SAFE Finance Blog
03 Jul 2019

„Mit Mini-Bots würde sich der Staat auf längere Sicht selbst ärmer machen“

Jan Krahnen: Die Überlegungen in Italien zu neuen Schuldscheinen sind Grund zur Sorge für den Euroraum. Aber letztlich würde sich das Land damit selbst schaden

Das italienische Parlament hat einer Resolution zugunsten von Mini-Bots zugestimmt. Was verbirgt sich dahinter und wie funktionieren diese Wertpapiere?

Mini-Bots sind vereinfacht gesagt Schuldscheine in kleiner Stückelung, die ein Staat ausgibt im Gegenzug für eine erbrachte Leistung. Der Staat bezahlt also einen Lieferanten nicht in Euro, sondern gibt ihm stattdessen einen Schuldschein, den dieser nutzen kann, um seine Steuerschuld zu tilgen. Theoretisch könnte ein Staat auch Schuldscheine ausgeben als Gehälter für Lehrer oder Polizisten. Sofern die Schuldscheine weitergegeben werden, dienen sie als alternatives Zahlungsmittel: Der erste Empfänger gibt den Mini-Bot weiter an jemanden, der seinerseits damit eine Steuerschuld begleichen kann oder ihn erneut weiterreicht. Die Schuldscheine beginnen in diesem Fall in der Volkswirtschaft zu zirkulieren.

Was bezweckt die italienische Regierung mit diesem Vorhaben?

Italien hat – wie viele andere Staaten übrigens auch – hohe Zahlungsrückstände gegenüber Lieferanten. Das ist für viele Unternehmen ein Problem, denn der Staat ist nicht ohne weiteres pfändbar und natürlich auch ein großer und wichtiger Kunde, den Unternehmen nicht verprellen wollen. Mit den Mini-Bots will Italien einen Entschuldungsvorgang einleiten. Das setzt voraus, dass die Schuldscheine weitergegeben werden können.  Wenn der Empfänger den Mini-Bot „einlöst“, also zur Steuerschuldbegleichung verwendet, sinken die Steuereinnahmen des Staates um den entsprechenden Betrag. Nun müsste der Staat eigentlich seine Ausgaben reduzieren – was wohl eher unrealistisch ist – oder sich stärker verschulden, wenn er nicht die Steuern erhöhen will. Wenn die Schuldscheine dagegen zwischen Haushalten und Firmen weitergegeben werden, wirken die Mini-Bots wie ein Zahlungsmittel. Der Staat kann dann hoffen, dass die Einlösung beziehungsweise der damit verbundene Steuerrückgang sich weiter in die Zukunft verschiebt oder sogar gänzlich unterbleibt, weil der Schuldschein immer weitergegeben wird. Für den Emittenten – sprich den Staat, der die Mini-Bots herausgibt – entsteht in diesem letzten Falle ein Seignorage-Ertrag, der insoweit und in dem Umfang anfällt, in dem Mini-Bots für Zahlungszwecke und nicht zur Steuerschuldtilgung verwendet werden. Als „Seignorage“ bezeichnet man üblicherweise den Ertrag, den eine Zentralbank durch Geldschöpfung erzielt.

Kann das funktionieren? Wie würden sich Mini-Bots nach Ihrer Einschätzung in Italien auswirken?

Ich glaube nicht, dass die Entschuldung so einfach funktioniert, wie oben beschrieben. Denn: Wenn die Schuldscheine weitergegeben werden, wird das nicht ohne einen Abschlag erfolgen. Ein Käufer des Schuldscheins würde beispielsweise für eine Steuergutschrift von 100 Euro nur einen Gegenwert von 95 Euro liefern. Das liegt daran, dass die Einlösung mit einer gewissen Unsicherheit verbunden ist, denn die Politik kann im Prinzip jederzeit die Einlösbarkeit der Mini-Bots geänderten Bedingungen unterwerfen. Sie könnte beispielsweise die Steuerschuldkompensation insofern verschlechtern, als sie nur zu einem „Wechselkurs“ von kleiner als eins verrechnet werden könnte.

