SAFE Finance Blog
02 Mar 2022

Was die Finanzkrise über Offenlegung und Verlustausweis von Banken lehrt

Für die Finanzstabilität ist nicht nur entscheidend, ob Banken in der Krise frühzeitig über Risiken berichten, sondern auch ob die Mindestkapitalregeln so gestaltet sind, dass ihr Verlustausweis Anreize zum frühzeitigen Risikoabbau setzt

Die Finanzkrise von 2008 hat eine breite Debatte darüber ausgelöst, welche Bedeutung dem Accounting mit Blick auf Finanzstabilität zukommt. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt während der Krise kritisierten politische Entscheidungsträger:innen, Regulierungsbehörden sowie Wissenschaftler:innen das Fair Value- oder Mark-to-Market-Accounting (FVA) – also eine Bewertung von Vermögenswerten und Schulden anhand von Marktpreisen. Insbesondere wird kritisiert, dass FVA die Krise verschärfe, da es in Boomzeiten eine übermäßige Verschuldung begünstige und während Rezessionen zu Abwärtsspiralen führe. Seit der Finanzkrise wurden umfangreiche Forschungsergebnisse zur Rolle des FVA vorgelegt, die viele wichtige Erkenntnisse liefern (zum Beispiel Ryan 2008, Laux und Leuz 2009, 2010, Badertscher et al. 2012). In ihrer Gesamtheit deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass FVA zumindest nicht ursächlich für die Finanzkrise war. Die Kritik an FVA basierte zum größten Teil auf hypothetischen Zusammenhängen und theoretischen Modellen, nicht aber auf empirischen Fakten.

In unserem Paper “Accounting for Financial Stability: Bank Disclosure and Loss Recognition in the Financial Crisis” konzentrieren wir uns auf diejenigen Aspekte des Accounting, denen während und infolge der Krise weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die aber für den Zusammenhang zwischen Accounting, der Offenlegungspraxis von Banken und der Finanzstabilität wesentlich sind. Diese Aspekte betreffen das Fehlen verlässlicher Risikoberichterstattung, den verzögerten Ausweis von Kreditverlusten sowie die Wirkung aufsichtsrechtlicher Filter auf die Anreize von Manager:innen, in der Krise notwendige Korrekturmaßnahmen zum Risikoabbau zu verzögern.

Fair Value Accounting spielte keine dominierende Rolle in der Krise

Wir beginnen mit einer Zusammenfassung der Forschung zur Rolle des FVA, die seit der Finanzkrise umfangreiche Evidenz geliefert hat:

