08 Dec 2023

Fragile Finanzstabilität im Euroraum

Europas Finanzmärkte haben sich in diesem Jahr zwar widerstandsfähig gezeigt, jedoch gibt es erhebliche Abwärtsrisiken, erklären Fachleute der Europäischen Zentralbank in einem SAFE-CEPR Policy Web Seminar

Neben angespannten Finanz- und Kreditbedingungen für Banken und Finanzintermediäre ist auch die geopolitische Lage ausschlaggebend dafür, dass der aktuelle Finanzstabilitätsbericht („Financial Stability Review“, FSR) der Europäischen Zentralbank (EZB) von bestehenden Risiken spricht. In einem gemeinsamen Policy Web Seminar des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE und des Netzwerks „European Financial Architecture“ des Centre for Economic Policy Research, moderiert von SAFE-Direktor Florian Heider, legten die EZB-Ökonom:innen Desislava Andreeva and Jan-Hannes Lang die zentralen Ergebnisse des FSR von November 2023 dar.

Waren vor einem halben Jahr noch rasch steigende Zinssätze das beherrschende Thema mit Blick auf die europäische Finanzstabilität, betonte Andreeva in der Online-Veranstaltung am 29. November: „Wir befinden uns mittlerweile in einem fragilen makrofinanziellen und geopolitischen Umfeld.“ Der Zentralbankerin zufolge kommen dabei drei Faktoren zusammen. „Die Märkte sind anfällig für eine ungünstige Dynamik“, führte Andreeva als ersten Punkt an. So seien zunehmende Kredit- und Liquiditätsrisiken auch bei Finanzintermediären außerhalb des Bankensektors zu beobachten. Zweitens stellten steigende Kosten für Schuldendienste in nichtfinanziellen Sektoren eine Herausforderung dar, wobei verschuldete Haushalte, Unternehmen und Regierungen am stärksten betroffen seien. „Die Widerstandsfähigkeit des Marktes für Staatsanleihen im Euroraum könnte durch höhere Zinsen auf die Probe gestellt werden“, sagte Andreeva weiter. Schließlich sei damit zu rechnen, dass der Rentabilität der europäischen Banken erst noch eine ernsthafte Bewährungsprobe bevorstehe.

„Abwärtsrisiken noch nicht bewertet“

Die Rentabilität der Banken befinde sich zwar noch auf einem Mehrjahreshoch, die Finanzmärkte hätten sich in diesem Jahr als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. „Aber erhebliche Abwärtsrisiken werden noch nicht bewertet“, erklärte Andreeva. Sollten sich zum Beispiel Kreditrisiken verwirklichen, hätte dies auch negative Folgen für Pensionsfonds. Zudem könne ein weiteres Abrutschen der Staatsfinanzen von bereits belasteten Eurostaaten zu einem sprunghaften Anstieg der Staatsverschuldung führen.

Die Kosten für die Kreditvergabe der Banken an Unternehmen seien im Vergleich hoch, was aktuell zu einem Rückgang der Kreditvergabe der Institute führe. „Angesichts der hohen Hypothekenzinsen sehen wir eine deutliche Korrektur bei den Preisen für Wohnimmobilien“, sagte Andreeva.

Ihr Kollege Jan-Hannes Lang knüpfte daran an und bemerkte, dass sich in ganz Europa sowohl Wohn- als auch Gewerbeimmobilienmärkte im Abschwung mit fallenden Preisen befänden, wobei es eine große länderübergreifende Heterogenität gäbe. Kredite für Gewerbeimmobilien seien höheren Zinsen stärker ausgesetzt als Wohnimmobilien. „Höhere Zinsen dürften die Preise für Gewerbe- und Wohnimmobilien weiter drücken und den Schuldendienst mit variabel verzinsten Krediten erhöhen“, prognostizierte Lang. Hinzu kämen große strukturelle Herausforderungen wie Telearbeit, Online-Handel und neue Anforderungen nach ökologischen, sozialen und ethischen („Environmental, Social and Governance“, ESG) Kriterien. Vor allem Gebäude von geringerer Qualität hätten mit Blick auf ESG-Kriterien Aufholbedarf.

Immobilien als Schlüsselfaktor für Finanzstabilität

„Das Immobilienengagement der Banken ist beträchtlich“, sagte Lang. Bei den Gewerbeimmobilien würden die Engagements zwar nur rund zehn Prozent der Gesamtkredite ausmachen. Einige Banken der Eurozone seien aber stärker exponiert als andere, und dort könne es folglich zu Spannungen kommen. „Die Entwicklung des Immobiliensektors wird ein Schlüsselfaktor für die Finanzstabilität im Euroraum sein“, schloss Lang die Betrachtungen ab.

In der anschließenden Fragerunde an die EZB-Vertreter:innen kam auf, ob die EZB als Bankenaufsichtsbehörde angesichts der im FSR dargestellten erhöhten Risiken die Banken nicht dazu auffordern sollte, zumindest einen Teil der Zinserträge einzubehalten, um die Eigenkapitalquoten der Kreditinstitute zu stärken. Dafür sei jetzt nicht die Zeit, entgegnete Desislava Andreeva. Das Vorhalten dieser Puffer sei notwendig, um gerüstet zu sein, sollten sich die verschiedenen erläuterten Risiken konkretisieren. Bei der Frage, ob die EZB noch Risiken für europäische Banken durch US-Bankenpleiten im Frühjahr sehe, wurde darauf verwiesen, dass die hohen Regulierungsstandards in Europa als „Quelle der Beruhigung“ dienten und das europäische Bankensystem widerstandsfähig sei.