24 Nov 2022

Finanzielle Stabilität für private Haushalte verschlechtert sich

Zentralbankexpert:innen sehen verschärfte finanzielle Bedingungen als größte Herausforderung für Haushalte

Seit der Bewertung möglicher Risiken für die Finanzstabilität im Euroraum im Mai 2022 haben sich die Erwartungen an die Finanzmarkt- und Geldpolitik noch einmal verändert. Im aktuellen Finanzstabilitätsbericht von November 2022 erklären Expertinnen und Experten der Europäischen Zentralbank (EZB), dass sich die Finanzstabilität in Europa, insbesondere für einkommensschwache Haushalte, weiter verschlechtert, da sich die Finanzierungsbedingungen und Rezessionsrisiken durch die Energiekrise und den Krieg zwischen Russland und der Ukraine weiter verschärft haben.

Moderiert von SAFE-Direktor Jan Krahnen, diskutierten Manuela Storz, Daniel Dieckelmann, beide Experten für Finanzstabilität der EZB, und Tamarah Shakir, stellvertretende Leiterin der EZB-Abteilung „Systemrisiken und Finanzinstitute“, die wichtigsten Aspekte des Berichts in einem SAFE-CEPR Policy Web Seminar am 21. November 2022.

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“Für 2023 sehen wir ein Rezessionsrisiko von 80 Prozent“, betonte Manuela Storz. Da die Märkte mit größerer Unsicherheit konfrontiert seien, habe die Volatilität an den Geld- und Anleihemärkten enorm zugenommen – insbesondere an den Zinsmärkten, da die Inflationserwartungen gestiegen seien. Demnach stünde die traditionelle Portfolioaufteilung unter Druck, erklärte sie weiter. Dadurch komme es zu gleichzeitigen Korrekturen bei Aktien und Anleihen. Außerhalb des Bankensektors, etwa bei Investmentfonds, Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen, würden risikoreiche Positionen aus den Portfolios zusehends verschwinden aufgrund von Kapitalabflüssen und geringeren Liquiditätspuffer. Höhere Puffer würden jedoch dazu beitragen, die Marktvolatilität und damit die Marktrisiken zu reduzieren.

Tamarah Shakir schloss sich der Einschätzung von Storz an, dass die Inflation zu einem großen Problem für alle werde, wenn sie nicht wieder auf das erklärte Zielniveau zurückgehe. Die Inflation sei die Schlüsselgröße, auf die man sich bei der kurzfristigen Analyse konzentrieren sollte, unterstrich Daniel Dieckelmann.

Dieckelmann ging auf den Sonderteil des Novemberberichts ein, der sich auf die Ungleichheit von Haushalten und Risiken für die Finanzstabilität bezieht: „Vor allem einkommensschwache Haushalte sind extrem gefährdet“, sagte er. Dieckelmann führte aus, dass diese Haushalte in der Regel einen großen Teil ihres Einkommens für grundlegende Konsumgüter wie Lebensmittel, Energie, Versorgungleistungen und Miete ausgäben. Außerdem seien einkommensschwache Haushalte besonders anfällig für Überschuldung, was sie empfindlich für plötzliche, signifikante Veränderungen mache. In vielen Ländern gingen begrenzte liquide Mittel mit hohen Schuldendienstquoten für Haushalte mit geringem Einkommen einher.

Anhaltende Kreditrisiken bedingen politische Unterstützung

„Die Forderungen nach politischer Unterstützung steigen, aber gleichzeitig gibt es aufgrund der Coronapandemie immer noch große Defizite in der Wirtschaft und fiskalische Schwierigkeiten kehren zurück“, argumentierte Shakir. Insgesamt wies sie auf eine übermäßige Ausweitung der Renditen zehnjähriger Staatsanleihen hin. Was die Nicht-Finanzunternehmen betreffe, so Shakir, seien diese erneut mit Gegenwind konfrontiert, da die Wachstumserwartungen für Unternehmensgewinne weiter gesunken seien und die Ausfallrisiken für die meisten Wirtschaftssektoren, insbesondere der energieintensiven, stiegen. Laut Shakir müssen Haushalte mit niedrigem Einkommen mit noch knapperen Mitteln zurechtkommen, da der Wohnungsmarkt umschlägt, und geringere Rücklagen zu Problemen bei der Schuldentilgung führen könnten.

Zugleich würden Die Banken den Rückenwind hoher Zinsen genießen, so Shakir. Die Risikokosten seien aber immer noch sehr niedrig. Storz betonte abschließend die Bedeutung des Finanzstabilitätsausblicks. Finanzintermediäre könnten sich vorbereiten und Gegenmaßnahmen ergreifen – und insbesondere Banken sollten für bestimmte Situationen vorbereitet sein. Wie Shakir erklärte, “gab es Brüche nach einer langen Zeit niedriger Zinsen und in der holprigen Phase der Normalisierung der Geldpolitik – das kann passieren, aber die Preisstabilität ist eine notwendige Bedingung für Finanzstabilität.“