SAFE Finance Blog
21 Mar 2018

Kryptowährungen durch „Forward Guidance" steuern

Matthias Goldmann und Grygoriy Pustovit: Ein „Sandbox"-Ansatz für die Finanzaufsicht könnte ein Anfang sein

Während in den vergangenen Monaten der freie Handel gegen Protektionismus kämpfte, schienen Kryptowährungen eine Grenze nach der anderen einzureißen ­– in physischer, geographischer und rechtlicher Hinsicht gleichermaßen. Die Meinungen über das „ob“, „was“ und „wie“ der Regulierung von Kryptowährungen gehen stark auseinander. Wenig überraschend entschlossen sich Finanzmarktregulierer und -aufsicht bis Ende 2017 zu einer Strategie des Abwartens davon ausgehend, es handele sich um eine Marktstörung von geringerer Bedeutung für die internationale Finanzwelt.

Der unerwartete Preisanstieg der Kryptowährungen gegen Ende des Jahres 2017 erhöhte jedoch den Handlungsdruck auf die Regulierer. Für diese Entwicklung waren verschiedene Faktoren verantwortlich: Einerseits wurde das technologische Potenzial der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) als Marktinfrastruktur für Finanzdienstleistungen offensichtlich. Andererseits wurde der Zugang zu Kryptowährungen einfacher. Vor nicht allzu langer Zeit wussten lediglich IT- und Finance-Freaks wie man Kryptowährungen kauft, verkauft und bewertet. Das Aufkommen von anwenderfreundlichen Serviceleistungen, die normalen Verbrauchern ohne viel Aufwand den Kauf von Kryptowährungen ermöglichen, zusammen mit der Hoffnung auf schnelle Gewinne, bereitete einen fruchtbaren Boden für eine spekulative Blase auf dem Markt für Kryptowährungen.

Indirekt regulieren: Erwartungen managen mit öffentlichen Statements

Und dann stellte sich eine unerwartete Form der Regulierung ein, die viel schneller und effektiver als angenommen war. Es begann auf dem Höhepunkt der Bitcoin-Blase als die französische Regierung laut darüber nachdachte, die Regulierung von Kryptowährungen auf die Agenda des G20-Gipfels zu setzen. Andere Regierungen folgten schnell. Einige dieser Interventionen scheinen den starken Preisverfall des Bitcoins verursacht zu haben. Andere hatten einen kaum wahrnehmbaren Effekt. Nach unserer Einschätzung bestimmen folgende Faktoren den Wert des Bitcoins: Erstens die Bedeutung des Akteurs für den Finanzmarkt im Allgemeinen und die Größe des betreffenden nationalen oder regionalen Marktes, zweitens der Neuigkeitswert der Verlautbarung und drittens der Inhalt der Ankündigung. Warnungen an die Verbraucher lösen normalerweise eine weniger starke Marktreaktion aus als Vorschläge zu einem international abgestimmten regulatorischen Rahmen, oder konkrete unilaterale Ankündigungen Kryptowährungen teilweise oder gänzlich zu verbieten.

Der Markt scheint ein kollektives Gedächtnis für diese öffentlichen Verlautbarungen zu besitzen, das wie ein Kassenbuch funktioniert - eine öffentliche Bilanz. Worte sind hier Taten: Jede öffentliche Ankündigung durch eine Regierung oder Aufsichtsbehörde produziert einen Eintrag in das virtuelle Kassenbuch des Marktes für Kryptowährungen. In dem Ausmaß, in dem dieses Konto einen Konsens unter den Regulierungsbehörden wiederspiegelt, bietet es auf einem volatilen, von regulatorischer Unsicherheit geprägten Markt Orientierung im Hinblick auf die Zukunft.  

Diese Orientierung ist weitgehend virtuell und besteht aus Warnungen, programmatischen Aussagen und Absichtserklärungen. Nur in wenigen Fällen folgten auf die Ankündigung schnelle und konkrete regulatorische Maßnahmen. China griff z.B. gegenüber Kryptowährungen durch, indem es „Initial Coin Offerings“ und Börsen für Kryptowährungen verbot, in dem Versuch, Bitcoin-Minen zu schließen. Im Gegensatz dazu beschränkte sich die Mehrheit der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden auf Warnungen, den aber nur selten konkrete Schritte folgten.