  1. FVA, geschweige denn reine Marktbewertung, hat für die meisten Banken eine zu vernachlässigende Rolle gespielt (siehe z. B. Laux und Leuz 2010; Becker et al. 2021). Es ist ein Irrglaube, dass das FVA die Bilanzen der Banken dominiert. Kredite stellen hier bei weitem die größte Kategorie dar, und ein maßgeblicher Teil der Verluste der Banken entfällt auf die Kreditbücher. Die Institute verwenden für fast ihr gesamtes Kreditportfolio die Bilanzierung zu fortgeführten Anschaffungskosten, selbst wenn sie die Möglichkeit haben, FVA zu verwenden.
  2. Wenn Banken FVA verwenden, ziehen sie nicht automatisch aktuelle Marktpreise zur Beurteilung von Vermögenswerten heran. Viele mit dem Fair Value erfasste Vermögenswerte, wenn nicht sogar die Mehrheit, wurden bereits im Vorfeld der Krise mithilfe von Modellen (oder der Matrixpreisbildung) bewertet. Das heißt, Banken haben sich auf Level 2 und Level 3 Fair Values verlassen, was oftmals als „Mark-to-Model“-Accounting bezeichnet wird. Der Ansteckungseffekt des FVA in theoretischen Modellen (z. B. Allen und Carletti 2008), entsteht dagegen insbesondere, wenn es sich bei Fair Values um aktuelle Marktpreise handelt. Es ist nicht offensichtlich, dass dieser Effekt auch ohne diese starke Annahme bestehen bleibt.
  3. Die Bilanzvorschriften enthielten eine Reihe von Ausnahmeregeln, die als „Wellenbrecher“ für Abwärtsspiralen und Ansteckung fungierten. Zum Beispiel können Banken von der Verwendung von Marktpreisen absehen und eigene Modelle zur Bewertung verwenden, wenn die Marktpreise nicht von liquiden Märkten stammen. Genau dies haben viele Banken für ihre besonders ausfallgefährdeten Vermögenswerte in der Krise getan (z. B. Laux und Leuz 2010). Wenn die Marktpreise auf Notverkäufe zurückgehen, ist ihre Nutzung als Fair Value sogar explizit untersagt. Darüber hinaus unterscheiden die Vorschriften sogenannte „nicht-temporäre Wertminderungen“, um die Nettoerträge der Banken vor den Auswirkungen zeitweiliger Rückgänge im Fair Value ihrer Vermögenswerte abzuschirmen. Zudem hatten viele Länder aufsichtsrechtliche Filter eingesetzt, die das regulatorische Kapital der Banken von Fair-Value-Verlusten ihrer zur Veräußerung verfügbaren („available for sale“, AFS) Schuldinstrumente abschirmen (Bischof et al. 2021). All diese Regeln wirken solchen Faktoren entgegen, die ursächlich für die Probleme mit FVA sein können und helfen, diese zu mildern.
  4. Es gibt kaum Belege dafür, dass Banken systematisch Notverkäufe veranlasst haben. Tatsächlich legen die Forschungsergebnisse nahe, dass Geschäftsbanken hypothekarisch gesicherte und andere forderungsbesicherte Wertpapiere in der Krise eher gekauft als verkauft haben (z. B. Abbassi et al. 2016). Der Kauf des CDO-Portfolios von Merrill Lynch durch Lone Star im Juli 2008 für 6,5 Milliarden Dollar oder 22 Cent pro Dollar stellt eines der wenigen Beispiele für einen vermeintlichen Notverkauf von Vermögenswerten seitens einer Bank dar. Allerdings gibt es keinen Hinweis dafür, dass Merrill Lynch den Verkauf als Reaktion auf Accounting-Verluste angestoßen hat oder der Transaktionspreis ein bedeutsamer Richtwert für das FVA von anderen Banken geworden ist.
  5. Insgesamt verhalten sich die Fair-Value-Gewinne von Banken nicht prozyklisch; Expansionsphasen zeichnen sich eher durch nicht realisierte Verluste bei AFS-Wertpapieren aus als durch Gewinne (Xie 2016). Darüber hinaus gibt es keine Belege dafür, dass nicht realisierte Gewinne und Verluste aus AFS-Wertpapieren im Rahmen des FVA mit einer prozyklischen Verschuldung von US-Banken in Verbindung stehen (Laux und Rauter 2017). Weitergehende Analysen zu Versicherern kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass FVA deren Probleme nicht vergrößert hat, sondern im Gegenteil einige Versicherer dazu veranlasst hat, früher aktiv den Risikoabbau zu betreiben. Überhöhte Gewinne treten dagegen eher auf, wenn auf Basis von Anschaffungskosten bewertet wird (Ellul et al. 2015).

Kritische Bilanzierungsprobleme während der Krise

Die starke Konzentration der öffentlichen Debatte auf FVA zu einem frühen Zeitpunkt (Bischof et al. 2020) hat von anderen Problemen der Berichterstattung von Banken abgelenkt, die für die Finanzstabilität wesentlich sind. Tatsächlich haben die Banken, die in der Finanzkrise zuerst in Probleme gerieten, fast alle ihre Vermögenswerte zu Anschaffungskosten bewertet und kaum FVA verwendet (etwa IKB und Northern Rock). Unser Paper identifiziert die folgenden Themen als kritisch für die Finanzstabilität:

  1. Banken haben ihre Verlusterwartungen sehr spät und oftmals lediglich dann offengelegt, nachdem der Markt bereits aus anderen Quellen davon erfahren hatte.
  2. Banken haben den Ausweis ihrer Kreditverluste hinausgezögert. Die Anreize für Bankmanager:innen, den Ausweis von Verlusten zu vermeiden, scheinen eine größere Rolle gespielt zu haben als Bilanzierungsregeln.
  3. Regulierungsbehörden verwenden aufsichtsrechtliche Filter, um das regulatorische Kapital von Banken vor Bilanzverlusten abzuschirmen in der Absicht, die Stabilität zu erhöhen. Allerdings haben diese Filter oftmals die Anreize für Bankmanager:innen gedämpft, früh in einer Krise Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, was die Stabilitätseffekte untergraben kann.

Späte Offenlegung und verzögerter Ausweis von Kreditverlusten

Eine transparente Risikoberichterstattung ist für die Finanzstabilität nicht zwangsläufig positiv. Zwar betonen Regulierungsbehörden oftmals die Bedeutung von Offenlegungen für die Marktdisziplin. Allerdings könnten Investoren angesichts schlechter Neuigkeiten in einer Krise auch überreagieren und einen Bank Run auslösen. Daher haben wir die Rolle der Offenlegungspraxis von Banken in der Krise untersucht. Unsere Analyse zeigt, dass die Banken relevante Risikopositionen im Krisenverlauf erst spät offengelegt haben, wenn Investoren bereits entsprechende Spekulationen anstellten. Bei Betrachtung der Spreads bei den Kreditausfallversicherungen der Banken (Credit Default Swap Spreads, CDS) und der Aktienkurse stellen wir keine starken negativen Marktreaktionen auf die erstmaligen Offenlegungen der Subprime-Risiken von Banken fest. Gleichzeitig haben diese Offenlegungen wenig dazu beigetragen, die Marktteilnehmer zu beruhigen. Im Gegenteil: Eher vage Angaben und wiederholte Korrekturen in der Berichterstattung über Risiken und Verluste waren vorherrschend. Insofern bestand das Problem nicht darin, dass Investoren auf Informationen von Banken überreagiert haben. Deutlich plausibler ist, dass unzureichende und unzuverlässige Offenlegungen der Banken einen Vertrauensschwund auf Seiten der Marktteilnehmer erst verursacht haben.

