Von den vielen Umständen, die im Vorfeld des Wirecard-Skandals schiefgelaufen sind, hat die Regulierungsarchitektur der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) beaufsichtigt wird, besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Einige Stimmen behaupten, dass es weniger politische Einflussnahme und mehr Rechenschaft auf Seiten der BaFin gegeben hätte, wenn diese nicht so tief in die Berichtswege des Finanzministeriums eingebettet gewesen wäre. Weder ein beschleunigtes Peer-Review-Verfahren der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde („European Securities and Markets Authority“, ESMA) noch der Schlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Bundestags haben konkrete Anhaltspunkte für eine Einflussnahme des BMF auf Aktivitäten der BaFin im Fall Wirecard festgestellt. Dennoch zeigt sich die ESMA besorgt angesichts eines „erhöhten Risikos der Einflussnahme durch das BMF angesichts der Häufigkeit und Ausführlichkeit der Berichterstattung an das BMF im Wirecard-Fall“ und hält fest, dass auf diese Weise „im Falle von Unstimmigkeiten die Möglichkeit der Einflussnahme des BMF auf die BaFin hätte entstehen können“.
Die Richtlinien der ESMA zu Finanzinformationen unterstreichen seit 2014, dass „die Durchsetzungsbehörden eine angemessene Unabhängigkeit von der Regierung gewährleisten sollen“. Die EU-Kommission beabsichtigt beim Thema Bankenaufsicht einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Ihr Vorschlag zur Überarbeitung der Eigenkapitalrichtlinie 2013/36/EU (CRD IV) von Oktober 2021 hält fest, dass „jüngste Entwicklungen den Bedarf nach klareren und besser umsetzbaren Bestimmungen über das Unabhängigkeitsprinzip der zuständigen Behörden deutlich gemacht haben“. Art. 4 CRD IV wird dahingehend umformuliert, dass Mitgliedsstaaten „alle notwendigen Vorkehrungen treffen müssen, um zu gewährleisten, dass diese zuständigen Behörden (…) unabhängig und objektiv vorgehen können, ohne Anweisungen von der Regierung eines Mitgliedstaates einzuholen oder entgegenzunehmen, oder einer Einflussnahme von Seiten der beaufsichtigten Institute ausgesetzt zu sein“. Dazu soll die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) Richtlinien zur Unabhängigkeit zuständiger Behörden herausgeben, die „international bewährte Praktiken berücksichtigen“.
Die Unabhängigkeit von Finanzaufsichtsbehörden auf dem Prüfstand
Für Deutschland ergibt sich daraus die Notwendigkeit eines kritischen Blicks auf die gegenwärtige Regulierungsarchitektur. In einem SAFE White Paper haben wir überblicksmäßig fünf Länder miteinander verglichen und die Unabhängigkeit der jeweiligen Finanzaufsichtsbehörden von Regierungs- und Gesetzgebungsorganen untersucht. Während im Bereich der Regelsetzung ein gewisser Grad an Koordination zwischen den Finanzministerien und den Finanzaufsichtsbehörden festzustellen ist, haben wir keine Finanzaufsichtsbehörde gefunden, die direkt dem Finanzministerium des jeweiligen Landes untersteht (mit dem „U.S. Office of the Comptroller of the Currency“, kurz OCC, als eingeschränkter Ausnahme, welches als ein unabhängiges Büro des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten verstanden wird). Finanzaufsichtsbehörden sind stattdessen in der Regel den nationalen Parlamenten gegenüber verantwortlich.
Die Bewertung internationaler Best Practices erfordert erstens eine Arbeitsdefinition dessen, was unter „Unabhängigkeit“ verstanden werden kann. Dafür lässt sich auf ganz unterschiedliche Elemente abstellen, die jeweils eine bestimmte Form der Unabhängigkeit begründen. Um nur einige wenige zu nennen: (I) das Ernennungsverfahren der Person, die die Behörde leiten soll, (II) den Schutz der Leitung vor Abberufung aus politischen Gründen, anstatt aus rechtlich „wichtigem Grund“, (III) die Aufsicht über die tägliche Arbeit der Behörde, als Fach- oder als Rechtsaufsicht, (IV) die Berichtspflichten der Behörde an die Exekutive oder die Legislative, und (V) das Budget der Behörde, wer über die Höhe der Finanzierung entscheidet und wer hierfür Leistungen zu erbringen hat.
Best Practices bewerten
Zweitens sind für die Bewertung von Best Practices internationale Maßstäbe zu berücksichtigen. Wenig überraschend gilt die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde („Securities and Exchange Commission“, SEC) häufig als Vorbild für Kapitalmarktaufsicht. Der US-Präsident ernennt die Kommissionsmitglieder, nach Beratung und Zustimmung durch den Senat. Dabei handelt es sich um eine mehrköpfige Kommission mit gestaffelten Amtszeiten, wobei drei Mitglieder der Partei des US-Präsidenten und zwei der Opposition angehören. Der/die Vorsitzende kann nur „mit wichtigem Grund“ durch den Präsidenten abberufen werden, worunter Ineffizienz, Nachlässigkeit, gesetzwidriges Verhalten oder Amtsmissbrauch verstanden werden. Die SEC erstattet dem House Financial Services Committee, einem Ausschuss des Repräsentantenhauses für die Aufsicht über Finanzdienstleistungen, sowie mehreren anderen Kommissionen Bericht. Die Maßnahmen der SEC unterliegen nach dem U.S. Verwaltungsverfahrensgesetz der Prüfung, unzulässig sind „willkürliche und unberechenbare“ Maßnahmen. Finanziell ist die SEC von der Bewilligungspraxis des Kongresses abhängig.