Die Anrechenbarkeit auf ausstehende Steuerschulden ist letztlich eine rein politisch-fiskalische Entscheidung, die keiner parlamentarischen oder sonstigen Kontrolle unterliegt, etwa durch eine Notenbank. Es trägt letztendlich niemand Sorge dafür, dass der Wert der Mini-Bots stabil bleibt, so wie es bei der gesetzlichen Währung durch das Mandat einer Zentralbank üblicherweise geschieht. Die Werthaltigkeit dieser Mini-Bot-Papiere wäre also in Frage gestellt, zumal bei Staaten mit häufigen Regierungswechseln wie in Italien.

Auf der anderen Seite gibt es einen Anreiz für Lieferanten, die Schuldscheine weiterzureichen, wenn sie beispielsweise gar nicht so hohe Steuerschulden begleichen müssen. Deshalb wären sie wohl auch nur bereit, Mini-Bots zu einem höheren Wert als Zahlungsmittel zu akzeptieren. In der Folge würden also Leistungen, die der Staat bezieht, aufgrund des Weiterreichungsabschlags teurer werden. Insgesamt können sich hieraus negative Wirkungen für Italiens Volkswirtschaft ergeben: Eine dauerhaft stabile Tauschwährung ist wenig realistisch. Die Staatsverschuldung würde dann weiter zunehmen, weil der Staat netto an Steuereinnahmen verlieren würde. Die sauberere und transparentere Lösung für Italien wäre, die Verschuldung direkt ohne diesen Umweg zu erhöhen – dass sie dabei mit den Maastricht-Regeln in Konflikt geraten, soll hier einmal außer Acht bleiben.

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hat bereits gewarnt, dass Mini-Bots als Geldersatz illegal seien. Kommt es zur Kraftprobe mit der EZB?

Mini-Bots als gesetzliches Zahlungsmittel, das neben dem Euro angenommen werden muss, wären sicher nicht rechtens und würden gegen die Vereinbarungen zum Euro-Währungsraum verstoßen. Die EZB müsste dann reagieren, zum Beispiel mit Sanktionen. Aber selbst unterhalb der Schwelle eines gesetzlichen Zahlungsmittels könnten Mini-Bots wie ein Spaltpilz im Währungsraum wirken: Sollte die Schuldscheine tatsächlich nicht zur Begleichung von Steuerschulden sondern als Zahlungsmittel verwendet werden, so dass für den emittierenden Staat Seignorage entsteht, könnten weitere Länder versucht sein, ebenfalls Mini-Bots auszugeben. Wir hätten dann eine Konkurrenz nationaler Steuergutschriften und es würden sich Wechselkurse zwischen den unterschiedlichen Mini-Bot-Währungen herausbilden. Die Situation wäre dann entfernt vergleichbar mit jener, die vor der Einführung des Euro bestand.

Aber tatsächlich ist die Gefahr einer solchen Entwicklung und einer damit verbundenen Verdrängung des Euro als Zahlungsmittel wohl eher gering. Der Grund ist letztendlich der Mangel an Vertrauen an die Stabilität dieser Parallelwährung. Wegen dieses Mangels mögen Mini-Bots zwar zur Tilgung von Steuerschulden dienen –  aber sie taugen nicht zu einer mit dem Euro konkurrierenden Währung. Sie bleiben damit ein Instrument des Staatsschuldenmanagements, ohne nennenswerte monetäre Bedeutung. Da sie zugleich, wegen des vermuteten Vertrauensproblems zu überproportionalen Steuerausfällen führen, schädigt sich der Fiskus mit der Einführung von Mini-Bots in erster Linie selbst. Die Vermutung ist daher, dass sich für die Schuldscheine ein Wechselkurs zum Euro bilden würde, der den mangelnden Glauben der Marktteilnehmer in die Werthaltigkeit solcher Papiere aufzeigen würde. Mit Mini-Bots würde sich der Staat daher auf längere Sicht selbst ärmer machen.


Jan Krahnen ist Professor für Finance an der Goethe-Universität Frankfurt und Direktor des LOEWE-Zentrums SAFE.