SAFE Finance Blog
11 Oct 2024

UniCredit und Commerzbank: Der Anfang einer paneuropäischen Bankenrevolution?

Florian Heider, Elke König, Jan Krahnen und Jonas Schlegel: Eine Übernahme der Commerzbank durch UniCredit könnte der nächste Schritt zur Vollendung der Europäischen Bankenunion sein.

The picture depicts buildings from Commerzbank and UniCredit.

Die mögliche Übernahme der Commerzbank durch die UniCredit hat in der europäischen Bankenwelt eine heftige Debatte ausgelöst. Unternehmensfusionen und -übernahmen (M&A) dieser Größenordnung lösen häufig Bedenken hinsichtlich des Wettbewerbs, des systemischen Klumpenrisikos („too-big-to-fail“, TBTF) und nationaler Souveränität aus. Diese potenzielle Übernahme könnte jedoch entscheidende Vorteile mit sich bringen, insbesondere bei der Förderung der europaweiten Marktintegration. Sie verdeutlicht die Herausforderungen und Chancen für europäische Banken in einem zunehmend wettbewerbsorientierten globalen Finanzumfeld, die nicht zuletzt auf groß angelegter technischer Infrastruktur basieren. Um die Bedeutung solcher Übernahmen richtig einschätzen zu können, ist es wichtig, den strategischen Kontext und die Auswirkungen auf die europäische Finanzarchitektur, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz über den rein nationalen Horizont hinaus zu untersuchen.

Europäische Banken im globalen Wettbewerb

Seit Jahren liegen europäische Banken, darunter die Commerzbank und die UniCredit, bei wichtigen Leistungskennzahlen wie Nettogewinn, Eigenkapitalrendite und Marktkapitalisierung hinter ihren US-amerikanischen Konkurrenten zurück. Einer der Hauptgründe für diese Diskrepanz ist die Größe und Reichweite der amerikanischen Finanzinstitute. US-Banken werden aufgrund ihrer starken Rentabilität und Kapitaleffizienz zu wesentlich höheren Kurs-Buchwert-Verhältnissen gehandelt als ihre europäischen Konkurrenten, was ein größeres Vertrauen der Märkte widerspiegelt.

In den letzten 15 Jahren haben die Schuldenkrise in der Eurozone und die Finanzkrise von 2008 die europäischen Banken vor Herausforderungen gestellt. Diese Krisen zwangen viele europäische Institute, sich zu konsolidieren, ihre globale Präsenz zu verringern und sich auf die heimischen Märkte zu konzentrieren. Die europäischen Banken sind heute kleiner und international weniger wettbewerbsfähig als ihre US-amerikanischen Pendants. Durch den Rückzug aus den internationalen Märkten, der durch erhöhte Kapitalanforderungen und aufsichtsrechtliche Bußgelder notwendig wurde, sind europäische Institute weniger in der Lage, große, global orientierte Kunden zu bedienen. Darüber hinaus konnten die europäischen Banken nicht von der Marktkonsolidierung profitieren, die in den USA zu beobachten war. Im Vergleich sind die Banken selbst auf europäischer Ebene weiterhin stark fragmentiert und weniger innovativ. Das grenzüberschreitende Bankgeschäft innerhalb der EU ist nach wie vor relativ begrenzt und stagnierend.

Die Bankenunion: Eine unvollendete Aufgabe

Die fragmentierte Bankenlandschaft in Europa ist auch auf die weiterhin unvollständige Europäische Bankenunion zurückzuführen, die eigentlich die Bankenregulierung, -aufsicht und -abwicklung in der gesamten Eurozone harmonisieren sollte. Zwar wurden wichtige Schritte unternommen, wie die Einrichtung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus („Single Supervisory Mechanism”, SSM) und des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus („Single Resolution Mechanism”, SRM), aber eine Schlüsselkomponente fehlt noch: das europäische Einlagensicherungssystem („European Deposit Insurance Scheme”, EDIS). Ohne ein einheitliches Einlagensicherungssystem auf europäischer Ebene bleiben die staatlichen Sicherungssysteme („backstop facilities“) fragmentiert, so dass die Kosten für den Einlegerschutz auf nationaler Ebene getragen werden müssen. Unterschiede in den nationalen Absicherungsfähigkeiten in Verbindung mit unvorhersehbaren Ausfallrisiken führen letztlich zu Asymmetrien, die einer vollständigen Bankenintegration entgegenstehen.

Nationale Banken sind in erster Linie auf die heimischen Märkte konzentriert und haben bislang nur begrenztes Interesse gezeigt, auf die Vollendung der Bankenunion zu drängen. Die Schaffung eines größeren, paneuropäischen Instituts durch die Übernahme der Commerzbank durch UniCredit könnte diese Dynamik jedoch ändern. Eine grenzüberschreitend tätige Bank hätte ein ureigenes Interesse daran, sich für eine vollständige Integration, einschließlich EDIS, einzusetzen, da diese ihre Geschäfte verschlanken, den regulatorischen Aufwand verringern und die Risiken auf ihren Märkten mindern könnte. Auf diese Weise könnten die Marktkräfte - und nicht nur politische Verhandlungen - die Vollendung der Bankenunion vorantreiben und den europäischen Finanzsektor widerstandsfähiger, integrierter und wettbewerbsfähiger auf der globalen Bühne machen.

