Von Martin Götz, Jan Pieter Krahnen & Tobias Tröger
Nach verbreiteter Annahme unterliegt die aktuelle EU-Regulierung der Vorstellung, dass ein Bail-in grenzenlos sein kann und sollte, da es grundsätzlich die gesamten Passiva einer Bank betrifft. Dieser Gedanke einer umfassenden privaten Haftung der Inhaber von Schuldverschreibungen entspricht der Forderung, dass nie wieder eine Bank mit Steuergeldern gerettet werden soll. Auf den ersten Blick erscheint dieser Anspruch durchaus plausibel und ordnungspolitisch konsequent. Schließlich gilt die vollumfängliche private Haftung auch im Fall von Insolvenzen im Industrie- und Dienstleistungssektor.
Die Licht- und Schattenseiten des Run-Risikos
Und doch ist diese Forderung verfehlt und verursacht zusätzliche Probleme. Der Denkfehler liegt in der Vernachlässigung eines elementaren Unterschieds zwischen Banken und (Nichtfinanz-)Unternehmen: Banken sind dem Run-Risiko durch ihre Anleger ausgesetzt – ein Risiko, das die Existenz praktisch jeder Bank bedrohen kann. International arbeitende Großbanken stehen aufgrund ihrer Finanzierungsstruktur ständig unter dem Damoklesschwert eines plötzlichen Mittelabzugs durch ihre Anleger. Insbesondere zwei Faktoren machen die Passivseite der Bank fragil und setzen sie der Gefahr eines Bank-Run aus: Erstens bestehen die Passiva zu einem erheblichen Teil aus den Kassenreserven sowie dem Umlaufvermögen großer Unternehmen. Zweitens refinanzieren sich Großbanken in erheblichem Umfang über den Interbankenmarkt.
Einerseits entfaltet die so entstehende Fragilität eine Disziplinierungswirkung: Die Drohung eines plötzlichen Kapitalabflusses bremst die Risikobereitschaft der Bank. Andererseits kann dieser positive Effekt zum Problem werden, sofern es Banken schwerfällt, einem großen Abfluss ihrer Finanzierungsmittel standzuhalten. Das permanente Risiko eines Kapitalabzugs durch kurzfristige Anleger setzt die Restrukturierung strauchelnder Banken unter großen Zeitdruck. Dabei ist es gerade die Bail-in-Drohung, die Anleger zur Flucht und zum raschen, lawinenartigen Abzug kurzfristiger Verbindlichkeiten veranlasst. Entscheidend ist, diese beiden entgegengesetzten Kräfte in Ausgleich zu bringen: Die positive Anreizwirkung von privater Haftung durch die Einführung von nachrangigem, langfristigem Fremdkapital (Bail-in-Anleihen) und die negative Anreizwirkung im Sinne eines Run-Risikos durch die Bail-in-Drohung.
Liquiditätsunterschiede zwischen Aktiva und Passiva tragen zur Fragilität der Banken bei. Verbindlichkeiten oberhalb von TLAC (Total Loss Absorbing Capacity) und MREL (Minimum Requirements for Own Funds and Eligible Liabilities) und unterhalb von gesicherten Spareinlagen neigen zu hoher Liquidität, sodass für Banken bei der Refinanzierung keine Probleme bestehen. Ein Krisenfall – oder das Gerücht über einen möglichen Krisenfall – kann jedoch zur Austrocknung dieser Liquidität führen und die Bank in die Insolvenz treiben. Eine Notfallrettung durch den Staat kann nur dann erwartet werden, wenn die Stabilität des gesamten Systems gefährdet ist. Infolgedessen verbleibt bei Einlegern eine Unsicherheit, die zur Unsicherheit der Bank beiträgt.
