Wer kennt sie nicht, die verheißungsvollen E-Mails mit dem todsicheren Aktientipp. Wer dem Tipp naiv folgt, muss mit beachtlichen Verlusten rechnen. Meist suchen sich die Strippenzieher unbekannte Unternehmen mit sehr geringem Marktwert (Pennystocks) aus, decken sich mit deren Aktien ein und starten dann ein sogenanntes Pump-and-Dump-Manöver. Sie preisen die Aktien gegenüber Privatanlegern mit Hilfe hymnischer Falschmeldungen an, und zwar per E-Mail, in Anlegerforen oder auch wie im Film „The Wolf of Wall Street“ per Telefon. Setzt eine Kaufwelle ein, steigt angesichts des dünnen Marktvolumens der Preis rapide. In dieses Kursfeuerwerk hinein verkaufen die Strippenzieher ihre eigenen Aktienbestände und realisieren so noch hohe Preise, bevor die Kurse nach kurzer Zeit wieder wie eine Seifenblase zerplatzen. Den Gewinnen der Strippenzieher stehen die Verluste der ausgetricksten Anleger gegenüber.
Große Pump-and-Dump-Manöver können zu beträchtlichen Preisverzerrungen am Markt führen und werden, sofern erkannt, auch strafrechtlich verfolgt. Die Funktionsfähigkeit des Marktes und die effiziente Kapitalallokation werden gefährdet. Auch das Vertrauen von Anlegern kann beschädigt werden.
Um Pump-and-Dump-Manövern entgegenzuwirken und effektiven Anlegerschutz zu gewährleisten, ist es wichtig zu verstehen, welche Investorengruppen besonders anfällig sind und welche Verhaltensmuster und Verlusthöhen typisch sind. Meine Forscherkollegen Christian Leuz (Chicago Booth), Steffen Meyer (Leibniz Universität Hannover), Maximilian Huhn (HU Berlin), Eugene Soltes (Harvard Business School) und ich sind dieser Frage durch Kombination zweier Datensätze nachgegangen. Erstens haben wir mit Hilfe der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und auch auf Basis aufwendiger eigener Recherchen über 420 mutmaßliche Pump-and-Dump-Manöver zwischen 2002 bis 2015 identifiziert. Dann haben wir alle Trades von über 110.000 Anlegern einer deutschen Online-Bank nach Trades der betroffenen Aktien in diesem Zeitraum durchforstet.
Tatsächlich waren rund sechs Prozent aller Anleger in Pump-and-Dump-Manöver involviert. Durchschnittlich wurden 6.972 Euro bzw. ungefähr 11,4 Prozent des jeweiligen Depotwerts in die angepriesenen Aktien investiert. Und durchschnittlich hat jeder Anleger einen Verlust von 28 Prozent, beziehungsweise 800 Euro, auf die eingesetzten Mittel gemacht. Pro Manöver macht das hochgerechnet rund 1,2 Millionen Euro Schaden – für den Gesamtzeitraum einen dreistelligen Millionenbetrag.
Unter den Betroffenen waren überproportional viele ältere Männer mit geringerem Bildungsniveau und Vermögen im Vergleich zum durchschnittlichen Anleger. Ein Blick auf die Zusammenstellung der Depots und auf das Anlageverhalten der Betroffenen lässt allerdings vermuten, dass längst nicht alle dem Aktienspam völlig naiv auf den Leim gingen. Stattdessen legen die Ergebnisse nahe, dass ein erheblicher Teil der betroffenen Anleger ganz bewusst in die beworbenen Aktien investiert hat. Über ein Drittel hat nämlich mehrmals in Aktienspam-Tipps investiert, 11 Prozent der Anleger sogar gleich viermal oder häufiger, und rund 30 Prozent der Investments weisen gar eine positive Rendite auf. Jeder Dritte handelt auch abseits der Aktienspams hochspekulative Aktien oder betreibt Day-Trading. Viele der vermeintlichen Opfer gehen so regelmäßig erhebliche Risiken mit großen Einsätzen ein.
Anders als vielleicht zu vermuten wäre, belegt unsere Untersuchung eine erhebliche Heterogenität des betroffenen Anlegerkreises. Zwar ist richtig, dass auch schutzbedürftige Personen dabei sind, die anfällig für irreführend beworbene Investitionsangebote sind und aus Naivität heraus handeln. Dazu gehören aber auch viele Anleger, die wohl ganz bewusst in Pump-and-Dump-Manöver investieren, auf hohe Gewinnchancen hoffen und dafür auch große Verlustrisiken einkalkulieren.
Erforderlich ist also ein differenziertes Anlegerschutzkonzept, das die Unterschiedlichkeit der betroffenen Anleger berücksichtigt. Zum Schutz derjenigen Anleger, die aufgrund ihrer Unerfahrenheit gefährdet und für Aktienbetrug anfällig sind, könnten Ideen aus dem Bereich der Verhaltensökonomie fruchtbar gemacht werden. Dazu gehören konkrete Hinweise auf den Charakter von Pump-and-Dump-Manövern, handlungsorientierte Checklisten unmittelbar vor der Kaufentscheidung oder eindringliche Vergleichszahlen zu den typischerweise zu erwartenden Verlusten. Diese Ansätze sind bei Anlegern, die ganz gezielt in Aktienspams investieren, weniger erfolgversprechend oder sogar kontraproduktiv. Man könnte deren Schutzbedürftigkeit sogar generell in Frage stellen. Sie scheint aber gleichwohl gegeben, da auch diese Anleger durchschnittlich Verluste erwirtschaften, negative Externalitäten auf die Marktintegrität generieren und nicht zuletzt Anreize für weitere Betrügereien schaffen.
Andreas Hackethal ist Professor für Finanzen an der Goethe-Universität Frankfurt.
Leuz, C., Meyer, S., Muhn, M., Soltes E., Hackethal, A.: Who Falls Prey to the Wolf of Wall Street? Investor Participation in Market Manipulation, NBER Working Paper No. w24083.