05 May 2020

Wie sinnvoll sind Finanzderivate im öffentlichen Schuldenmanagement?

Immer wieder gibt es Debatten um das Schuldenmanagement der Öffentlichen Hand, besonders in Zeiten steigender öffentlicher Schulden. Schnell ist die Rede von Zinswetten und zockenden Finanzbeamten. Ist die Kritik angebracht?

„Hinterher ist man immer schlauer“ – diese Redensart trifft auch auf die wiederkehrenden Kontroversen um den Einsatz von Finanzderivaten im öffentlichen Schuldenmanagement zu. Im Jahr 2018 bekam dies das hessische Finanzministerium zu spüren. „Hessen verzockt mehr als drei Milliarden Euro“, lautete zum Beispiel die Schlagzeile in der WELT.

Was war geschehen? Ab 2011 setzte das hessische Finanzministerium Finanzderivate im großen Stil ein, insbesondere Forward Payer Zinsswaps. Ziel war, die Laufzeit der hessischen Staatsschulden zu verlängern. Bei einem Payer Swap verspricht der Staat einem Swap-Partner über eine bestimmte Laufzeit einen festen Zins und erhält im Gegenzug einen kurzfristigen Zins, meist den Euribor-Zins. Der Unterschied zwischen einem Payer Swap und einem Forward Payer Swap (FPS) besteht darin, dass die entsprechenden Zahlungsströme erst ab einem im Vorhinein festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft beginnen. Teilweise hatten die FPS eine Vorlaufzeit von 10 Jahren bei einer Laufzeit von 40 Jahren, so dass Zinsfestschreibungen bis ins Jahr 2060 hinein ermöglicht wurden. Außerdem verkaufte Hessen ab 2011 auch mehrere Receiver-Swap-Optionen. Dabei erhält das Land eine Prämie, gibt aber der Gegenpartei die Option, einen 30-jährigen Receiver Swap einzugehen. Das Land muss, wenn die Option gezogen wird, über dreißig Jahre einen fixen Zins zahlen und erhält umgekehrt den sechsmonatigen Euribor-Satz. Solche Receiver-Swap-Optionen können ebenfalls als Teil einer Absicherung gegen steigende Zinsen gesehen werden. Einfache Swaps wirken aber als Absicherung wesentlich direkter und nachvollziehbarer. Zudem fließen die potentiellen Gewinne aus Receiver-Swap-Optionen dem Land in der Anfangsphase zu und stehen nicht automatisch dann zur Verfügung, wenn die Zinsen in der Zukunft hoch sind.

Die künstliche Laufzeitenverlängerung fixierte den Zins auf das damalige – vermeintlich niedrige – Niveau. Aber die Zinsen sanken in den folgenden Jahren weiter, wie wir heute wissen. Die Steuerzahler, so die Kritik, müssen die Kosten tragen. Schnell war die Rede von Spekulation mit Steuergeldern, Zinswetten und zockenden Finanzbeamten. Aber wird dies der Situation gerecht?

In einer neuen Studie sind wir dem Problem der Zinsänderungsrisiken und der langfristigen Zinsbindung vor dem Hintergrund der hessischen Zinsswaps nachgegangen.

Zunächst stellt die Wahl der Fristigkeitsstruktur der Schulden immer eine implizite „Spekulation“ auf die zukünftige Entwicklung der Zinskosten dar: Wählt der Schuldenmanager eine kurzfristige Verschuldung und die Zinsen steigen in der Folge, hat er sich „verspekuliert“. Aus der späteren Sicht – also ex-post – wäre es besser gewesen, er hätte den Zins langfristig gesichert. Allerdings ist das umgekehrte Szenario auch möglich: Wählt er eine eher langfristige Verschuldung und die Zinsen sinken in der Folgezeit, liegt er ex-post ebenfalls daneben. Das Problem ist also: Der Schuldenmanager muss eine Entscheidung treffen, und dies ex-ante – also ohne das Wissen, wie die zukünftige Zinsentwicklung verlaufen wird. Wenn der Schuldenmanager keine Zinsderivate einsetzt, wird die Fristigkeit durch den Anteil an kurzfristig und langfristig ausgegebenen Staatsanleihen bestimmt – ebenfalls eine strategische Entscheidung mit den gleichen Implikationen. Der Begriff der „Spekulation“ führt aus diesen Gründen in die Irre. Für den Schuldenmanager steht grundsätzlich folgende Abwägung im Mittelpunkt: Lange Laufzeiten bedeuten mehr Planungssicherheit durch ein geringeres Zinsänderungsrisiko. Allerdings ist der zu zahlende Zins auf langfristige Staatspapiere meist höher – das ist die sogenannte Laufzeitprämie (maturity premium), die sich als Versicherungsprämie interpretieren lässt.

