Im Vorfeld des Brexit wird aktuell die Frage diskutiert, ob die Verrechnung („Clearing“) von auf Euro lautenden Finanzderivaten weiterhin in London stattfinden darf oder ob dieses Recht künftig nur noch Clearing-Häusern mit Sitz in der Eurozone zugestanden werden sollte. Sowohl die EU-Kommission als auch die Europäische Zentralbank wollen sich zu dieser Frage in Kürze beraten. Der CEO der London Stock Exchange Group, Mehrheitseigner an LCH.Clearnet, dem weltgrößten Clearinghaus, warnte nun, dass ein solcher Zwangsumzug des Euro-Clearings mit höheren Kosten für die handelnden Finanzinstitute von bis zu 100 Mrd. Euro einhergehen werde.
SAFE-Direktor Jan Pieter Krahnen hält diese Drohung für irreführend. Es sei zwar richtig, dass die Zentralisierung von Clearing-Dienstleistungen an einem Ort als natürliches Monopol einem betriebswirtschaftlichen Ideal gleiche. Da die zentrale Gegenpartei die verschiedenen Risikopositionen der einzelnen Handelspartner gegeneinander saldieren kann, minimieren sich auf diese Weise die Sicherheitsmargen für die Kunden. Würden diese dagegen ihre zahlreichen Handelstransaktionen über mehrere Clearinghäuser verrechnen, müssten sie im Schnitt deutlich höhere Sicherheiten hinterlegen.
Krahnen weist jedoch darauf hin, dass es keinen Wert an sich darstelle, wenn Finanzinstitute aus der Eurozone ihre Handelsaktivitäten in London zu günstigeren Bedingungen verrechnen können. „Entscheidend sind die Fragen: Welches Stabilitätsniveau garantieren die Sicherheitsmargen, die von den Clearing-Häusern eingefordert werden? Wer beaufsichtigt die Einhaltung dieses Niveaus? Und: Wer haftet im Falle einer Krise?“ Das tatsächliche Stabilitätsniveau hänge maßgeblich von der Aufsicht ab. Die Aufsicht wiederum orientiere sich am Haftungsrisiko für den von ihr beaufsichtigten Handelsraum. „Daraus folgt zwangsläufig die Gefahr, dass ein zu niedriges Sicherheitsniveau angepeilt wird, wenn Aufsichts- und Haftungsraum auseinanderfallen“, so Krahnen. Genau dies sei aber beim Clearing von Euro-Derivaten von London aus der Fall: „Das Geschäft und die Aufsicht finden in London statt, und falls etwas schief geht, haften die Euro-Staaten. Diese Situation ist untragbar und gesamtwirtschaftlich ineffizient.“
Dass ein möglicher Umzug des Clearings in die Eurozone automatisch zu langfristig höheren Clearing-Kosten für Händler führe, sei dabei keineswegs ausgemacht, so der Finanzprofessor. Auch in Europa könne es zu einer Konzentrierung des Clearing-Geschäftes kommen – mit den entsprechenden Vorteilen für die Gegenparteien durch die Saldierung von Risikopositionen. Da in der Eurozone jedoch eine Kongruenz zwischen Haftung und Aufsicht bestehe, sei das mit der Konzentrierung verbundene Risiko geringer. Mit hohen Kosten durch einen Umzug zu drohen, sei somit verfehlt. Eine Quantifizierung der möglichen Folgen verbiete sich jedoch grundsätzlich: „Die aktuelle Situation ist ökonomisch schlicht nicht tragbar und kann damit nicht als valider Ausgangspunkt einer Rechnung herhalten.“
Mehr zu diesem Thema:
Jan Pieter Krahnen / Loriana Pelizzon: “Predatory” Margins and the Regulation and Supervision of Central Counterparty Clearing Houses (CCPs), SAFE White Paper No. 41