Darüber hinaus hätte eine paneuropäische Einlagensicherungseinrichtung starke Anreize, konzentrierte Bestände an Staatsanleihen des Heimatlandes zu reduzieren, wie z.B. in Italien, die heute ein Hauptgrund für Moral-Hazard-Befürchtungen in Ländern wie Deutschland oder den Niederlanden sind. Somit würde EDIS das Ausfallrisiko, das den Staatsanleiheportfolios der Banken innewohnt, deutlicher ans Licht bringen und infolgedessen verringern.

Grenzüberschreitende Bankenübernahmen und die „Too Big to Fail“-Problematik

Die geplante Übernahme könnte als Startschuss für eine tiefere Integration des europäischen Bankensektors dienen. Das neu fusionierte Unternehmen wäre in einer Vielzahl von Volkswirtschaften des Euroraums engagiert. Damit könnte es die Abhängigkeit von einem einzigen Markt verringern und länderspezifische Abschwünge besser überstehen.

Zudem wären paneuropäische Banken besser in der Lage, die mit einer möglichen Staatsschuldenkrise verbundenen Risiken zu bewältigen. Indem sie Staatsanleihen aus mehreren Ländern des Euroraums halten, könnten Banken wie die UniCredit-Commerzbank dazu beitragen, den „Teufelskreis” zwischen Banken und ihren Staaten zu durchbrechen, der Europa in der Vergangenheit in Schwierigkeiten gebracht hat. Diese Diversifizierung würde zu einem stabileren und widerstandsfähigeren europäischen Finanzsystem beitragen.

Darüber hinaus möchten wir betonen, dass die too-big-to-fail-Bedenken bei einer europäischen statt nationalen Ausrichtung sogar geringer ausfallen könnten, aufgrund einer besseren Diversifikation und einer Befugnisverlagerung von nationalen zu europäische Aufsichtsregeln. Die neu geschaffenen Regeln und Institutionen auf europäischer Ebene, der SSM und der SRM, haben mehr Macht und Aufsicht, um TBTF in Schach zu halten - sie sind in der Lage, Abwicklungsverfahren und Kapitalanforderungen ohne Rücksicht auf nationale Interessen und sogenannte nationale Champions umzusetzen. Darüber hinaus sind SSM und SRM befähigt und angehalten Rettungsaktion, die auf Kosten von Tochtergesellschaften durchgeführt werden zu unterbinden - eine Sorge, die aus der globalen Finanzkrise resultiert.

Warum eine gesamteuropäische Bankenkonsolidierung wichtig ist

Die UniCredit-Commerzbank-Übernahme weist auch auf einen grundsätzlichen Konsolidierungsbedarf im europäischen Bankensektor hin. Mit zu vielen kleinen, regional ausgerichteten Banken verfügt Europa nicht über die starken Finanzinstitute, die für den Wettbewerb auf globaler Ebene erforderlich sind. Darüber hinaus sind die Kapitalmärkte im Vergleich zu den USA nach wie vor unterentwickelt, so dass Europa bei der Unternehmensfinanzierung stärker auf Banken angewiesen ist. Durch die Konsolidierung von Banken in wenigere, größere Institute könnte Europa einen widerstandsfähigeren Bankensektor schaffen, der besser gegen wirtschaftliche Schocks gewappnet ist und ein breites Spektrum an Kunden bedienen kann - sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene (für eine aktuelle, eingehende Analyse zur europäischen Marktintegration siehe SAFE White Paper No. 107).

Dennoch stehen die Konsolidierungsbemühungen in Europa vor erheblichen politischen und regulatorischen Herausforderungen. Nationale Regierungen, die ihre heimischen Finanzinstitute schützen wollen, widersetzen sich oft grenzüberschreitenden Fusionen und Übernahmen, weil sie den Kontrollverlust über wichtige Vermögenswerte befürchten. Dies zeigt sich derzeit in Deutschland, wo Bedenken hinsichtlich des künftigen nationalen Einflusses auf die Commerzbank laut geworden sind.

Schlussfolgerung: Ein Weg nach vorn für Europa

Die Übernahme der Commerzbank durch die UniCredit bleibt zwar Spekulation, doch ihre potenziellen Auswirkungen auf die europäische Finanzlandschaft wären tiefgreifend. Ein solcher Schritt könnte eine tiefere Integration innerhalb des Bankensektors der Eurozone auslösen und die Entwicklung stärkerer, wettbewerbsfähigerer Institute fördern, die in der Lage sind, künftigen Krisen zu widerstehen und im globalen Wettbewerb zu bestehen. Darüber hinaus könnte die Schaffung paneuropäischer Finanzchampions den notwendigen Impuls für die Vollendung der seit langem blockierten Bankenunion geben und dazu beitragen, Vorschriften zu harmonisieren, Einlagen grenzüberschreitend zu schützen, ohne von nationalen politischen Überlegungen beeinflusst zu werden.

Eines ist klar: Wenn Europa im 21. Jahrhundert wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleiben will, müssen sich der Bankensektor und der Kapitalmarkt weiterentwickeln. Ein stärker integriertes und konsolidiertes Bankensystem ist nicht nur wünschenswert - es ist für das zukünftige Wohlergehen Europas und seine finanziellen Stabilität unerlässlich. Die Übernahme der Commerzbank könnte der erste Schritt zur Verwirklichung dieser Vision sein. Letztendlich wird die Zukunft nicht nur durch politischen Willen, sondern auch durch Marktkräfte bestimmt werden.


Florian Heider ist wissenschaftlicher Direktor bei SAFE.

Elke König ist Senior Fellow am SAFE Policy Center.

Jan Pieter Krahnen ist Senior Fellow am SAFE Policy Center und SAFE-Gründungsdirektor

Jonas Schlegel ist Financial Economist des SAFE Policy Center.

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen.