SAFE Finance Blog
11 Sep 2018

Makroökonomische Effekte der Einwanderungswelle

Alexander Ludwig über die Demonstrationen in Chemnitz aus Sicht der Wissenschaft

Wie Felix Brummer, der Sänger der Chemnitzer Band Kraftklub, vor dem Konzert am vergangenen Montag betonte, wäre es naiv zu glauben, man könne "ein Konzert mach[en] und dann ist die Welt gerettet". Aber wie eben diese Musiker beschlossen haben, ihren Beitrag zu leisten, so kann ich als Wissenschaftler auch einen kleinen Teil zur Debatte beitragen. Dies ist der Anlass für diesen Blog-Beitrag, auch wenn die wissenschaftliche Studie, auf der er beruht, nach wie vor auf vorläufigem Zahlenmaterial fußt.

Als Wissenschaftler ist es mir wichtig, eine klare Sprache zu finden, die populistische und nationalistische Argumente in die Ecke führt, in die sie gehören: Meinungsmache, die von den wahren Ursachen möglicher Probleme ablenkt und Sündenböcke sucht. Die jüngsten Ereignisse in Teilen dieses Landes zeigen, welche Gefahr darin besteht, wenn Politiker sich dies zunutze machen, um auf Basis falscher Tatsachen eben solche Meinungsmache zu betreiben.

Die langfristigen ökonomischen Effekte sind positiv

Im Folgenden möchte ich die Ergebnisse unserer Berechnungen zu den ökonomischen Effekten einer sehr hohen Einwanderungswelle nach Deutschland aus dem Jahr 2016 darstellen. Die Daten basieren auf dem Jahr 2015. Derzeit befindet sich die Studie in Überarbeitung (aufgrund neuen Zahlenmaterials) und ich werde bald über die neuen Zahlen an dieser Stelle berichten.

Selbst wenn bis zum Jahr 2020 3,5 Millionen überwiegend schlecht ausgebildete Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sind die gesamtökonomischen Effekte gering. Trotz überwiegend gering qualifizierter Zuwanderer ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland bis 2040 auf dem gleichen Niveau wie ohne Zuwanderung. Da das Pro-Kopf-Einkommen als Maß berücksichtigt, dass Flüchtlinge weniger produktiv sind, ist dieses Ergebnis gleichbedeutend mit der Aussage, dass die Gesamtwirtschaft von dem Zustrom profitieren wird. Zugleich ist das Pro-Kopf-Einkommen ein verzerrendes Maß, da es immer dann sinkt, wenn durch ein gegebenes Einkommen mehr Köpfe versorgt werden müssen; oder wenn diese Köpfe zum Einkommen beitragen, aber weniger produktiv als der Durchschnitt der Bevölkerung sind, so wie die Flüchtlinge.

Der Grund für die langfristig positiven Effekte sind unsere Sozialsysteme: Die Flüchtlinge und jungen Migranten sind zwar schlecht ausgebildet und damit im Vergleich zur durchschnittlichen heimischen Arbeitskraft deutlich weniger produktiv, sie stützen aber mittelfristig durch ihre Tätigkeit und das geringere Lebensalter die Sozialsysteme. Dies erhöht die Effizienz der Gesamtökonomie. Im Rentensystem kann dies beispielsweise zu einem Sinken des Beitragssatzes bis zum Jahr 2040 um einen Prozentpunkt führen.

Ja, kurzfristig gibt es Druck auf den Arbeitsmarkt und kurzfristig sinken auch die Nettolöhne der gering qualifizierten Beschäftigten, insbesondere mit Migrationshintergrund. Bereits nach wenigen Jahren ist dieser Effekt aber überkompensiert, sodass auch diese Bevölkerungsgruppen in der Gesamtschau ökonomisch von der Zuwanderung profitieren werden. Dies ist unter der Voraussetzung berechnet, dass es gelingt, nach zehn Jahren etwa 60 Prozent der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt zu integrieren – beileibe eine vorsichtige Annahme, insbesondere da in unseren Berechnungen zugleich – sehr konservativ gerechnet – unterstellt wird, dass die gering qualifizierten Zuwanderer keine höherwertige Qualifikation erhalten.

