SAFE Finance Blog
05 Dec 2023

Hessen braucht eine Strategie für finanzielle Bildung

Christine Laudenbach und Vincent Lindner: Um Finanzwissen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland nachhaltig zu fördern, müssen umfassende Informationsangebote in der Bevölkerung mit Hilfe von Kooperationspartnern ankommen. Gespräche über Finanzen dürfen kein Tabuthema mehr sein

Das Thema finanzielle Bildung wird immer wichtiger und nimmt in der öffentlichen Debatte zunehmend mehr Raum ein. Zwar ist das Finanzwissen in Deutschland im internationalen Vergleich hoch, es bestehen jedoch deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Bezug auf Geschlecht, Alter und sozio-ökonomische Situation. Eine Strategie zur Förderung der finanziellen Bildung fehlte bislang und wird aktuell durch die Bundesregierung vorangetrieben. Auch die Europäische Union und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben 2022 bzw. 2023 Kompetenzrahmen für Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche aufgelegt mit Blick auf Finanzkenntnisse.

Die gemeinsamen Kompetenzrahmen von EU und OECD ermutigen Mitgliedsstaaten zur Umsetzung eigener Finanzbildungsstrategien und geben mögliche Themen, Zielgruppen, und Bildungsziele vor. Auch das Land Hessen hat sich dem Thema Finanzbildung u.a. durch die Unterstützung des Zukunftstags für Schülerinnen und Schüler angenommen, der 2019 erstmals in Kassel stattfand und inzwischen in ganz Deutschland stattfindet. Jetzt gilt es, auf der Vielzahl an Initiativen wie dieser für Schülerinnen und Schüler, aber insebsondere auch für Erwachsene aufzubauen und zusammen eine Strategie zur Förderung finanzieller Bildung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Programm der nächsten Landesregierung als Ziel auszurufen.

Hierfür spricht zum einen die Bildungshoheit der Länder: Damit Programme und Konzepte zur finanziellen Bildung bei den Personen vor Ort ankommen, ist eine Umsetzung durch die Länder in Kooperation mit den Kommunen erforderlich. Zum anderen kann Hessen für eine eigene Strategie für auf einen einzigartigen Standortvorteil zugreifen und sich als Bundesland mit Finanzkompetenz weiter etablieren: Wohl kaum irgendwo sonst in Deutschland ist die Dichte an Akteuren so hoch wie am Finanzplatz Frankfurt am Main. Für die Entwicklung einer Strategie zur Finanzbildung stehen dem Land Hessen Expertise aus Finanzwirtschaft, Wissenschaft, und Zentralbanken zur Verfügung. Aus Sicht des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE gilt es dabei zwei Punkte insbesondere zu beachten.

Ein holistischer Bildungsansatz als Erfolgsmodell

In Übereinstimmung mit den EU/OECD-Kompetenzrahmen darf sich finanzielle Bildung nicht auf einzelne Gruppen (z.B. Schülerinnen und Schüler) beschränken, sondern muss die gesamte Bevölkerung und ihre jeweils unterschiedlichen Lebensrealitäten, finanzielle Situationen und Bildungsbedarfe in den Blick nehmen. Hierzu gehören insbesondere Themen wie Haushaltsplanung, Geldanlage, Kreditvergabe, Familienplanung und Altersvorsorge. Ziel der hessischen Finanzbildungsstrategie muss es sein, diese Bedarfe zu identifizieren und in Kooperation mit Partnern Informationsangebote zur Verfügung zu stellen und insbesondere auch das Selbstvertrauen im Umgang mit Finanzentscheidungen zu stärken.  Bildungsziel ist dabei jeweils, die Bürger:innen in die Lage zu versetzen, das umfassende Informationsangebot hinsichtlich seiner Qualität und Vertrauenswürdigkeit bewerten zu können und auf dessen Grundlage selbstständig informierte Entscheidungen zu treffen. Um eine zu einseitige Fokussierung auf die schulische Finanzbildung zu vermeiden, kann es sich als sinnvoll erweisen, dem Beispiel von EU und OECD zu folgen und jeweils getrennte Strategien für Kinder/Jugendliche und Erwachsene vorzulegen.

Im Vordergrund der schulischen Finanzbildung sollte die niederschwellige Vermittlung von Finanzthemen sein, sodass diese ins Alltagswissen der Schüler:innen integriert werden. Hierzu gehören insbesondere das Denken in Alternativen (Konsum- vs. Investitionsentscheidungen), ein grundlegendes Verständnis von Phänomenen wie Geld, Kredit,Zins und Zinseszins sowie die Bedeutung verschiedener zeitlicher Betrachtungen (kurze, mittlere, lange Frist) für die Einschätzungen von Risiken und damit verbundene Entscheidungsfähigkeit. Während es auf Grundlage der empirischen Literatur nicht klar ersichtlich ist, ob ein eigenständiges Schulfach „Finanzen“ notwendig ist, hat sich die Zersplitterung von Finanzthemen auf verschiedene Fächer (Mathematik, Politik und Wirtschaft, Arbeitslehre etc.) als nicht nachhaltig erwiesen. Mindestens sollte daher die Einbindung von Finanzbildung in die Curricula je eines Faches für jede Schulform erfolgen.

