Das deutsche Bankensystem ruht seit Jahrzehnten auf drei Säulen: den privaten Kreditbanken, einschließlich der großen Banken in Aktionärsbesitz, den öffentlichen Banken und den Genossenschaftsbanken.
Fast nirgendwo anders in Europa hat ein solches Dreisäulensystem überlebt. In Italien wurden die Sparkassen privatisiert, in Großbritannien wurden sie an eine Privatbank verkauft, in Frankreich wurden sie in eine andere Gruppe von Genossenschaftsbanken umgewandelt, und in Spanien verloren sie ihren Status als öffentliche Banken und verschwanden als Bankengruppe beinahe gänzlich. Es liegt daher nahe zu fragen, ob das Dreisäulensystem noch zeitgemäß ist und in ein Europa passt, in dem die Bankpolitik, die Regulierung und Aufsicht inzwischen weitgehend in die Zuständigkeit der EU fallen.
Aber was spricht trotzdem für die Erhaltung des deutschen Dreisäulensystems? Auf den ersten Blick könnte man meinen, der gestiegene Wettbewerb im Finanzsektor infolge der europäischen Integration, der weltweiten Liberalisierung und der Globalisierung müsste zum natürlichen Verschwinden des Systems führen, einfach weil – so die Vermutung - die öffentlichen und die genossenschaftlichen Banken nicht mehr wettbewerbsfähig wären. Aber allein das 200- beziehungsweise 170-jährige Bestehen und die während dieses langen Zeitraums sehr starke Entwicklung der kleinen und lokalen Banken der Säulen 2 und 3 sprechen für deren Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit. Jede kleine lokale Bank wäre auf sich allein gestellt sicherlich nicht überlebens-fähig, aber als Teile von funktionierenden Verbundsystemen sind es die Sparkassen und Genossenschaftsbanken durchaus. Ihr Geschäftsmodell der lokalen Verwurzelung, das auf Retail-Banking sowie engen und dauerhaften Bank-Kunden-Beziehungen auf der einen und der Organisationsform der Verbünde auf der anderen Seite basiert, schafft substantielle Effizienzvorteile. Insbesondere das Verbundsystem erlaubt es, diejenigen Funktionen, bei denen es Betriebsgrößenvorteile gibt, in zentralen Institutionen zusammenzufassen und effizient abzuwickeln und demgegenüber die Kundennähe und Flexibilität erfordernden Funktionen bei den lokalen Instituten zu belassen.
Angesichts ihrer Gruppenzugehörigkeit sind die deutschen "stakeholder-value-orientierten" Banken der Säulen 2 und 3 auch finanziell keineswegs weniger erfolgreich, sogar ein wenig erfolgreicher als die "shareholder-value-orientierten" Großbanken der Säule 1, die ebenfalls über große Filialnetze verfügen und insofern mit den örtlichen Sparkassen und Genossenschaftsbanken vergleichbar sind. Insbesondere schwanken ihre Geschäftszahlen deutlich weniger als jene der Großbanken, die in der Regel ein riskanteres Geschäftsmodell verfolgen. Dies gilt nicht nur für die Zeit vor der Finanzkrise, sondern erst recht während und nach der Krise. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass gerade Banken, deren Aktionäre einen stärkeren Einfluss auf das Management haben, vor der Krise riskantere Positionen eingegangen sind, um ihre Erträge zu steigern, als Banken mit einem eher autonomeren Management. Internationale Organisationen wie die OECD und die Weltbank haben diese Einschätzung bestätigt. Es scheint, dass in vielen Privatbanken die Gewinnorientierung und damit auch die Bereitschaft, hohe Risiken einzugehen, aus ordnungspolitischer Sicht zu hoch ist, was die Systemstabilität tendenziell gefährdet. Das mag einer der Gründe sein, warum Deutschland mit seinem dreigliedrigen Bankensystem vergleichsweise gut durch die Finanzkrise gekommen ist. Allein das spricht für die Bewahrung dieses Systems.
Zudem erfüllen die Genossenschaftsbanken und Sparkassen eine regionalpolitische Ausgleichsfunktion und haben eine gesamtwirtschaftlich stabilisierende Wirkung. Anders als einige Großbanken haben sie in der Krise ihre Kreditvergabe nicht eingeschränkt, sondern sie sogar ausgebaut und so dazu beigetragen, dass sich die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise in Deutschland in Grenzen gehalten haben. Dies zeigt erneut, dass es für ein Bankensystem von Vorteil ist, wenn es darin nicht nur einen Typus von Banken gibt, und dass die Vielfalt der Organisationsformen im Bankwesen beibehalten werden sollte.
Das Plädoyer für die Erhaltung der Vielfalt hat auch eine politische Dimension. Dass Vielfalt nicht nur ein Charakteristikum Europas ist, sondern auch eine Stärke im internationalen Wettbewerb, wird mit Recht auch in der so genannten Lissabon-Agenda aus dem Jahr 2000 betont. Deshalb bildet die Bewahrung der Vielfalt ein hochrangiges Ziel der offiziellen EU-Politik. Die Erhaltung des deutschen Dreisäulensystems passt also geradezu ideal in diese Politik. Daher rechtfertigen weder die Annahmen, dass Netze eher kleiner dezentraler Banken langfristig wirtschaftlich nicht tragfähig oder im Vergleich zu Großbanken nicht effizient seien, noch politische Vorgaben eine Abschaffung, zumindest im deutschen Fall.
Reinhard H. Schmidt ist Seniorprofessor für internationales Bank- und Finanzwesen an der Goethe-Universität Frankfurt und Associated Research Professor des SAFE Policy Centers.
Mehr zu diesem Thema:
- Reinhard H. Schmidt: Passt das deutsche Dreisäulensystem in eine zunehmend harmonisierte Bankenstruktur für Europa?, SAFE Policy Letter No. 65
- Hans-Helmut Kotz and Reinhard H. Schmidt: Corporate Governance of Banks – A German Alternative to the “Standard Model”, SAFE White Paper No. 45
- Patrick Behr and Reinhard H. Schmidt: The German Banking System: Characteristics and Challenges, SAFE White Paper No. 32