SAFE Finance Blog
16 Dec 2019

Wie sinnvoll ist die expansive Geldpolitik der EZB noch?

Alexander Ludwig: Die EZB ist mit ihrer Geldpolitik an eine Grenze gekommen. Andere Politikreaktionen sind gefragt: eine Ausweitung fiskalischer Maßnahmen für mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung

Dieser Text von Alexander Ludwig wurde zuerst am 13. Dezember 2019 als Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht.

Bei der aktuellen Diskussion über die Europäische Zentralbank (EZB) steht die Frage im Mittelpunkt, ob ihre Niedrigzinspolitik und die Programme der unkonventionellen Geldpolitik (Quantitative Easing, QE) angesichts des Marktumfelds angemessen sind. Zentral für eine Antwort darauf ist: Folgt die EZB in ihrer Zinspolitik fundamentalen Faktoren, die das Marktzinsniveau beeinflussen? Oder verzerrt sie durch ihre massiven Interventionen am Anleihenmarkt das Marktzinsniveau künstlich? Wie so oft ist es also eine Frage der Kausalität – was war zuerst da, Henne oder Ei?

Das Argument der EZB für ihre expansive Geldpolitik lautet, unter anderem, dass der sogenannte natürliche Zins in den letzten Jahrzenten gesunken ist und auf einem sehr niedrigen Niveau liegt. Der natürliche Zins bezeichnet einen auf dem Markt nicht beobachtbaren Zinssatz, bei dem der Gütermarkt im Gleichgewicht und das Preisniveau stabil sind. Eine geldpolitische Maßnahme wirkt dann expansiv, wenn die von der Zentralbank gesetzten Leitzinsen unterhalb des natürlichen Zinses liegen. Für eine Schätzung des natürlichen Zinsniveaus greift man auf beobachtbare Größen zurück, wie etwa die Marktzinsen und die Gesamtproduktion einer Volkswirtschaft – und gelangt letztlich zu der oben gestellten Frage nach der Kausalität.

Allerdings ist dies nicht die eigentlich zentrale Frage. Vielmehr lautet sie: Steckt die Volkswirtschaft der Europäischen Union derzeit in einer Art Liquiditätsfalle, in der eine weitere Lockerung der Geldpolitik, wie im September durch eine Wiederaufnahme der QE-Programme der EZB beschlossen, keinen großen Effekt haben wird oder gar kontraproduktiv sein könnte?

Vergangenheits- und Zukunftsperspektive

Die Antwort auf diese Frage ist eng damit verknüpft, welche fundamentalen Faktoren den natürlichen Zins treiben. Ich werde aufweisen, dass es bei einer Analyse dieser Faktoren wichtig ist, zwischen einer Vergangenheits- und einer Zukunftsperspektive zu unterscheiden. Dabei werde ich mich auf zwei verschiedene Ansätze beziehen: Der erste ist der empirische Ansatz, der zum Ziel hat, den natürlichen Zins zu schätzen; der zweite ist der modelltheoretisch gestützte, quantitative Ansatz. Grundsätzlich verfolgt er ein ähnliches Ziel, ist aber besser geeignet, Zukunftsprognosen zu erstellen und zu analysieren, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen das Marktzinsniveau in der Zukunft heben könnten.

In der Gesamtschau komme ich zu dem Ergebnis, dass fast ausschließlich fundamentale ökonomische Faktoren – wie zum Beispiel die technologische und die demographische Entwicklung sowie seit der Wirtschaftskrise 2008 eine Reduktion risikofreier Kapitalanlagemöglichkeiten – die Gründe für den niedrigen natürlichen Zins sind. Da sich die Geldpolitik der EZB an diesem orientieren muss, war für einen kurzfristigen Impuls der volkswirtschaftlichen Aktivität in einer Krisensituation im europäischen Wirtschaftsraum die Niedrigzinspolitik und die QE-Programme also die richtige Antwort der EZB. Im Umkehrschluss heißt dies aber auch, dass eben die gleichen fundamentalen Faktoren nahelegen, dass in mittel- bis langfristiger Perspektive gänzlich andere Politikreaktionen zwingend notwendig sein werden, nämlich solche fiskalischer Art. Hingegen hat eine weitere Lockerung der Geldpolitik keine Wirkung; sie könnte sogar kontraproduktiv sein.