Der Unterschied zwischen Staat und privatem Bauherren

Diese einfache Abwägung ignoriert jedoch, dass die Öffentliche Hand kein „Häuslebauer“ ist. Die öffentliche Hand wirtschaftet in erster Linie nicht für sich, sondern sollte als Sachwalter der Steuerzahler agieren. Diese sind auch Kreditgeber: Damit stehen den Zinserhöhungsrisiken des Staates Zinserhöhungschancen der Steuerzahler gegenüber. Dem steht nicht entgegen, dass sie nur indirekt über ihre Sparguthaben bei den Banken oder über andere Kanäle Anleger sind, solange diese Anlagen ebenfalls dem Zinsänderungsrisiko unterworfen sind. Das Zinsrisiko des Finanzministers, der über Staatsschulden nachdenkt, muss somit nicht im gleichen Maße ein Zinsrisiko des Steuerzahlers darstellen. Dies scheint ein oft vernachlässigter Aspekt zu sein.

Trotzdem kann es für den Staat Sinn ergeben den Zins für einen längeren Zeitraum konstant zu halten. Der Grund dafür ist die Zusatzlast der Besteuerung, die sich aus Verhaltensreaktionen der Besteuerten ergibt. Wenn Zinsen stark schwanken, verändern sich tendenziell auch die künftige Steuerbelastung beziehungsweise die öffentlichen Ausgaben. Als Konsequenz wird die progressiv steigende Zusatzlast der Besteuerung unnötig höher. Alternativ hätte es auch Nachteile, wenn die Qualität der öffentlichen Leistungen mit der Höhe des zinsbedingten Schuldendienstes schwanken würde. Dabei handelt es sich allerdings in erster Linie um einen indirekten Effekt. Der Finanzminister könnte diesen im Prinzip auch durch eine mit dem Zinssatz schwankende Neuverschuldung glätten.

Eine Abwägung von Kosten und Nutzen

Einem positiven Glättungseffekt langfristiger Zinsbindung stehen die entsprechenden Kosten der Laufzeitenverlängerung gegenüber. Beim Einsatz von Zinsswaps bildet sich diese Prämie durch die Differenz zwischen dem Swapsatz und dem kurzfristigen Indexzins. Historisch gesehen waren Swaps, aufgrund positiver Swapspreads (das ist die Differenz zwischen dem fixen Zinssatz eines Swaps und dem Zins einer Staatsanleihe mit ähnlicher Laufzeit) im Vergleich zu langfristiger Verschuldung eine teurere Art sich langfristige Zinsen zu sichern. Seit der Finanzkrise ist dies für einige westlichen Staaten, inklusive Deutschland, wegen negativer Swapspreads nicht mehr unbedingt der Fall (mehr dazu in der Studie). Eine allgemeine Beurteilung der Frage, ob solche Zinsderivate geeignete Instrumente beim öffentlichen Schuldenmanagement sind, bleibt allerdings sehr schwierig. In erste Linie, weil es sich bei Swapverträgen meist um außerbörsliche Geschäfte (Over-the-Counter, OTC) handelt, was bedeutet, dass die tatsächlichen Kosten nicht öffentlich einsehbar sind. Relevante zusätzliche Kosten für Zinsswaps, beispielsweise Bank- oder Beratergebühren, sind dadurch nicht immer transparent.

Für den konkreten Fall in Hessen ist ein abschließendes Urteil ebenfalls schwierig. Auf der einen Seite wären die hessischen Zinsbindungsfristen (bis zu 50 Jahre) – wünschenswert oder nicht – durch übliche Emissionen nur schwer darstellbar gewesen. Auf der anderen Seite können die Kosten der eingesetzten Finanzinstrumente in diesem Fall unverhältnismäßig hoch sein, da die Laufzeiten ungewöhnlich lang waren.

In jedem Fall sollte folgende Frage gestellt werden, wenn das Schuldenmanagement des Staates überprüft wird: Dienen die eingesetzten Instrumente tatsächlich dazu, staatliche Ressourcen angemessen über die Zeit zu verlagern? Rechnet der Staat mit einer steigenden Zinsbelastung in der Zukunft und führt dies als Begründung seiner Schuldenmanagements an, dann sollten die Politiker auch tatsächlich staatliche Finanzmittel in die Zukunft verlagern.  Bei den in Hessen angewandten Forward Payer Swaps lag der politische Charme für die Politik im Jahr 2011 vielleicht umgekehrt darin, dass sie in den Anfangsjahren noch den seinerzeit niedrigen kurzfristigen Zins nutzen konnte. Kosten der Zinssicherung, die dadurch entstehen, dass das gesicherte Zinsniveau über dem tatsächlichen Zinsniveau liegt, zeigen sich dagegen erst mit zehn Jahren Verspätung im Haushalt.


Alfons Weichenrieder ist Professor für Finanzwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und SAFE Research Fellow.

Johannes Kasinger leitet das SAFE Policy Center und promoviert derzeit an der Goethe-Universität Frankfurt.

Lukas Nöh hat an der Goethe-Universität Frankfurt promoviert und arbeitet aktuell als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.


Weichenrieder, A., Kasinger, J., & Nöh, L. (2020). Zinsänderungsrisiken und langfristige Zinsbindung vor dem Hintergrund der hessischen Zinsswaps. Perspektiven der Wirtschaftspolitik. Online Vorveröffentlichung.