Aus dem auf Wertpapiermärkte ausgerichteten Mandat der SEC ergibt sich, dass weitere Regulierungsbehörden Aufgaben übernehmen, die in Deutschland teilweise der Zuständigkeit der BaFin unterfallen. Die „Commodity and Futures Trading Commission“ (CFTC) ist gemäß „Commodity Exchange Act“ dafür verantwortlich, die Future- und Optionsmärkte im Zusammenhang mit Derivaten vor Betrug, Manipulation, missbräuchlichen Praktiken und Systemrisiken zu schützen. Das OCC übernimmt einige Aufsichts- und Zulassungsaufgaben im Rahmen der Bankenaufsicht über nationale Banken und staatliche Sparkassenverbände.
Das „Consumer Financial Protection Bureau“ (CFPB) ist eine Behörde, die von der Obama-Administration eingerichtet wurde und effizienten Schutz von Kleinanleger:innen auf Kapitalmärkten gewährleisten soll. Es hat eine(n) Direktor:in, der/die vom Präsidenten unter Zustimmung des Senats ernannt wird. Der/die Direktor:in des CFPB amtiert für fünf Jahre und kann nur aufgrund von „Ineffizienz, Pflichtvergessenheit oder Amtsmissbrauch“ abberufen werden. Das CFPB ist nicht auf jährliche Mittelzuweisungen angewiesen, sondern erhält seine Mittel direkt von der US-Notenbank Federal Reserve. Der/die CFPB-Direktor:in beantragt einen Betrag, den er/sie für „vernünftigerweise notwendig“ hält. Die „Federal Trade Commission“ (FTC) wurde ursprünglich als Kartellbehörde („trust-buster“) konzipiert. Dieses Mandat wurde später auf unlautere und betrügerische Aktivitäten oder Praktiken ausgeweitet, was auch Finanzdienstleistungen umfasst. Beispielhaft sei der „Equal Credit Opportunity Act“ genannt, der Diskriminierung bei der Kreditvergabe ausschließt. Die Kommission besteht aus fünf Mitgliedern, wobei nicht mehr als drei aus derselben politischen Partei stammen, und hat ebenfalls gestaffelte Amtszeiten. Allerdings kann der US-Präsident ihre Leitung nach Belieben abberufen, zum Beispiel aus politischen Gründen.
Die dritte Anforderung an eine Best-Practice-Überprüfung ist die komplizierteste. Regulierungsbehörden üben staatliche Gewalt aus und sind als solche ein integraler Bestandteil der rechtsstaatlichen Architektur.
Regulierungsbehörden als verfassungsrechtlich einzuordnende staatliche Gewaltausübung
Länder wie beispielsweise die USA unterscheiden zwischen „politischen“ und rein technischen „administrativen“ Behörden. Letztere werden als Bestandteil der Regierungsstruktur verstanden. Für erstere ist ihre Unabhängigkeit von der Regierung charakteristisch. Eine Behörde, die nicht in den ministeriellen Apparat eingebettet ist, soll die effizientere Durchsetzung der ihr übertragenen Aufsicht gewährleisten. Der verfassungsrechtliche Maßstab ist in diesen Ländern das Prinzip der Gewaltenteilung. Dabei gilt die Gründung der SEC im Jahr 1934 als ein überzeugendes Fallbeispiel. Das CFPB liefert ein Gegenbeispiel für die Unvereinbarkeit mit diesen Grundsätzen: Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat in einer seiner jüngsten Entscheidungen festgestellt, dass dessen „Führung durch ein einziges Individuum mit breit angelegtem Schutz vor Abberufung die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gewaltenteilung verletzt“.
In Deutschland werden demgegenüber alle Regulierungsbehörden als verlängerter Arm der Exekutive verstanden. Vor diesem Hintergrund ist der verfassungsmäßige „Lackmustest“ das Demokratieprinzip. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 zur Bankenunion dieses Prinzip in das Zentrum seiner Überlegungen gestellt. Die mit unabhängigen Behörden einhergehenden „Einflussknicke“ lässt das Gericht nur in Ausnahmefällen zu.
Die europäische Regulierung geht seit langem in eine andere Richtung als das deutsche Verständnis und der Schlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses ist sich der hieraus folgenden Spannungen durchaus bewusst. Bislang verfolgt das BMF mit Blick auf die BaFin eine pragmatische Lösung in Gestalt von Aufsichtsprinzipien. Diese betonen die Unabhängigkeit der BaFin und die Beschränkung des BMF auf generelle Fragen der organisatorischen Strukturen und Verfahren. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Herangehensweise mit den Plänen der EU-Kommission zur Unabhängigkeit in Einklang bringen lässt. In unserem SAFE White Paper haben wir ein neuartiges Verständnis der demokratischen Legitimation unabhängiger Behörden durch das Parlament angeregt. Der Vorschlag der Kommission gibt Anlass, diese Diskussion weiterzuführen.
Katja Langenbucher ist Professorin für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Bankrecht im House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt und koordiniert das LawLab – Fintech & AI als SAFE-Forschungsprofessorin.
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