Schätzungen des natürlichen Zinses setzen an beobachtbaren Größen an, wie zum Beispiel dem Marktzinsniveau oder der Gesamtproduktion. Sie zeigen auf, dass der Zeitverlauf des natürlichen Zinses stark den realen Renditen auf kurzlaufende Staatsanleihen ähnelt. Fallende Realzinsen – also nominale Zinsen abzüglich der Inflationsrate – und damit ein fallender natürlicher Zins sind in allen wichtigen Industrienationen seit Mitte der 1980er Jahre zu beobachten. Solche Trends gab es mehrfach. So sind die Realzinsen zwischen 1920 und 1940 gesunken, wie auch zwischen 1960 und 1970. Neu ist allerdings, dass die Nominalzinsen negativ sind. Neu ist auch, dass das monotone Abfallen der Realzinsen sich nun über einen solch langen Zeitraum von fast 35 Jahren erstreckt. Konventionelle Schätzungen des natürlichen Zinses kommen zu dem Ergebnis, dass das globale Zinsniveau um 450 Basispunkte gesunken ist, von etwa vier Prozent Mitte der 1980er Jahre auf etwa minus 0.5 Prozent heute.

Was sind die Ursachen für diesen Rückgang? Um dem nachzugehen ist ein Ausflug in die ökonomische Literatur wertvoll, die die Debatte vor der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 geprägt hat. Schon in den 1990er Jahren haben viele Ökonomen darauf hingewiesen, dass sowohl die technologische wie auch die demographische Entwicklung langfristig zu einem Rückgang der Kapitalmarktrenditen führen würden. Diese zunächst unter dem Stichwort „Asset Market Meltdown“-Hypothese in verschiedenen Facetten geführte Diskussion mündete im Jahr 2005 in dem von Ben Bernanke geprägten Begriff der Sparschwemme („Savings Glut“). Nach dieser Hypothese besteht, nicht zuletzt wegen der demographischen Entwicklung, auf den Weltkapitalmärkten ein Überangebot von Ersparnis relativ zur Nachfrage nach Investitionsgütern. 

Wie beeinflusst die demographische Entwicklung die Ersparnisbildung? Eine steigende Lebenserwartung und fallende Rentenniveaus – bzw. eine steigende Unsicherheit darüber, auf welchem Niveau die Rente in Zukunft liegen wird und welche weiteren Reformen zu erwarten sind – führen zu einer vermehrten Ersparnisbildung. Ein zusätzlicher Effekt ist, dass die Baby-Boom-Generationen in vielen Industrienationen in den vergangenen beiden Jahrzehnten die Gesamtersparnis zusätzlich erhöht hat, da sich diese Generation in der Hochsparphase des Lebenszyklus befand – Menschen sparen am meisten zwischen 25 und 55. 

Ungleichheit verringert die Investitionstätigkeit

Zu einem Auseinanderklaffen von Ersparnis und Investitionen auf den Weltfinanzmärkten führten auch eine gestiegene Unsicherheit bezüglich Arbeitsmarktbedingungen und eine höhere Ungleichheit. Unsicherheit erhöht Ersparnis wegen des sogenannten Vorsichtssparmotivs. Ungleichheit verringert die Investitionstätigkeit, da sie unter anderem die Nachfrage nach Konsumgütern im Schnitt schwächt und somit die Innovationstätigkeit hemmt. Im Nachgang der Weltfinanzkrise 2008 ist ferner eine Reduktion risikofreier Anlagemöglichkeiten für das Ersparte zu verzeichnen, da sich die fiskalische Situation zahlreicher Staaten stark verschlechtert hat. Dies reduziert das Zinsniveau.

Über diese Effekte hinaus drücken der Rückgang des technischen Wandels sowie ein Rückgang der Erwerbstätigkeit gleichgewichtige Zinssätze nach unten. In Deutschland ist die Trendrate des technologischen Fortschritts von circa zwei Prozent in den 1980er Jahren auf etwa 0.6 Prozent heute gesunken, und in allen Industrienationen ist ähnliches zu verzeichnen.