Ein Multi-Stakeholder-Ansatz

Aus der Notwendigkeit eines holistischen Ansatzes ergibt sich, dass das Land Hessen frühzeitig Stakeholder wie Unternehmen, Gewerkschaften und Sozialverbände, Finanzdienstleister und außerschulische Bildungseinrichtungen wie z.B. Volkshochschulen mit einbeziehen muss, die an verschiedenen Punkten im Leben zur Finanzbildung beitragen können. Ein solcher Ansatz kann Finanzbildung als positiven Wert an sich darstellen, der Individuen Entscheidungsfreiheit und Handlungsmacht zuspricht, und verhindern, dass sich die gesellschaftliche Debatte in einen Grabenkampf um „richtige“ und „falsche“ finanzielle Entscheidungen verwandelt. Finanzbildung darf nicht polarisieren. Diverse Stakeholder verfügen zudem über Vertrauensressourcen bei Teilen der Bevölkerung, die die Hessische Landesregierung erreichen möchte, aber eventuell nicht kann. Die Bereitstellung von Informationen über Stakeholder und an verschiedenen Orten kann daher zur Verbreitung der Finanzbildung in erheblichen Maßen beitragen.

Erstens, kommt Unternehmen eine wichtige Rolle bei der Finanzbildung zu. Studien haben gezeigt, dass am “Lernort Arbeitsplatz” zur Verfügung gestellte Bildungsangebote positive Auswirkungen auf individuelle Investitionen in private und betriebliche Altersvorsorge der Beschäftigten haben, insbesondere dann, wenn sie deren individuelle Lebenssituation adressieren. Einem sozialpartnerschaftlichen Ansatz folgend, sollten zweitens auch Gewerkschaften früh einbezogen werden. Sie vertreten Beschäftigte bei Tarifverhandlungen und sind an wichtigen Stellen in die Sozialversicherungen eingebunden (u.a. bei der betrieblichen Altersvorsorge). Ähnlich wie Arbeitgeber sind sie über Jahrzehnte hinweg im Alltagsleben von Beschäftigten präsent und sind über ihre Bildungswerke zudem aktive Gestalter der Bildungslandschaft.

Als drittes Standbein für einen holistischen Ansatz sind Wohlfahrtsverbände zu nennen. Diese verstehen sich häufig als Interessensvertreter randständiger Bevölkerungsgruppen, die für eine eigenständige Interessenswahrnehmung nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen. Hierzu zählen u.a. Arbeitslose, Alleinerziehende (insbesondere Frauen) und Obdachlose. Gleichzeitig weisen diese Gruppen hohe Bedarfe an elementarer Finanzbildung auf. Als Akteure der sozialen Arbeit sind Wohlfahrtsverbände zudem Erstansprechpartner, zum Beispiel in der Schuldnerberatung, bei Fragen des Verbraucherschutzes, oder der Beratung im Zuge einer Familientrennung.

Zuletzt ist es unabdingbar, die wissenschaftliche Forschung zum Thema Finanzielle Bildung in Deutschland und den Ländern der EU zu fördern. Ein Großteil der Ergebnisse beruht auf Studien über die Situation in den USA (besonders deutlich sichtbar bei Studien zum Lernort Arbeitsplatz) und ist ggf. nur bedingt übertragbar. Eine interdisziplinäre wissenschaftliche Begleitung ist für die Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung der Finanzbildungsstrategie unerlässlich. Wissenschaftler:innen können bei der Formulierung von Zielen, der Bereitstellung und Auswertung von Daten und dem Überprüfen von Ansätzen helfen. Hilfreich wären z.B. die Förderung von Projekten, die einen Überblick über die existierende Finanzbildung der hessischen Bevölkerung geben sowie regionale und zielgruppenspezifische Testlabore mit experimentellen Forschungsdesigns.


Christine Laudenbach ist Verhaltensökonomin, Leiterin der SAFE-Forschungsabteilung Household Finance und Professorin für Finance an der Goethe-Universität Frankfurt.

Vincent Lindner ist Financial Policy Officer im SAFE Policy Center.

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Beschäftigten.

 

Dr. Vincent R. Lindner

Financial Policy Officer

Prof. Dr. Christine Laudenbach

Direktorin Forschungsabteilung "Household Finance"