SAFE Finance Blog
16 Dec 2021

Notenbanken – unabhängig oder allmächtig?

Otmar Issing: Heute genießen zahlreiche Notenbanken in der Welt den Status der Unabhängigkeit. Historisch war das keineswegs die Norm. Dafür gibt es wichtige Gründe

Zum einen ist fraglich, ob in einer Demokratie eine so wichtige Aufgabe, wie den zentralen Zins für die Volkswirtschaft zu bestimmen, in die Hände nicht gewählter und dem Parlament gegenüber nicht verantwortlicher „Technokraten“ übertragen werden sollte.

Zum anderen waren lange Zeit auch die meisten Ökonom:innen gegen die Unabhängigkeit der Notenbank. Die einen, weil sie im Interesse einer effizienten makroökonomischen Globalsteuerung Fiskalpolitik und Geldpolitik in der Hand der Regierung vereint sehen wollten. Die anderen, vorwiegend liberalen Ökonom:innen, wollten geldpolitische Entscheidungen nicht dem Willen von Personen ausgesetzt sehen.

Die entscheidende Wende in dieser Debatte kam mit der Erfahrung der – in den USA so genannten – großen Inflation in den 1970er Jahren.

Zahlreiche an diese Periode anschließende empirischen Studien erbrachten für viele Länder den überzeugenden Beweis: Es besteht ein eindeutiger inverser Zusammenhang zwischen dem Grad der Unabhängigkeit der Notenbank und der Höhe der Inflation. Als Folge dieser Erkenntnis verliehen zahlreiche Staaten ihrer Notenbank den Status der Unabhängigkeit. Um das Jahr 1990 erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt.

Die Unabhängigkeit der Bundesbank als Vorbild für die EZB

Etwa zur gleichen Zeit begannen die Diskussionen um das Statut der künftigen europäischen Notenbank. Neben dem erwähnten empirischen Befund spielte dabei das Beispiel oder besser Vorbild der unabhängigen Deutschen Bundesbank und die weltweit bewunderte Stabilität ihrer Währung eine entscheidende Rolle. Obgleich alle anderen nationalen Notenbanken damals nicht unabhängig waren, einigte man sich nach durchaus schwierigen Verhandlungen darauf, der künftigen europäischen Notenbank den Status der Unabhängigkeit zu verleihen.

Die Folgezeit war weltweit durch niedrige Inflation und stabiles Wachstum gekennzeichnet. Diese positive Entwicklung schrieb man allgemein auch der erfolgreichen Geldpolitik jetzt unabhängiger Notenbanken zu. Deren Reputation wurde noch weiter gestärkt durch ihre Rolle in der Bekämpfung der Folgen der Finanzmarktkrise von 2007/8. Mit ihrer entschlossenen Geldpolitik haben sie wesentlich dazu beigetragen, dass aus einer schweren Rezession nicht eine Depression im Ausmaß der 1930er Jahre wurde.

Nicht zuletzt wegen dieser Errungenschaften übertrugen zahlreiche Länder ihren Notenbanken weitere Kompetenzen auf dem Gebiet der mikro- und makroprudenziellen Politik. Mehr und mehr drängten Notenbanken auch selbst zur Ausweitung ihres Mandats über ihre genuine Verantwortung für die Stabilität des Geldes hinaus. Zwei Politikfelder sind hier zu nennen. Das ist einmal die Vergabe von Krediten zu Sonderkonditionen an bestimmte Sektoren und die generelle Verfolgung verteilungspolitischer Ziele. In den vergangenen Jahren haben sich Notenbanken auch zunehmend verpflichtet, einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten.

Notenbanken sind überfordert

Die Europäische Zentralbank hat zudem spätestens mit dem „whatever it takes“ ihres Präsidenten im Jahre 2012 eine Verantwortung für den Zusammenhalt der Europäischen Währungsunion übernommen.

Notenbanken sind in zweifacher Hinsicht überfordert. Einmal wegen überzogener Erwartungen, die zu Enttäuschungen und damit Verlust an Vertrauen führen. Zum anderen haben sie sich mit der Ausdehnung des Mandats auf ein Terrain begeben, das eindeutig in die Verantwortung der Regierungen fällt, die ihren Parlamenten und am Ende dem Wähler gegenüber Rechenschaft ablegen müssen. Damit gerät die Unabhängigkeit der Notenbanken unweigerlich in die Kritik.

Unabhängigkeit der Notenbanken ist in einer Demokratie nur auf der Basis eines klaren und engen Mandats zu rechtfertigen.


Otmar Issing, früherer Chefökonom und Mitglied des Direktoriums der EZB, ist Präsident des Center for Financial Studies in Frankfurt.

Dieser Blogpost basiert auf dem SAFE Policy Letter No. 92 „Central Banks – independent or almighty?”.

Blog-Einträge stellen die persönliche Meinung der Autoren:innen dar und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen wider.