Mehr Investitionen in Bildung

Wenn es also gelingt, junge Zuwanderer nicht nur in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sondern auch noch besser auszubilden, wären die Nettolohneffekte auch im gering qualifizierten Beschäftigungsfeld noch früher deutlich positiv.

Die Aufgabe, der sich Politiker in diesem Land somit stellen müssen, ist nicht über populistische Töne eine Spaltung der Gesellschaft herbeizuführen, sondern relevante arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu unterstützen. Einer verbesserten Ausbildung kommt hier besonderes Gewicht zu. Es müsste mehr Geld in die Hand genommen werden, damit gering Qualifizierte in diesem Land, gleich welcher Herkunft, am technischen Fortschritt teilhaben können. Die Kosten der Integration der Zuwanderer sind nämlich eine sinnvolle Investitionen in die Zukunft.

Viel gravierender, und das ist ein weiteres Ergebnis unserer Studie, sind dagegen die Kosten einer verfehlten Rentenpolitik: Das ist verschwendetes Geld und wird Deutschland viel mehr Wachstums- und Produktivitätsverluste bescheren! Eine Rentengarantie und ein gleichzeitiges Festhalten am Renteneintrittsalter wird zu Verlusten beim Pro-Kopf-Einkommen um 14 Prozent bis 2040 führen. In Anbetracht dessen fallen die zwischenzeitlichen Verluste des Pro-Kopf-Einkommens durch eine Flüchtlingswelle, die bis 2040 wie beschrieben kompensiert sind, von maximal 0,5 Prozent beim besten Willen kaum ins Gewicht.

Genauere Einblicke in unsere Analyse erhalten Sie hier: The Macroeconomic and Distributional Effects of the 2015-? German Immigration Wave: First results (with Christopher Busch, Daniel Harenberg and Dirk Krueger), 2016, work in progress. 

Blick in die Kriminalitätsstatistik  

 

Ein kurzer Exkurs in die deutsche Kriminalitätsstatistik zeigt, dass die Gewaltkriminalität auf Bundesebene seit den 1980er Jahren kontinuierlich gestiegen und seit Mitte der 2000er Jahre wieder gefallen ist. Die Veränderungsrate der Gewaltkriminalität gegenüber dem Vorjahr stieg im Jahr 2016 um ca. sechs Prozent, ist im letzten Jahr aber wieder gefallen, was einen Rückgang an Gewaltdelikten nahelegt. Der Anstieg 2016 mag mit der hohen Anzahl an Migranten zusammenhängen. Es ist aber wichtig, im gleichen Atemzug den Rückgang 2017 zu betonen.

Ein Anstieg der Gewaltdelikte im Zusammenhang mit hoher Immigration ist nämlich bekanntlich ein transitorisches Problem. Dieser Aspekt wird besonders deutlich, wenn man das Jahr 1992 betrachtet, in dem die Anzahl der Gewaltdelikte in Deutschland um 20 Prozent gestiegen ist – bei auch etwa einer Million Immigranten im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Im Zeitraum danach ist ein recht schneller Rückgang auf Nullwachstum zu beobachten. Auch in absoluten Zahlen ist ein Rückgang zu verzeichnen.  Die polizeilich registrierten Straftaten je 100.000 Einwohner sind von 2016 auf 2017 um zehn Prozent zurückgegangen.

Aus dieser Betrachtung kann also keineswegs geschlussfolgert werden, dass viele Migranten nach Deutschland persistent die Gewaltkriminalität erhöhen würden.

Hier finden Sie ergänzend Grafiken zur Kriminalitätsstatistik.

Datenquelle: Bundeskriminalamt; Statistisches Bundesamt.


Alexander Ludwig ist Programmdirektor „Macro Finance – Monetary Policy and Fiscal Stability“ am Research Center SAFE.