SAFE Finance Blog
15 Nov 2017

In Richtung eines integrierten Versicherungsmarktes

Jens Gal und Helmut Gründl: Die Zeit für eine einheitliche europäische Versicherungsaufsicht ist noch nicht reif. Die Weichen sind jedoch bereits gestellt.

So wie die Finanzkrise die Errichtung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) in Gang brachte, so setzt auch der bevorstehende Brexit den Impuls für die relativ umfangreiche Reorganisation des Finanzstabilisierungsmechanismus. Nach den Vorstellungen der Kommission – ausweislich ihres Vorschlags zur Änderung der Verordnungen über die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) – soll die Aufsicht (und Regulierung) des Finanzsektors weiter zentralisiert und integriert sowie die ESAs mit zusätzlichen Befugnissen ausgestattet werden. Diese Änderungen zielen größtenteils darauf ab, die Kompetenzen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) an ihre neue Zielausrichtung in der Kapitalmarktunion (Capital Markets Union – CMU) anzupassen. In Anbetracht der Tatsache, dass ein Äquivalent zur CMU oder Bankenunion – eine Art Europäische Versicherungsunion – für den Versicherungssektor (oder den Sektor der betrieblichen Altersversorgung) noch nicht in Sicht ist, kann man prima vista die Auffassung vertreten, dass die Versicherungsaufsicht und -regulierung einmal mehr nur durch regulatorische Reformen in anderen Finanzsektoren getrieben werden. Doch selbst wenn dies teilweise der Fall ist, kann das Ergebnis der geplanten Reformen für den Versicherungssektor von Vorteil und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein. Daher ist es wichtig, die wesentlichen Vorschläge für die neue Struktur sowie die veränderten Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) genauer zu betrachten:

  • Ersetzung des Verwaltungsrates (Management Board) durch ein Direktorium (Executive Board) mit ausschließlich europäischen Angestellten: Diese strukturelle Änderung wird alles in allem zu einer erheblichen Entmachtung der nationalen Aufsichtsbehörden (NSAs) und einer massiven Europäisierung der Versicherungsaufsicht führen. Das bedeutet, der EIOPA würden einige Aufgabenbereiche übertragen, innerhalb derer sie Entscheidungen in der Versicherungsaufsicht ohne Kontrolle durch die NSAs fällen könnte, die diese dennoch unmittelbar betreffen würden. Ob dies erfreuliche Nachrichten sind, ist eine Frage der Perspektive.
  • Zunehmende Kompetenzen im Zulassungsverfahren interner Modelle: Dieser Kompetenzübertrag erscheint sehr zweckmäßig, da eine Divergenz der Aufsichtspraktiken bei der Zulassung interner Modelle, insbesondere innerhalb eines prinzipienbasierten Systems, das Risiko der Aufsichtsarbitrage erhöht. Durch die Positionierung der EIOPA als Informationsschnittstelle, ist diese nicht nur in der Lage, Defizite und Best Practices besser zu bewerten. Sie sollte zudem explizit beauftragt werden, diese Informationen für den Erlass von Richtlinien zur Bewertung interner Modelle zu nutzen, obgleich diese Befugnis in der Vergangenheit bereits implizit bestand.
  • Reformiertes Finanzierungssystem: Der Kommissionsvorschlag sieht vor, alle europäischen Versicherer direkt für die Finanzierung der EIOPA in Anspruch zu nehmen und damit die Finanzierung durch einen proportionalen Beitrag der NSAs und einen ausgleichenden Beitrag aus dem EU-Budget zu ersetzen (wobei der ausgleichende Beitrag der EU beibehalten werden soll). Da zu erwarten ist, dass die NSAs dem neuen Vorschlag entsprechend die Beiträge im Auftrag der EIOPA einziehen werden, ist ein wirklicher Vorteil dieses Verfahrens im Vergleich zum aktuellen System nur schwerlich zu erkennen. Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass die vorgeschlagene Änderung für die beaufsichtigten Unternehmen zu einer Kostensteigerung führen würde.
  • Bußgeldvorschriften für Versicherer: Während die EIOPA-Verordnung NSAs, andere nationale Behörden und Versicherer bereits verpflichtet, auf entsprechende Auskunftsverlangen in angemessener Weise zu reagieren, sieht sie bisher keine rechtlichen Konsequenzen für die Verletzung dieser Pflicht vor. Obwohl dies bisher kein Problem darstellte, hält es die Kommission offenbar für angezeigt, rechtliche Konsequenzen vorzusehen. So soll die EIOPA mit der Befugnis zur Verhängung von Geldbußen gegen Versicherer ausgestattet werden – also, nota bene, nicht gegen die NSAs – sollten diese ihre Pflicht vernachlässigen. Derzeit kann die EIOPA die Bereitstellung von Informationen durch die Versicherer lediglich als ultima ratio verlangen, d.h. für den Fall, dass die notwendigen Informationen nicht durch die NSAs oder andere staatliche Behörden bereitgestellt werden können, was nur sehr selten der Fall sein dürfte. Insofern wird die Auferlegung von Geldbußen im Versicherungssektor – im Gegensatz zu den von der ESMA beaufsichtigten Sektoren, in denen die Akteure der unmittelbaren Aufsicht der ESMA unterstehen – vorerst hypothetischer Natur bleiben. 
  • Befugnis zur strategischen Planung: Die EIOPA soll in die Lage versetzt werden, mit Hilfe von sogenannten Strategieplänen für NSAs die für die NSAs spezifischen Prioritäten der Aufsichtstätigkeiten (in Verbindung mit den Arbeitsprogrammen der EIOPA) innerhalb eines Zeithorizonts von drei Jahren zu ermitteln. Diese Änderung erscheint auf den ersten Blick eher harmlos, kann jedoch potentiell zu einer (nahezu) direkten Aufsicht über (große) Versicherungsunternehmen führen.