Während der technische Wandel für die Vergangenheitsanalyse zentral ist, spielt die Erwerbstätigkeit insbesondere für die Projektion in die Zukunft eine Rolle. Dass beide Faktoren langfristige Zinssätze treiben, ist eine zentrale Erkenntnis konventioneller makroökonomischer Modelle. Um dies zu verstehen, muss man sich den Zusammenhang zwischen der Bestandsgröße Kapitalstock und der Stromgröße Output – also das Bruttoinlandsprodukt – einer Volkswirtschaft vor Augen führen. 

Wie kann man sich das vorstellen? Stark vereinfacht können wir uns eine Firma denken, die große Maschinen in Werkshallen zum Einsatz bringt, um Tische zu produzieren. Sinkt die Effizienz der eingesetzten Maschinen, so sinkt die Ertragsrate des im Produktionsprozess eingesetzten Kapitals – die Kapitalrendite geht also zurück. 

Wenn dieses Bild auch die tatsächlichen Zusammenhänge vereinfacht darstellt, so birgt es doch eine wichtige Einsicht: Um die Auswirkungen von Wirtschaftsprozessen auf die Gesamtproduktivität des eingesetzten Kapitals und damit auf gesamtwirtschaftliche Renditen erfassen zu können, ist das Verhältnis aus eingesetztem Kapitalstock zur Gesamtproduktion ausschlaggebend. Dieses Verhältnis wird durch den so genannten Kapitalkoeffizienten erfasst. Der in der Produktion eingesetzte Kapitalstock (die Bestandsgröße) beträgt mehr als das Dreifache des Bruttoinlandsprodukts (der Stromgröße). 

Dieses Größenverhältnis bedeutet, dass Faktoren, die den Kapitalstock beeinflussen – wie etwa eine Veränderung der Spar- und Investitionsneigung –einen kleineren Einfluss auf Kapitalrenditen haben als Faktoren, die die Gesamtproduktion betreffen. Damit ist auch der enge Zusammenhang zwischen fallendem Output und fallenden Renditen offenkundig, was Larry Summers 2013 dazu veranlasste, dieses Phänomen mit dem auf die 1930er Jahre zurückgehenden Begriff der „säkularen Stagnation“ zu bezeichnen.

Der Einfluss der Geldpolitik

Stellen wir im Zusammenhang mit dem Rückgang des technischen Wandels exemplarisch eine auf Deutschland fokussierte Betrachtung an. In einer approximativen Berechnung des Beitrags zu den Kapitalrenditen führt dieser Effekt allein über einen Rückgang des Gesamtoutputs – dabei vernachlässigen wir zum Beispiel, was die demographische Entwicklung bezüglich eines Überhangs an Ersparnis bewirkt hat – zu einem Rückgang der Gesamtrenditen um 2.8 Prozentpunkte. 

Nun mag man zwei Einwände ins Feld führen. Erstens sind solche approximativen Berechnungen unzureichend – ich habe sie unter der Annahme erstellt, dass sich die Volkswirtschaft von Periode zu Periode in einem langfristigen Gleichgewichtszustand befindet, was Übergangsphänomene vernachlässig. Zweitens hat die Rendite auf das Produktivkapital nichts mit dem natürlichen Zinsniveau zu tun. Beide Einwände greifen jedoch zu kurz. Zum einen geben approximative Berechnungen natürlich Aufschluss über relevante Größenordnungen, zum anderen besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der Gesamtkapitalrendite und dem natürlichen Zins. Wenn Risikoeinschätzungen in etwa konstant sind, müssen sich beide Größen nämlich in etwa im Gleichlauf bewegen. 

Zusammen mit den zuvor genannten Größen ist es deshalb nicht überraschend, dass viele Ökonomen schlussfolgern, dass fast der gesamte Rückgang des natürlichen Zinses um die zuvor genannten 450 Basispunkte als ein Marktergebnis erklärbar ist. Somit zeichnet sich für die Vergangenheitsanalyse ein klares Bild ab: dieser Rückgang ist im Wesentlichen nicht durch die Geldpolitik der Zentralbanken verursacht.

