SAFE Finance Blog
16 Jul 2024

Reform des CMDI-Rahmens: Mit gezogener Handbremse unterwegs

Tobias Tröger and Ioannis Asimakopoulos: Die Vorschläge für zur Stärkung des europäischen Bankenabwicklungsverfahrens müssen weiter verbessert werden

Vieles deutet darauf hin, dass der europäische Rechtsrahmen für das Krisenmanagement im Bankensektor und für die Einlagensicherung („European Crisis Management and Deposit Insurance“, CMDI) für ausfallende Banken  nicht ausreichend genutzt wird. Das Fehlen einer glaubwürdigen Finanzierung schränkt den tatsächlichen Anwendungsbereich der Sonderabwicklungsregelung unweigerlich ein. Daher haben die Behörden Bankpleiten (insbesondere von Banken mit Schwerpunkt im Privatkundengeschäft) oft außerhalb des vorgesehenen Abwicklungsrahmens bewältigt, wo staatlich finanzierte Stützungsmaßnahmen eine Option blieben. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine CMDI-Reform ist ein ehrgeiziger Versuch, die Situation zu verbessern. Die entscheidenden Trilogverhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission stehen unmittelbar bevor. In ihnen wird das endgültige Reformpaket geschnürt. In unserem aktuellen Forschungspapier argumentieren wir jedoch, dass der CMDI-Reformvorschlag, einen Versuch darstellt, unter politischen Zwängen zu optimieren – ganz zu schweigen von der zurückgenommenen Position des Europäischen Parlaments für die bevorstehenden Trilog-Verhandlungen. Unter Berücksichtigung dieser politischen Realitäten empfehlen wir den Gesetzgebern zusätzliche Änderungen des Krisenmanagements, die sie im Trilog umsetzen sollten.

Die Notwendigkeit von Reformen

Nach den Vorstellungen der politischen Entscheidungsträger:innen ruht die Europäische Bankenunion auf drei Säulen: supranationale Aufsicht, Abwicklung und Einlagensicherung. Bis heute wurde die dritte Säule dieser institutionellen Architektur, eine gemeinsame Sicherung von Bankeinlagen, nicht verwirklicht. Aufgrund des zu erwartenden unüberwindlichen Widerstands in wichtigen Mitgliedsstaaten wurden die Diskussionen über ein europäisches Einlagensicherungssystem (EDIS) aus dem CMDI-Vorschlag ausgegliedert. Daher wird die Revision des CMDI-Regelwerks nicht zu einer vollwertigen Bankenunion führen, sondern kann bestenfalls graduelle Verbesserungen erreichen.

Vor diesem Hintergrund zielt der CMDI-Vorschlag darauf ab, Banken, insbesondere Banken mit Schwerpunkt im Privatkundengeschäft, den Zugang zur Abwicklungsfinanzierung zu erleichtern und damit einen de facto Negativanreiz zur Nutzung des Abwicklungsrahmens, zu beseitigen.

Lücken im derzeitigen Rechtsrahmen

Die bestehenden CMDI-Vorschriften machen den Zugang zur Abwicklungsfinanzierung (über den einheitlichen Abwicklungsfonds („Single Resolution Fund“, SRF)) von einer vorherigen Herabschreibung der Verbindlichkeiten einer Bank (Bail-in) abhängig, die mindestens acht Prozent der Gesamtverbindlichkeiten und Eigenmittel der Bank („Total liabilities and own funds“, TLOF) beträgt. Um sicherzustellen, dass alle Banken in einer finanziellen Notlage über eine ausreichende Verlustabsorptionskapazität verfügen, müssen die Banken ausreichende Eigenkapital- und/oder Schuldenpuffer einer bestimmten Qualität und Quantität aufbauen, die so genannte Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten („Minimum requirement for own funds and eligible liabilities“, MREL).

Es gibt Anzeichen, dass viele auf das Geschäft mit Privatkunden fokussierte Banken in einem Abwicklungsszenario das Volumen von acht Prozent bail-in-fähigen TLOF nicht erreichen würden, ohne Verluste bei den ungedeckten Einlagen zu erleiden, was sich auf die Finanzstabilität auswirken könnte, wie die US-Bankenturbulenzen im März 2023 zeigten. Nationale Einlagensicherungssysteme können eine Abwicklungsstrategie nicht unterstützen (außer durch die Auszahlung von Einlagen), da sie nur Mittel bereitstellen können, wenn und soweit die gedeckten Einlagen betroffen sind. Da gedeckte Einlagen in der Rangordnung der Gläubiger an erster Stelle stehen, würden die Mittel der Einlagensicherungssysteme erst nach einem umfassenden Bail-in verfügbar, der die meisten Kundenbeziehungen der Bank beschädigt und einen Bank Run ausgelöst hätte.