Neben der Offenlegung wurde auch die Praxis der Kreditbewertung von Banken häufig kritisiert. Dabei galten regelmäßig die Bilanzierungsregeln als Hauptgrund für ein „too-little-too-late“-Problem. Konsistent mit dieser Wahrnehmung dokumentieren wir, dass die Banken die Wertberichtigungen ihrer Kredite zu spät vornahmen und der Verlustausweis anfänglich zu gering war. Allerdings finden wir keine Evidenz dafür, dass geltende Bilanzregeln (insbesondere das damalige „Incurred Loss“-Modell nach IAS 39) die Banken vom Verlustausweis abhielten. Plausibler ist, dass Manager eigene Anreize hatten, den Verlustausweis zu verzögern, und die geltenden Regeln von Prüfern und Aufsehern unzureichend durchgesetzt wurden. Diese Ergebnisse werfen die Frage auf, ob das neue Modell für erwartete Kreditverluste nach IFRS 9 und US-GAAP (das „Expected Credit Loss“-Modell) die beabsichtigten Auswirkungen haben wird, da es den Banken einen noch größeren Ermessensspielraum einräumt und den Anreizen von Managern somit noch stärkere Bedeutung für die Bewertungspraxis zukommen wird.

Verzögerte Maßnahmen in einer Krise aufgrund aufsichtsrechtlicher Filter

Aufsichtsrechtliche Filter schützen regulatorisches Kapital vor bilanziellen Verlusten. Daher können sie die Gefahr eindämmen, die durch Abwärtsspiralen entsteht. Allerdings schmälern diese Filter auch den Anreiz für Banken, sofortige Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, wie etwa Dividendenkürzungen, Eigenkapitalbeschaffung oder den Verkauf von Wertpapieren, die an Wert verloren haben. Wir beobachten, dass in Ländern, in denen Filter das regulatorische Kapital der Banken vor Fair-Value-Verlusten schützen, ein schwächerer Zusammenhang zwischen diesen Verlusten und frühzeitigen Korrekturmaßnahmen der Banken besteht. Dies verstärkt die Befürchtung, dass Filter den Anreiz für Korrekturmaßnahmen schmälern. Es ist wichtig, diese Anreize im Zusammenspiel zwischen Bilanzierungsregeln und der Ermittlung des aufsichtsrechtlichen Kapitals zu berücksichtigen.

Häufig haben Ex-post-Maßnahmen, die die Finanzstabilität verbessern sollen, wenn eine Krise in vollem Gange ist, Ex-ante-Nebeneffekte mit Blick auf Risikoentscheidungen von Banken (zu einem Zeitpunkt, zu dem die Krise vielleicht noch gemildert werden könnte). Darum ist die Wechselwirkung von Bilanzregulierung und Finanzstabilität von großer Bedeutung. Um das Zusammenspiel genauer zu verstehen, ist weitere Forschung nötig. Die durch die Coronapandemie ausgelöste Krise bietet die Gelegenheit, diese Wechselwirkungen eingehender zu untersuchen, wie auch die Auswirkungen einer Intervention von Regulierungsbehörden.


Jannis Bischof ist Professor für Unternehmensrechnung an der Universität Mannheim. Er ist Principal Investigator beim TRR 266 „Accounting for Transparency” und dem German Business Panel. Daneben ist er Research Fellow am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE sowie am Center for Advanced Studies on the Foundations of Law and Finance der Goethe-Universität Frankfurt.

Christian Laux ist Professor of Finance an der WU (Wirtschaftsuniversität Wien), Mitglied der Vienna Graduate School of Finance (VGSF) und ECGI Research Associate.

Christian Leuz ist Joseph Sondheimer Professor of International Economics, Finance and Accounting an der Booth School of Business der University of Chicago und SAFE Fellow. Er ist Research Associate am National Bureau of Economic Research und Fellow am Center for Economic Policy Research, am European Corporate Governance Institute, dem Center for Financial Studies der Goethe-Universität und dem CESifo Research Network.

Blog-Einträge stellen die persönliche Meinung der Autor:innen dar und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen wider.