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09 Feb 2022

Italiens Regierung nach verpatzter Präsidentschaftswahl vor großen Hürden

Ignazio Angeloni: Nie hat eine gute Nachricht in der Politik bei näherem Hinsehen so schlecht ausgesehen

Nach einer Woche der Verwirrung und des Gerangels in Rom um den nächsten italienischen Präsidenten ist die gute Nachricht, dass der Auserwählte nichts weniger als das Beste ist – was zu erwarten war: Sergio Mattarella, der Mann, der in den vergangenen sieben Jahren mehr als jeder andere für Stabilität und Weisheit in der italienischen Politik gesorgt hat. Seine fortdauernde Anwesenheit im Quirinale-Palast ist die beste Voraussetzung dafür, dass für weitere sieben Jahre dieselben Bedingungen herrschen werden. Doch damit nicht genug: Die gleiche Prämisse stellt sicher, dass Mario Draghis Position als Premierminister nicht zur Debatte steht, zumindest bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Juni 2023. Leider enden die guten Nachrichten an diesem Punkt, und der Ärger beginnt.

Die verzwickten Manöver der politischen Parteien, die zu diesem Ergebnis geführt haben, sind die schlimmsten in der Geschichte der italienischen Politik – und das heißt schon viel. Für die Wahl des Präsidenten ist nach drei ersten Wahlgängen eine einfache Mehrheit in den beiden Kammern (insgesamt 951) plus 58 Regionalvertreter:innen erforderlich: 505 Stimmen von 1009 Mitgliedern. Keine Parteienkoalition hatte eine solche Mehrheit: weder die linke Mitte (426 Stimmen) noch die rechte Mitte (414). Die übrigen parteilosen Mitglieder (111) und die regionalen Mitglieder sind weitgehend unkontrollierbar und unberechenbar.

Eine Mischung aus Fehden und Gehässigkeit lässt politische Narben enstehen

Arithmetik und gesunder Menschenverstand hätten von den Parteispitzen verlangt, sich in einem Raum einzuschließen, jegliche Kommunikation mit den Medien auszusetzen, sich einen Namen auszudenken, der von beiden Parteien unterstützt wird, in den Saal zurückzukehren und diesen Namen zu wählen. Nichts von alledem geschah. Die Woche verging damit, dass die Parteivorsitzenden – insbesondere der selbsternannte Vorsitzende der rechten Mitte, Lega-Nord-Chef Matteo Salvini – öffentlich Namen vorschlugen, die von anderen umgehend abgelehnt wurden, während die Delegierten im Saal weiße Stimmzettel oder unwahrscheinliche Namen wie Komiker, Musiker und dergleichen abgaben. Angesehene Persönlichkeiten, darunter auch Mario Draghi, landeten in dieser Gesellschaft im medialen Fleischwolf.

Unfähig, eine Lösung zu finden, stiegen die Verantwortlichen schließlich auf den Quirinale, wo Sergio Mattarella gerade den Umzug seiner persönlichen Gegenstände in eine bereits angemietete Wohnung überwachte, um ihn anzuflehen, ein weiteres Mandat anzunehmen. Der Mann willigte ein, obwohl er „andere persönliche Pläne“ hatte.

Die politischen Narben, die dies hinterlässt, der Verlust der Glaubwürdigkeit des Wahlsystems und das gegenwärtige Klima – eine Mischung aus Fehden und der gegenseitiger Gehässigkeit – können kaum überschätzt werden. Das italienische Zweiparteiensystem, das 1993 mit der Einführung eines Mehrheitswahlsystems entstand, liegt in Trümmern. Was wird es ersetzen?

Politische Maßnahmen, Pläne und Reformen sind dringend notwendig

Noch bevor diese Frage beantwortet ist, muss sich die Regierung um dringende Angelegenheiten kümmern. Die wirtschaftliche und soziale Lage des Landes nach dem Ende der Corona-Pandemie erfordert eine ruhige Hand der politischen Entscheidungsträger:innen. Die Frage ist: Können die Herausforderungen auch mit Schwergewichten wie Mattarella und Draghi an der Spitze bewältigt werden, wenn genau die Parteien, die diese Umstände heraufbeschworen haben, der Regierung die notwendige Unterstützung geben?