Wie wird es in den nächsten Jahrzehnten weitergehen? Es ist sehr schwierig, etwa über zukünftige Raten des technischen Fortschritts Aussagen zu treffen. Dagegen sind demographische Prognosen über die nächsten 20 bis 30 Jahre relativ verlässlich. Der Grund ist, dass die erwerbstätigen Personen, die für eine zukünftige Prognose relevant sind, heute schon geboren sind und entweder in naher Zukunft in Rente gehen oder in spätestens 20 Jahren in den Arbeitsmarkt eintreten werden. 

In Anbetracht der demographischen Entwicklung könnte man nun von Folgendem ausgehen: Sobald die Baby-Boom-Generation in Rente geht, wird die Ersparnis sinken. Somit wird der Ersparnisüberhang auf den Weltfinanzmärkten zurückgehen und die Zinsniveaus wieder steigen. Diese Überlegung ist richtig, greift zugleich aber zu kurz. Zum einen sind Sparquoten auch im Alter immer noch deutlich positiv. Das hat verschiedene Ursachen, etwa Vererbungsmotive, Gesundheitsrisiken und Pflegerisiken im Alter. In Deutschland beispielsweise liegt die Sparquote privater Haushalte im Alter von 25 bis 55 Jahren bei etwa 12 bis 14 Prozent des verfügbaren Einkommens. Über einem Alter von 65 Jahren liegt sie bei etwa fünf Prozent. 

Zum anderen aber ist erneut der wichtigere Aspekt, wie sich der Kapitalkoeffizient entwickeln wird. Eine sinkende Ersparnis verändert zwar die Allokation von Kapital und reduziert damit den Kapitalstock, was die Kapitalrendite stützt. Viel bedeutender ist aber, dass ein Rückgang der Erwerbstätigkeit zu einem ungleich größeren Rückgang des Gesamtoutputs führen wird. 

Um die Renditewirkungen dieses Rückgangs zu verstehen, denken wir wieder an unsere Fabrik, in der Tische hergestellt werden. Nehmen wir an, dass es zur Produktion eines Tisches mehrerer Arbeiter bedarf. Wenn nun aufgrund des demographischen Wandels die Zahl der Arbeitskräfte sinkt und auch die Nachfrage nach produzierten Tischen einbricht, so werden weit weniger Tische hergestellt. Die Folge: der Ertrag des eingesetzten Kapitals sinkt. 

Druck auf die Kapitalrenditen

Selbstverständlich ist dieses Bild erneut sehr stark vereinfacht: Weder ist der demographische Wandel ein plötzlich eintretendes Ereignis, noch berücksichtigt es, dass Produktionsprozesse etwa durch den Einsatz arbeitssparender Technologien umgestellt werden können, was Output und Rendite stützt. Aber der in allen Industrienationen beobachtbare Rückgang der Erwerbstätigkeit wird in den nächsten 15 bis 20 Jahren weiteren Druck auf die Kapitalrenditen ausüben.

Um schließlich über den Verlauf von Gesamtkapitalrenditen Rückschlüsse auf den natürlichen Zins oder kurzfristige relativ risikofreie Renditen zu ziehen, bedarf es komplexerer Methoden. Zuvor habe ich argumentiert, dass sich diese Größenordnungen weitgehend im Gleichlauf bewegen müssen, wenn Risikoeinstellungen von Kapitalanlegern im Durchschnitt konstant sind. 

Aber eben letztere Bedingung trifft nicht zu: Gerade in demographisch alternden Volkswirtschaften steigt im Durchschnitt die Präferenz für risikofreie Kapitalanlagen, was das Marktzinsniveau senkt. Bereits im Jahr 2003 habe ich mit einem wirtschaftstheoretisch gestützten quantitativen Ansatz eine Berechnung angestellt, nach der die langfristigen Gesamtkapitalrenditen im europäischen Raum bis circa zum Jahr 2035 um etwa 80 Basispunkte sinken werden. Wegen der gestiegenen Risikopräferenz einer alternden Gesellschaft würden Renditen auf risikofreie Anlagen noch stärker fallen, nämlich um etwa 100 Basispunkte. Berechnungen jüngeren Datums bestätigen diese Analyse. Folglich ergibt eine rein auf Gesamtkapitalrenditen bezogene Analyse, dass die Realzinswirkungen des demographischen Wandels eher unterschätzt werden.

