SAFE Finance Blog
13 Jun 2018

Diskriminierende Inflation

Alfons Weichenrieder und Eren Gürer: Preissteigerungen belasten Geringverdiener tendenziell stärker

Dass die Inflation nicht jeden gleich hart trifft, liegt eigentlich nahe. Notwendige Ausgaben, zum Beispiel für Nahrung, Mieten und Energie, machen bei weniger finanzkräftigen Familien einen größeren Anteil ihres Budgets aus als bei reicheren Familien. Wenn die Preise für solche Güter stärker steigen als die von Luxusprodukten, müssen Haushalte mit geringen Einkommen eine höhere Preissteigerungsrate auf ihren individuellen Warenkorb hinnehmen. Die individuelle Inflationsrate kann sich also in Abhängigkeit von den Konsumgewohnheiten durchaus von der allgemeinen Inflationsrate unterscheiden.

In einer kürzlich erschienen Studie (Link) untersuchen wir, ob es eine systematische Verzerrung der individuellen Preissteigerungsrate zu Lasten bestimmter Einkommensgruppen gibt und wie hoch diese tatsächlich ausfällt. Die Analyse von Daten aus 25 EU-Mitgliedstaaten aus den Jahren 2001 bis 2015 zeigt, dass sich die Inflation in den meisten Ländern tendenziell stärker zu Lasten der Ärmeren auswirkt. So war die jährliche Teuerungsrate in diesem Zeitraum für die ärmsten zehn Prozent in einem Land durchschnittlich um etwa 0,7 Prozentpunkte höher als für die reichsten zehn Prozent. Bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2,7 Prozent entspricht dies einer Differenz von etwas mehr als einem Viertel der allgemeinen Inflationsrate.

Verantwortlich für diese Entwicklung sind insbesondere die Kosten für Strom, Mieten, private Verkehrsmittel sowie Nahrungsmittel, die überdurchschnittlich angestiegen sind. Diese Güter machen in den Warenkörben der unteren Einkommensgruppen einen deutlich größeren Anteil aus. Die Effekte sind aber nicht in allen Ländern gleich stark ausgeprägt: Während Haushalte in Italien und Portugal von dieser „diskriminierenden Inflation“ verschont blieben, waren die osteuropäischen Mitgliedstaaten sowie Großbritannien und Finnland besonders davon betroffen. In Finnland und Großbritannien stiegen beispielsweise im untersuchten Zeitraum die Preise für die ärmsten zehn Prozent der Haushalte um über 12 Prozent stärker als die Preise der reichsten zehn Prozent.

In Deutschland ist der Effekt vergleichsweise moderat. Zwar wurde hierzulande im Untersuchungszeitraum die Kluft zwischen den verfügbaren Nominaleinkommen der Haushalte durchaus größer, wie bereits aus anderen Studien bekannt ist. Der Einfluss der Inflation auf die Einkommensverteilung, der in bisherigen Studien vernachlässigt wurde, ist jedoch eher gering: Er beträgt etwa ein Zehntel der ansonsten bereits gemessenen Steigerung der Ungleichheit in den betrachteten Jahren. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in der deutschen (repräsentativen) Stichprobe die Warenkörbe der ärmsten zehn Prozent um etwa 4,5 Prozent stärker verteuerten als jene der reichsten zehn Prozent.

Alfons Weichenrieder ist Professor für Finanzwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt.

Mehr zu diesem Thema: Eren Gürer und Alfons Weichenrieder: Pro-Rich Inflation in Europe: Implications for the Measurement of Inequality, Goethe University, SAFE Working Paper 209, May 2018.