freiwillig zurückfahre. Es wurde auf die hohen Staatsausgaben in Frankreich hingewiesen, die der Regierung kaum Spielraum ließen. Nötig sei zum Beispiel eine Kürzung der öffentlichen Ausgaben, wie in Deutschland erfolgt, womit sich die Schuldenquote und die Zinslast reduzieren ließe und mehr Spielraum für Investitionen entstünde.