Im Gegensatz zu empirischen Ansätzen ist dieser theoretisch-quantitative Ansatz eher dafür geeignet, der Frage nachzugehen, welche Faktoren Kapitalrenditen in der Zukunft stützen können. Gibt es Lichtblicke, einen Silberstreif am Horizont? Ja. Wenn es einerseits zwar schwer vorstellbar ist, dass saturierte Volkswirtschaften starke Wachstumssprünge erleben werden, so gibt es doch zahlreiche Faktoren zur Erhöhung von Output und zur Stützung gesamtwirtschaftlicher Renditen. Zu diesen zählt die Erhöhung der Erwerbstätigkeit durch ein höheres Renteneintrittsalter, eine weitergehende Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen und eine schnelle, friktionsfreie Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt. Auch eine Stärkung der Qualität des Faktors Arbeit durch entsprechende Ausbildung wie auch eine Umstellung von Produktionsprozessen auf arbeitssparende Technologien wirkt stützend auf Output und Rendite.

Die Rolle der Fiskalpolitik

In dieser Aufzählung taucht die Geldpolitik nicht auf. Warum? Nun, weil sie für die mittel- bis langfristige Betrachtung der Faktoren, die Output erhöhen und somit die Realzinsen stützen, machtlos ist. Sie ist hier in gleicher Weise machtlos, wie sie in der Vergangenheit nicht für die Verläufe der realen Renditen verantwortlich war. 

Wenn nun aber fundamentale Faktoren die Rendite treiben und gleichzeitig dafür stehen, dass der Gesamtoutput der Volkswirtschaft sinkt, was bewirkt dann eine weitere Lockerung der Geldpolitik, etwa durch die Wiederaufnahme des QE? Die Antwort lautet: realwirtschaftlich nichts. Während die Programme unmittelbar nach der Finanz- und Wirtschaftskrise außerordentlich sinnvoll waren und die EZB seinerzeit im Gegensatz zur US-amerikanischen Notenbank Federal Reserve womöglich noch zu zögerlich reagiert hat, können geldpolitische Maßnahmen und eine Orientierung dieser an natürlichen Zinssätzen eben nur das Wirtschaftsgeschehen in kurzer Frist beeinflussen. 

Ursächlich für die nachhaltige Stagnation im europäischen Wirtschaftsraum sind aber die genannten anderen Faktoren. Eine weitere Lockerung der Geldpolitik könnte sogar kontraproduktiv sein: Der wichtige Sektor der Finanzintermediäre wie Banken und Versicherungen sind durch die anhaltend niedrigen Zinsen arg gebeutelt. Darüber hinaus sind die niedrigen Zinssätze ein treibender Faktor für Blasen von Immobilienpreisen und Aktienkursen. Und für eine solche Blasenbildung auf den genannten Märkten gibt es zahlreiche Indizien.

Vielmehr käme der Fiskalpolitik eine bedeutende Rolle zu. Allerdings ist auch hier das Pulver verschossen, da es quasi in allen Staaten in Anbetracht der hohen Staatsschuldenquoten keine fiskalischen Spielräume gibt. Aber trifft das wirklich für alle zu? Nein, der deutsche Staatshaushalt steht mit einer Verschuldungsquote von etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im internationalen Vergleich gut da. Angesichts negativer (oder sehr niedriger) Zinslasten sollte Deutschland mehr Schulden aufnehmen, um sich durch umfangreiche Struktur- und Bildungsprogramme für die Zukunft zu wappnen.

Solche Investitionen sind zwingend notwendig: Nicht nur wegen der offenkundigen Defizite in der Infrastruktur hierzulande, sondern auch, weil eine gestiegene Staatsnachfrage die Gesamtersparnis reduzieren, risikofreie Anlagemöglichkeiten schaffen, sowie Investitionen und Output womöglich steigern würde. All dies stabilisiert das Zinsniveau. Es scheint also, dass durch eine schuldenfinanzierte Expansion der Staatsausgaben zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden könnten.


Alexander Ludwig ist Programmdirektor „Macro Finance – Monetary Policy and Fiscal Stability” beim Research Center SAFE.

Der Gastbeitrag aus der FAZ ist hier online verfügbar.