SAFE Finance Blog
24 May 2019

Zeiten des Umbruchs für den rechtlichen Rahmen des Wertpapierhandels

Roland Broemel: Die Öffnung für digitalisierte Wertpapiere wirft viele technische, zivil- und aufsichtsrechtliche Fragen auf

Die Digitalisierung führt auch im Wertpapierhandelsrecht zu tiefgreifenden Veränderungen. Das Bundesministerium für Finanzen und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz haben im März in einem Eckpunktepapier Hintergründe und Optionen für die Ausgestaltung eines elektronischen Wertpapierregisters vorgestellt, das einen Referentenentwurf für die Einführung eines gesetzlichen Rahmens für die blockchainbasierte Begebung von Schuldscheinen vorbereitet.

Wenn der Wertpapierhandel digitalisiert ist, bedeutet das auch den Verzicht auf eine physische Urkunde. Das wirf einige Fragen auf: Denn zivilrechtlich sind die Grundsätze des Verkehrsschutzes, also der Schutz des Vertrauens auf die Berechtigung des Vertragspartners, bei der Übertragung als auch bei der Zahlung an den Besitz oder die Übergabe der physischen Urkunde geknüpft. In der Praxis gibt es Hilfskonstruktionen wie Besitzkonstitute, die eine zentrale Verwahrung der physischen Urkunden als ausgelagerte Dienstleistung ermöglichen. Dies geschieht um den Anforderungen des Verkehrsschutzes zu genügen und die Verkehrsfähigkeit der Wertpapiere (vereinfacht gesagt die Eigenschaft, gehandelt zu werden) zu erhöhen. Das zivilrechtliche Leitbild des Besitzes einer physischen Urkunde wird so zu einer in der Praxis eingespielten Fiktion.

Ein blockchainbasiertes Wertpapierregister kann, je nach Ausgestaltung, den Hintergrund und die Funktionsweise des Verkehrsschutzes grundlegend verändern. Vergleichbar mit anderen Jurisdiktionen stellt das deutsche Zivilrecht vereinfacht zwei Regime des Verkehrsschutzes bereit: Ein Regime für bewegliche Sachen gründet den Verkehrsschutz auf den Besitz; der Besitzwechsel und die Besitzverschaffungsmacht bilden den Anknüpfungspunkt für den Schutz des gutgläubigen Rechtsverkehrs. Ein anderes Regime für unbewegliche Sachen (sowie Schiffe und Flugzeuge) stellt auf Eintragungen in ein öffentliches Register ab, um den gutgläubigen Rechtsverkehr zu schützen. Blockchainbasierte Anwendungen schützen demgegenüber den Rechtsverkehr nicht durch normative Regelungen zum guten Glauben: Entscheidend ist vielmehr das Design des Algorithmus. Die Verteilung der Blockchain auf mehrere, dezentrale Knoten, Verfahren asymmetrischer Kryptographie und verschiedene Mechanismen zur Koordination der Knoten bieten den Teilnehmenden Sicherheit unabhängig von einer normativen Absicherung. Entsprechend treten virtuelle Währungen wie Bitcoin mit dem Selbstverständnis an, ohne hoheitliche Anerkennung auszukommen. Andere Anwendungen sehen weitergehend vor, die Ausgestaltung der gesellschaftsinternen Governance und Entscheidungsfindung über blockchainbasierte Entscheidungsrechte zu regeln. Das Recht zeichnet aus dieser Perspektive die Ergebnisse der Blockchain-Transaktionen lediglich nach: alles, was die Blockchain zulässt, wird (gesellschafts-)rechtlich nachvollzogen. Nicht zuletzt wegen dieser Unterschiede im Ansatz des Rechts und der Blockchain zur Gewährleistung von Verkehrsschutz werfen ihre Verknüpfungen beim blockchainbasierten Handel elektronischer Wertpapiere eine Reihe von Grundsatzfragen auf, wie dieser ausgestaltet werden könnte.

Beschränkungen des Netzwerks limitieren das Innovationspotential

Eine der zentralen Fragen eines neuen Rechtsrahmens elektronischer Wertpapiere betrifft den Kreis der Akteure, die eben solche emittieren und handeln dürfen. Aus technischen Gründen kann es vorteilhaft sein, das Register als eingeschränktes Netzwerk zu konzipieren, das nur ausgewählten Akteuren offen steht. Solche Beschränkungen können die Registerführung zentralisieren und die Koordination der an der laufenden Verwaltung der Blockchain beteiligten Knoten vereinfachen.  Sie bieten zugleich eine Schnittstelle für die rechtliche Regulierung, die dann bei der Zulassung und der laufenden Beaufsichtigung der Akteure ansetzen kann.

Diese Beschränkungen limitieren allerdings auch das Innovationspotential. Zum einen beruhen die Effizienzvorteile blockchainbasierter Anwendungen in vielen Kontexten gerade auf der Möglichkeit, auf die Leistung von Intermediären zu verzichten. Zum anderen geht mit der Entscheidung für eine bestimmte Form des eingeschränkten Netzwerks und für bestimmte Kontroll- und Koordinationsmechanismen der Knoten eine Festlegung einher, nämlich für eine bestimmte technologische Variante aus einer Vielfalt sich in der Entwicklung befindlichen Ansätze.