Hier eine Liste der dringendsten politischen Maßnahmen:

  1. Covid-Notfallmaßnahmen: Das Ende der Pandemie mag in Sicht sein, aber ein sorgfältiges Management ist weiterhin erforderlich. Das Auslaufen der Notfallmaßnahmen muss geplant und umgesetzt werden, nicht nur im Gesundheitssektor: Die wirtschaftlichen Maßnahmen (Garantien, Subventionen) müssen mit Bedacht aufgehoben werden, wobei dem Druck von Lobbygruppen und Wirtschaftssektoren auf weitere Unterstützung widerstanden werden muss.
     
  2. Haushalts- und Steuerreform: Die Regierung hat sich auf nationaler und europäischer Ebene verpflichtet, den öffentlichen Haushalt zu sanieren, die Steuern zu senken, die Verschwendung von Geldern zu beseitigen und die produktiven Investitionen zu erhöhen. All dies muss mit einem glaubwürdigen Plan zum Abbau der Staatsverschuldung einhergehen. Bis April müssen die Haushaltspläne für 2022 und darüber hinaus fertiggestellt sein und auf europäischer Ebene vorgelegt werden.
     
  3. Justizreform: Die Gerichtsverfahren müssen überarbeitet werden, um die Effizienz und Geschwindigkeit zu erhöhen – eine Schlüsselreform in einem Land, das bei weitem die längste Verfahrensdauer in der gesamten EU aufweist. Das Parlament hat die Regierung ermächtigt, per Dekret zu handeln, aber es gibt noch viel Spielraum für die Parteien, um einen Rückzieher zu machen oder die Reform zu verwässern.
     
  4. Nationaler Aufbau- und Resilienzplan („Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza“, PNRR): Die Genehmigung des Plans durch die EU ist eine Voraussetzung für den Erhalt der beigefügten Finanzmittel. Allein im Jahr 2022 müssen rund 100 Bedingungen erfüllt werden, die sich nicht wie im vergangenen Jahr auf die Planungsphase (den einfachen Teil), sondern auf die Umsetzung (den schwierigen Teil) beziehen. Die Blockierung oder Verzögerung von EU-Mitteln ist ein konkretes Risiko.
     
  5. Die Rentenreform: Das bestehende unhaltbare Gesetz, das einen Renteneintritt mit 62 Jahren ermöglicht, wurde von Draghi aufgehoben und durch eine Übergangsregelung (64 Jahre) ersetzt, die Ende dieses Jahres ausläuft. Nun müssen neue, dauerhafte Regelungen eingeführt werden, die den Eintritt in den Ruhestand an die Lebenserwartung koppeln und Sanktionen für Frühverrentung vorsehen, um die finanzielle Nachhaltigkeit zu gewährleisten.

Jeder einzelne Punkt dieser unvollständigen Liste würde jeder Regierung in einem Jahr vor den Wahlen kalte Füße bescheren. Ihre Kombination ist entmutigend. Mario Draghi kann auf die Unterstützung der höchsten Autorität auf dem höchsten Hügel Roms zählen. Er hat bereits in der Vergangenheit hinreichend bewiesen, dass er in der Lage ist, durch raue See zu navigieren und unter schwierigen Umständen erfolgreich zu sein.

Mögen wir alle eines Tages sagen können, um einen der größten Politiker aller Zeiten zu paraphrasieren: „Dies war seine beste Stunde.“


Ignazio Angeloni ist SAFE Senior Fellow und Research Fellow am Mossavar-Rahmani Center for Business and Government der Harvard Kennedy School.

Dieser Beitrag wurde zuerst vom „Official Monetary and Financial Institutions Forum“ (OMFIF) in englischer Sprache veröffentlicht.

Blogbeiträge repräsentieren die persönlichen Ansichten der Autor:innen und nicht notwendigerweise die von SAFE oder seiner Beschäftigten.

Ignazio Angeloni

SAFE Senior Fellow