Die Bail-in-Drohung überwinden
Das aufgrund der Bail-in-Option erweiterte Risiko eines Bank-Runs kann die Stabilität einer Bank untergraben. Infolgedessen vermag die Forderung nach glaubwürdig haftendem Bail-in-Kapital, das regulatorisch zwingend vorgeschrieben ist, die gewünschte Marktdisziplin nur bedingt herzustellen. Genau hierfür wurde das Eigen- und Fremdkapital in den Grenzen von TLAC/MREL indes geschaffen. Es ist daher abzuwägen, inwieweit die disziplinierende, positive Wirkung zusätzlichen Run-Risikos einen Nutzeffekt schafft, der die zugleich negativen Effekte aufgrund entstehender systemischer Risiken wegen ineffizienter Liquidation von Banken überwiegt. Um die negativen Effekte zu vermindern, ist es vorteilhaft, die Furcht der Einleger vor einem Bail-in auf diejenigen Investorenkreise zu beschränken, die sich im Bereich des TLAC/MREL-Kapitals engagieren. Das bedeutet, dass neben einem Mindestwert für die Höhe des Haftungskapitals zusätzlich eine Obergrenze festzulegen ist.
Unsere Überlegung führt zu einer Dreiteilung der Passivseite der Bankbilanz: (a) ein haftender Teil (TLAC/MREL), (b) ein nicht-haftender (gesicherter) Teil und (c) ein in seiner Höhe noch zu bestimmender bedingt haftender Teil. Der Letztere ist eine Mezzanine-artige Zwischenschicht, die in der Risiko-Ertrags-Struktur zwischen TLAC/MREL und (garantierten) Spareinlagen angesiedelt ist. Diese Mezzanine-artige Verlustabsorptionszone kann bei entsprechender Einschätzung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses auch auf null gesetzt werden, also entfallen.
Öffentlicher Schutzschirm auf europäischer Ebene
Der Vorschlag einer Bail-out-Garantie für ansturmgefährdete Verbindlichkeiten jenseits der genannten Schwelle führt zu einer Folgefrage: Wie kann man die Glaubwürdigkeit der Bail-out-Zusage sicherstellen? Nur große Industrieländer verfügen über eine ausreichend breite fiskalische Basis, um die gesicherten Spareinlagen großer Banken garantieren zu können. Im Fall kleinerer Staaten stellt sich die Frage der Zahlungsfähigkeit (und möglicherweise auch der Zahlungswilligkeit), wenn die Banken sehr groß sind. Es ist daher schwer vorstellbar, dass eine Bail-out-Garantie oberhalb eines ausreichend großen Haftungskorridors ohne eine fiskalische Koordinierung im Sinne eines öffentlichen Schutzschirms („public backstop“) auf europäischer Ebene auskommt.
Unser Vorschlag einer Trichotomie der Haftung entspricht den ordnungspolitischen Maßgaben in seiner Wirkung mehr als ein kompletter Bail-in, indem er die nicht beabsichtigte Gefahr eines unbegründeten Bank-Runs verringert oder sogar ausschaltet. Dies weicht die Bail-in-Regulierung nicht auf, die im Rahmen des TLAC/MREL-Erfordernisses mit aller Konsequenz durchgesetzt werden muss.
Außerhalb des TLAC/MREL-Rahmens sollte eine schlüssige ordnungspolitische Linie die Vermeidung von Externalitäten – wie ein Bank-Run sowie dessen Auswirkungen auf andere Unternehmen des Finanz- und Nichtfinanzsektors – anstreben. Um diese ordnungspolitisch ausgewogene Lösung zu erreichen, bedarf es kreativer Vorschläge im Hinblick auf die anreizkompatible Ausgestaltung eines öffentlichen Schutzschirms für europäische Wirtschaft und Finanzmärkte.
Martin R. Götz, Jan Pieter Krahnen und Tobias H. Tröger sind Professoren an der Goethe-Universität Frankfurt und SAFE.
Eine Langfassung der Argumentation in diesem Blog-Beitrag findet sich hier.