Die Autoren des Eckpunktepapiers fordern Technologieneutralität. Wird dies ernst genommen, bedeutet dies zum einen die parallele Verkehrsfähigkeit von physischen und elektronischen Wertpapieren einschließlich bestimmter Optionen der Konvertierung. Zum andern müsste ein solches Register auch offen bleiben für den Wettbewerb unterschiedlicher, auch kommerziell entwickelter Blockchain-Konzepte. Eine solche Gewährleistung steht allerdings in einem latenten Spannungsverhältnis zu dem Ziel, möglichst früh ein elektronisches Register einzuführen.

Die Frage nach der Ausgestaltung des Verhältnisses der beteiligten Knoten untereinander führt auf einen weiteren zentralen Punkt: die interne Governance des blockchainbasierten Registers. Im Bereich der blockchainbasierten virtuellen Währungen und Plattformen existieren eine Reihe unterschiedlicher Ansätze: Offene Systeme, die Manipulationssicherheit über den dezentralen Charakter und die Gestaltung des Algorithmus erzielen, werden herausgefordert, wenn äußere Umstände oder nicht vorhergesehene Entwicklungen Anpassungen des Codes erforderlich machen. Im Fall der virtuellen Währung Bitcoin kann etwa der Mechanismus zur knotenübergreifenden Validierung von Transaktionen (proof of work) durch seine Kopplung an die Schöpfung neuer Bitcoins an Kapazitätsgrenzen stoßen. Bei anderen, plattformartig angelegten Blockchains sind Lücken in vermeintlich manipulationssicheren Systemen aufgetreten, die konzeptionell nicht vorgesehene Korrekturen im Algorithmus erforderlich machten.

Geschlossene Systeme dagegen mit definierten, ausgewählten Akteuren bieten mehr Raum, nachträglich die interne Governance zu verändern oder den Algorithmus zu korrigieren. Sie grenzen jedoch als Folge der Festlegung das Innovationspotential ein.

Der Entwurf blendet andere Wertpapiere wie Aktien aus

Schnell wird klar, dass es bei der Einführung blockchainbasierter Wertpapiere um mehr geht als um die Digitalisierung der physischen Urkunde und die Konsequenzen für die zivilrechtlichen, auf bewegliche Sachen bezogenen Normen. Die Autoren des Eckpunkte-Papiers lassen anklingen, dass blockchainbasierte Wertpapiere an das elektronische Register im Bundesschuldenwesengesetz geknüpft werden könnten. Dies ist insofern naheliegend, als dort Schuldverschreibungen bereits elektronisch geführt werden. 

Eine solche Verknüpfung einer elektronischen Datenbank mit einem dem Grundbuch und den Regeln für unbewegliche Sachen nachgebildeten Verkehrsschutz dürfte allerdings noch nicht alle Fragen adressieren, die ein blockchainbasiertes Register aufwirft. Zum einen beschränkt sich der Entwurf auf die Begebung sowie Übertragung von Schuldverschreibungen – es blendet sowohl andere Wertpapiere wie insbesondere Aktien aus, aber auch andere Formen der Verfügung wie etwa Verpfändungen. Zum anderen liegt den Normen aus dem Bundesschuldenwesengesetz eine herkömmliche Datenbank zu Grunde. Sie regeln folglich weder die Voraussetzungen blockchainbasierter Koordination, also die Governance des laufenden Betriebs, noch schöpfen sie das Potential der dezentralen Anwendung durch eine Vielzahl von Akteuren aus.

Noch weitere Fragen des Verbraucherschutzes stellen sich bei der Gestaltung eines rechtlichen Rahmens für die Ausgabe blockchainbasierter Einheiten (Initial Coin Offering, ICO). Auf der einen Seite bewegen sich diese stellvertretend für unterschiedliche Gegenstände ausgegebenen Token in einem Graubereich wertpapierrechtlicher Vorschriften. Sie schaffen so Regelungsbedarf, vor allem zur Frage, wie ein hinreichenden Niveau an Verbraucherschutz gewährleistet werden kann.

Auf der anderen Seite begünstigt ihr grenzüberschreitender Charakter Ausweichbewegungen zu weniger intensiv regulierten Standorten; der französische Gesetzgeber hat sich vor diesem Hintergrund etwa für ein optionales Modell zur Erteilung sogenannter Visa für bestimmte, der Aufsicht unterliegende Emittenten entschieden.

Alles in allem bedeuten die skizzierten Entwicklungen für den rechtlichen Rahmen des Wertpapierhandels Zeiten des Umbruchs – die Öffnung für digitalisierte Wertpapiere ist absehbar; die Modalitäten der technischen, zivil- und aufsichtsrechtlichen Ausgestaltungen sind es noch nicht.


Roland Broemel ist Professor für Öffentliches Recht, Wirtschafts- und Währungsrecht, Finanzmarktregulierung und Rechtstheorie am Institute for Monetary and Financial Stability an der Goethe Universität Frankfurt.