Der Brexit ist offiziell erklärt. Neben all der Unsicherheit und Instabilität, die das Ausscheiden der Briten aus der Europäischen Union (EU) mit sich bringt, eröffnet der Brexit auch Chancen für eine Neugestaltung und Weiterentwicklung der europäischen Finanzaufsichtsarchitektur. Durch den Brexit ist die EU-Bankenaufsichtsbehörde EBA gezwungen, ihren Sitz in London aufzugeben und sich einen neuen Standort innerhalb der EU zu suchen. Dies sollte man zum Anlass nehmen, die gesamte Aufsichts- und Regulierungsarchitektur für die europäischen Banken, Versicherungen und Kapitalmärkte neu zu ordnen.
Hier liegt zunächst die Zusammenlegung der EBA mit der für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge zuständigen Aufsichtsbehörde EIOPA nahe. Da Versicherer heute zunehmend auch Finanzdienstleistungen anbieten, lassen sich die Grenzen zwischen Banken und großen Versicherern nicht mehr so trennscharf ziehen wie noch vor wenigen Jahren. Eine gemeinsame Regulierungsbehörde würde sicherstellen, dass es nicht zu Widersprüchen zwischen den Regulierungsvorschriften für diese beiden eng verflochtenen Sektoren kommt. Der Zugriff auf eine gemeinsame Datenbasis wäre dabei ebenfalls von großer Bedeutung. Daher bietet sich nicht nur aus organisatorischen, sondern vor allem auch aus inhaltlichen Gründen eine gemeinsame Aufsichtsbehörde an – in vielen EU-Mitgliedstaaten ist dies bereits heute der Fall.
Inwieweit es sinnvoll ist, die Aufgaben des Single Supervisory Mechanism (SSM), der bislang nur systemrelevante Banken der Eurostaaten und weiterer freiwillig teilnehmender EU-Länder unter die Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) stellt, auf die größten Versicherer auszudehnen, muss diskutiert werden. Für eine Herauslösung des SSM aus der EZB könnte der mögliche Interessenkonflikt zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht sprechen. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie generell ein solcher Zielkonflikt zwischen zwei eigenständigen Institutionen gelöst werden kann, wenn es kein übergeordnetes Entscheidungsgremium mehr gibt.
Ein weiterer – und notwendiger – Schritt zur Weiterentwicklung der europäischen Aufsichtsarchitektur ist die Einführung einer zentralen europäischen Finanzmarkt- und Börsenaufsicht. Die Kompetenzen der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA sollten gestärkt und ausgedehnt werden. Die Aufsicht über die Börsen obliegt bislang den nationalen Aufsichtsbehörden, die im Fall einer Aufwertung der ESMA Kompetenzen abgeben müssten. Mit einer zentralen Kapitalmarktaufsicht, vergleichbar der amerikanischen SEC, könnte es gelingen, einen gemeinsamen europäischen Kapitalmarkt aufzubauen, der für internationale Kapitalmarktinvestoren und Emittenten attraktiv ist. Dies ist insbesondere im Hinblick auf den Brexit von hoher Relevanz. Ein gemeinsamer europäischer Kapitalmarkt schüfe ein Gegengewicht und eine Alternative zu London, den derzeit mit Abstand wichtigsten Handelsplatz in Europa.
Eine Neuordnung der gesamten europäischen Finanzaufsichtsarchitektur mit einheitlichen Regeln, mehr Transparenz und einer gemeinsamen Aufsichtsstruktur würde die Leistungsfähigkeit des europäischen Kapitalmarktes stärken und mehr Integration in einem Themenfeld schaffen, in dem grenzüberschreitende Zusammenarbeit viele Vorteile bringt und bedeutende Ansteckungsrisiken eindämmt. Dies würde nicht nur die Kapitalmarkt- und Bankenunion in der gesamten EU vorantreiben, es wäre auch ein wichtiges Signal in Richtung der EU-Skeptiker.