Warum waren diese öffentlichen Erklärungen erfolgreich? Die technologische Herausforderung hat sich nicht geändert. Für die Aufsichtsbehörden wäre es nach wie vor in vielen Bereichen schwierig, Kryptowährungen effektiv zu kontrollieren. Die Regulierung setzt daher bei denjenigen an, die Kryptowährungen kaufen, verkaufen und als Zahlungsmittel akzeptieren. Sie könnte beispielsweise die steuerliche Abzugsfähigkeit für Ausgaben aussetzen, die mit Kryptowährungen bezahlt werden, bestimmte Steuern auf solche Transaktionen erheben oder rigorose Kapitalanforderungen oder Anti-Geldwäsche-Gesetze auf Dienstleister in diesem Bereich anwenden. Nichts schadet den Kryptowährungen mehr als Beschränkungen ihrer Fähigkeit, sich mit der Realwirtschaft zu verbinden. Es ist daher durchaus möglich, Kryptowährungen indirekt zu regulieren.

Aus den Erfahrungen aus der Reaktion der Aufsichtsbehörden auf die Kryptowährung-Blase der vergangenen Monate lassen sich wichtige Erkenntnisse für jegliche zukünftige Regulierung für Kryptowährungen ziehen: Erstens sind öffentliche Erklärungen ein sehr effektives Mittel, um Blockchain-Plattformen kurzfristig zu regulieren. In den Finanzmärkten dreht sich alles um die Erwartung zukünftiger Gewinne. Öffentliche Verlautbarungen managen diese Erwartungen, eine Tatsache, die in der Geldpolitik als „Forward Guidance“ bekannt ist und nun zunehmend auch für die Finanzmarktregulierung relevant wird. Dies wirft eine Reihe von rechtlichen Fragen auf. Solche Verlautbarungen müssen rechtlichen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen genügen, welche ihre Legitimität sicherstellen, ohne die Effektivität dieser im Ermessen der handelnden Stelle liegenden Instrumente einzuschränken. Zudem scheint es notwendig, den Umfang der gerichtlichen Überprüfbarkeit auszudehnen.

Ein Regulierungs-Inkubator muss her

Die zweite Erkenntnis bezieht sich auf die ungeheure Geschwindigkeit von Fintech-Innovationen.  Die Regulierung muss damit Schritt halten, gleichzeitig verlangt dies langwierige Verhandlungen auf nationaler und internationaler Ebene. Das Risiko einer großen Blase mit potenziellen systemischen Effekten sollte man nicht eingehen, nur weil es nicht gelingt, schnell genug eine Regulierung zu schaffen. Bislang sind einige Rechtsordnungen dieser Herausforderung mit einem „Sandkasten-Ansatz“ begegnet. Dieser stützt sich auf das Experimentieren und den aufsichtlichen Ermessensspielraum, der Startup-Unternehmen ermöglicht, innerhalb eines definierten Bereichs und innerhalb einer bestimmten Zeit unter geringeren regulatorischen Anforderungen zu arbeiten.

Ein solcher Sandkasten-Ansatz verlangt geradezu nach internationaler Abstimmung. Anderenfalls würde man zu regulatorischer Arbitrage und einer potenziell schädlichen Konkurrenz der Rechtsordnungen animieren. Wie könnte eine solche internationale Koordination aussehen? Um das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Innovation zu wahren, sollte sie den experimentellen Charakter des Sandkasten-Ansatzes nachahmen. Man könnte gewissermaßen einen „Sandkasten für Regulierer“ entwickeln: Eine Zusammenarbeit, die nicht sofort und voreilig in eine Rechtsvorschrift münden, diese aber erleichtern würde, erstens durch den Austausch von Informationen zwischen den Regulierungs- und Aufsichtsbehörden verschiedener Rechtsordnungen und zweitens durch abgestimmte Kommunikation und „Forward Guidance“. Die Einschätzungen der Regulierer und Aufsicht könnten experimentell, vorläufig und vorbehaltlich von Änderungen kommuniziert werden. Es existieren bereits verschiedene Institutionen wie das Financial Stability Board, der Basler Ausschuss bzw. die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) oder der Internationale Währungsfonds (IWF), die einen entsprechenden Rahmen vorgeben könnten. Ein solcher Sandkasten für Regulierer könnte zu einem Inkubator für eine schnellere, flexiblere und nachhaltige Regulierung auf europäischer und internationaler Ebene werden.


Mehr zu diesem Thema: Matthias Goldmann und Grygoriy Pustovit: Governing Cryptocurrencies through Forward Guidance, SAFE Policy Letter No. 68

Eine frühere Version dieses Artikels ist auf verfassungsblog.de und im Oxford Business Law Blog erschienen.

Matthias Goldmann ist Juniorprofessor für Internationales Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Goethe-Universität Frankfurt.

Grygoriy Pustovit ist Doktorant des Ph.D. Program in Law and Economics an der Goethe-Universität Frankfurt.