Abgesehen von den Änderungen in der Governance-Struktur, d.h. der Schaffung eines Executive Board anstelle des Management Board und der Überarbeitung des Finanzierungsplans, erscheinen die vorgeschlagenen Anpassungen in praxi eher geringfügiger und lediglich deklaratorischer Natur. In vielen Fällen deuten die Änderungen jedoch auf die Vorbereitung einer Neukalibrierung des EFSF hin. Man kann die Vorschläge daher als ein Bestreben ansehen, die EIOPA-Verordnung sanft in Richtung der zukünftigen Umsetzung einer Versicherungsunion mit einer einheitlichen Aufsichtsbehörde – der EIOPA – zu lenken. Die Reaktionen vieler Vertreter der interessierten Kreise legen nahe, dass die Zeit hierfür noch nicht reif ist.

Es erscheint widersprüchlich, dass die meisten Europäer das US-amerikanische System einer in den Gliedstaaten verankerten Aufsicht und Regulierung des Versicherungssektors als anachronistisch betrachten, sich aber zugleich an ein System nationaler Aufsicht klammern. Zumindest in Bezug auf große Unternehmen und paneuropäische Versicherungskonzerne sollte man die Idee einer zentralisierten Aufsicht in Erwägung ziehen. Dies würde die Etablierung eines vollständig integrierten Versicherungsmarktes unterstützen und, selbst wenn nur durch Reduzierung der Aufsichtskosten, die globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Versicherer weiter stärken. Für diejenigen, die sich aus dem einen oder anderen Grund gegen eine zentralisierte Aufsicht aussprechen, sollten die vorgeschlagenen Änderungen eine Warnung sein. Die EU ist auf Zentralisierung aus, sie ist auf Integration aus und sie macht keine Gefangenen. Mit dem EU-Austritt Großbritanniens – einem der größten Zentralisierungsgegner im Bereich der Finanzaufsicht – scheint die Errichtung eines vollständig integrierten Finanzmarktes in greifbare Nähe zu rücken. Vor dem Hintergrund, dass der britische Finanzmarkt nun in Wettbewerb zum europäischen Finanzmarkt tritt, könnten eine zentralisierte Finanzaufsicht und ein daraus resultierender robuster, vollständig integrierter Finanzmarkt, der nächste logische Schritt sein.

Mehr zu diesem Thema: Jens Gal und Helmut Gründl: "The Recalibration of the European System of Financial Supervision in Regard of the Insurance Sector: From Dreary to Dreamy or Vice Versa?", SAFE Policy Letter, No. 60.