Vorgeschlagene Reformen

Daher sollen laut CMDI-Vorschlag mehr Mittel der Einlagensicherung früher zur Verfügung stehen, um die SRF-Mittel freizusetzen. Im Einzelnen:

  • Der CMDI-Vorschlag ermöglicht es den Banken, den SRF in Anspruch zu nehmen, ohne die achtprozentige TLOF-Bail-in-Anforderung zu erfüllen. Die Beiträge der Einlagensicherungssysteme zur Abwicklungsfinanzierung werden auf die Bail-in-Mindestanforderung angerechnet, sodass die Bank und das Einlagensicherungssystem gemeinsam das Acht-Prozent-Ziel erreichen können.
  • Gedeckte Einlagen würden nicht mehr von einem Superprioritätsstatus profitieren und würden daher zusammen mit anderen vorrangigen Bankgläubigern Verluste tragen. Folglich würde die Unterstützung durch Einlagensicherungssysteme, die an die Stelle der Verlustabsorption durch Einleger tritt, leichter zugänglich werden.
  • Die Finanzierung durch die Einlagensicherungssysteme würde jedoch dem „Least Cost Test“ (LCT) unterliegen. Das bedeutet, dass die Einlagensicherungssysteme nur insoweit Unterstützung leisten könnten, als die Abwicklungsmaßnahmen gedeckte Einlagen betreffen würden. Diese Auslegung des LCT schränkt die Verfügbarkeit von Einlagensicherungsmitteln ein, wenn Banken einen hohen Anteil an nicht gedeckter Einlagen haben.
  • Übertragungsstrategien (“Kauf und Übernahme”), die bei der Abwicklung kleiner und mittlerer Banken bevorzugt werden, profitieren von der Verlustübernahme durch den Erwerbenden und sind weniger auf Bail-in angewiesen. Daher sieht der CMDI-Vorschlag auch niedrigere MREL-Ziele vor, wenn der Abwicklungsplan einer Bank eine (teilweise) Übertragung als bevorzugte Strategie vorsieht.
  • Neben dem leichteren Zugang zur Abwicklungsfinanzierung soll die CMDI-Reform auch den Anwendungsbereich der Abwicklungsregelung erweitern, indem die Anforderungen an das „öffentliche Interesse“ für die Anwendung der Sonderregelung gelockert werden. Dadurch wird der Aufgabenbereich des CMDI-Rahmens im Vergleich zu regulären Insolvenzverfahren möglicherweise erweitert.

Der Versuch, unter Beschränkungen zu optimieren, wird nicht zu den besten Ergebnissen führen. Der CMDI-Vorschlag verringert die Finanzierungslücke, mit der viele Banken konfrontiert sind, bevor sie Zugang zur Abwicklungsfinanzierung erhalten. Der Vorschlag erkennt an, dass die Verlustabsorption nicht nur durch Bail-in, sondern auch durch eine kollektive Finanzierung der Branche erfolgen kann. Die Ressourcen der Einlagensicherungssysteme bleiben jedoch unverändert (und national). Dies unterstreicht zwar erneut die Notwendigkeit von EDIS, aber das Fehlen einer gemeinsamen Einlagensicherung (zusammen mit dem Fehlen einer etablierten und zuverlässigen Liquiditätshilfe bei der Abwicklung) wird die Glaubwürdigkeit des CMDI-Rahmens weiterhin untergraben.

Zu erwägende weitere Schritte

Im Rahmen des politisch Möglichen empfehlen wir die folgenden zusätzlichen Schritte:

  • Frühzeitige Abschreibung und Wandlung: Die Bankturbulenzen vom März 2023 zeigen, wie wichtig es ist, über ausreichende Rekapitalisierungskapazitäten zu verfügen, die die Behörden aktivieren können, um eine angeschlagene Bank zu stabilisieren, ohne eine Abwicklung auszulösen. Anstatt sich auf bedingte Pflichtwandelanleihen („Contingent Convertible Capital“, CoCos) zu verlassen, argumentieren wir, dass das Ziel von CoCo-Bonds, insbesondere im europäischen Rechtsrahmen, effektiver erreicht werden kann, wenn die Behörden die Möglichkeit haben, eine Abschreibung oder Wandlung bereits in der Sanierungsphase (vor der Abwicklung) auszulösen. Dies würde nur geringfügige Anpassungen des CMDI-Rahmens erfordern.
  • Vorstrukturierende Auktionen in Transferstrategien: Die ökonomische Theorie befürwortet Auktionen anstelle bilateraler Verhandlungen, wenn die Behörden eine gescheiterte Bank an eine gesunde Bank verkaufen wollen. Um die erwarteten Effizienzgewinne zu erzielen, müssen Bankaufsichts- und  Abwicklungsbehörden angemessen auf eine Bankabwicklung vorbereitet sein, die unerwartet und plötzlich aufgrund eines Bank-Runs eintreten kann. Die Abwicklungsbehörden haben vielfältige Vorbereitungen bereits getroffen, sollten aber noch mehr tun, um potenziellen Käufer:innen wichtige Daten rechtzeitig zur Verfügung zu stellen, idealerweise vor einer überstürzten M&A-Transaktion während der Abwicklung. Mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs des Abwicklungsregimes müssen die Abwicklungsbehörden ihre Notfallplanung und -verfahren verbessern, insbesondere für kleinere Banken, bei denen Übernahmen wahrscheinlich die bevorzugte Abwicklungsstrategie sein werden.

Tobias Tröger leitet das SAFE-Forschungscluster Law & Finance und ist Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, und Rechtstheorie an der Goethe-Universität Frankfurt.

Ioannis Asimakopoulos ist Lehrbeauftragter für Finanzmarktrecht an der Universität Luxemburg und assoziierter Forscher am Leibniz-Institut für Finanzforschung SAFE.