SAFE Finance Blog
04 Mar 2022

Abkopplung Russlands von SWIFT: Vorteil China

Eine Einbeziehung des Zahlungsinformationssystems in Russland-Sanktionen wird die Entwicklung von Alternativen weiter beschleunigen, zugunsten Chinas

Im Kontext der russischen Invasion in die Ukraine gehört die Abkopplung der russischen Banken von SWIFT („Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication“) zu den meistdiskutierten – und zeitweise wohl auch symbolisch überhöhten – wirtschaftlichen Sanktionen. Wie ich an anderer Stelle erläutert habe, unterliegen viele Beiträge zu dieser Diskussion einem schwerwiegenden Missverständnis. SWIFT ist kein Zahlungssystem, sondern „nur“ ein Zahlungsinformationssystem. Vor SWIFT wurden Zahlungsinformationen in der Regel per Telex kommuniziert, einer Infrastruktur, die auch weiter existiert, allerdings weitaus mühseliger, langsamer und unsicherer ist, ähnlich wie Fax oder E-Mail.

Das hinter SWIFT stehende Zahlungssystem für internationale Transaktionen ist das Netzwerk von Korrespondenzbanken, die untereinander Konten halten, insbesondere für die Verrechnung und Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungen. Auf nationaler beziehungsweise europäischer Ebene gibt es für diese Funktionen häufig separate Systeme, in der EU TARGET2 oder SEPA, in den USA zum Beispiel CHIPS („Clearing House Interbank Payments System“).

Nicht der Ausschluss aus SWIFT ist die „nukleare Option“ gegenüber Russland (hier könnte man sich mit den alternativen Kommunikationsmitteln noch ansatzweise behelfen), sondern ein Verbot für westliche Korrespondenzbanken, weiter Transaktionen mit russischen Banken durchzuführen. Das gilt besonders, wenn dieses Verbot nicht auf einzelne russische Banken begrenzt ist und keine Ausnahmen (beispielsweise für Nahrungsmittel, Gas und Öl) enthält.

Sekundärsanktionen für Banken in Drittländern greifen stärker

Die nukleare Option greift am stärksten, wenn entsprechende Verbote von Regierungen nicht nur für die einheimischen Banken ausgesprochen werden, sondern als „Sekundärsanktionen“ auch für Banken in Drittländern. Solche Sekundärsanktionen werden regelmäßig von den USA angeordnet und haben global gravierende Konsequenzen, da größere Banken angesichts der zentralen Rolle des Dollars und des US-Finanzsystems zwingend auf die Zulassung in den USA angewiesen sind und sich daher US-Sanktionen fast ausnahmslos fügen.

Ein Bann jedweder Beziehungen mit russischen Banken wird zu Recht von der europäischen Wirtschaft gefürchtet. Eine umfassende Umsetzung dieses Banns würde sowohl die Bezahlung von Energieimporten aus Russland extrem erschweren als auch die Bezahlung von europäischen Exporten (zum Beispiel Maschinen) durch russische Importeure. Der Handel mit Russland könnte dadurch zumindest vorübergehend eingestellt werden. Auch die Rückzahlung von ausstehenden Krediten durch russische Unternehmen an europäische Banken könnte dann zum Erliegen kommen, europäische Auslandsanlagen in Russland stünden auf der Kippe.

So berechtigt diese akuten Sorgen für die beteiligten Banken und Unternehmen sein mögen, weitaus gravierendere Konsequenzen für das globale Finanzsystem drohen in anderer Hinsicht. Ein Ausschluss Russlands aus dem aus Korrespondenzbanken bestehenden und von SWIFT unterstützten Zahlungssystem – und schon die Diskussion über diese Option – wird dazu führen, dass Staaten wie Russland und China ihre Aktivitäten zum Aufbau alternativer Systeme weiter intensivieren.

Russlands eigenes Zahlungsinformationssystem ist technisch begrenzt

Meine jüngst als pre-print veröffentlichte und im Rahmen des DFG-geförderten StateCapFinance-Projekts entstandene Bestandsaufnahme der chinesisch-russischen Initiativen zum Aufbau grenzüberschreitender Zahlungsinfrastrukturen zeigt, dass der Prozess zu deren Etablierung in den vergangenen zehn Jahren bereits deutlich fortgeschritten ist. Der Startschuss waren Sanktionen gegen den Iran, die ab 2012 auch SWIFT einbezogen haben, um nach vorherigen US-Sekundärsanktionen auch noch die letzten Schlupflöcher für iranische Banken zu schließen. Der Ausschluss aus SWIFT war auch hier nicht die „Atombombe“, sondern eher das „Sahnehäubchen“ der Sanktionen.

Die Einbeziehung der grenzüberschreitenden Zahlungssysteme in Iran-Sanktionen und Forderungen nach Einbeziehung dieser Systeme in Sanktionen gegen Russland nach der Krim-Okkupation 2014 haben allerdings dazu geführt, dass Russland inzwischen sein eigenes SPFS-Zahlungsinformationssystem entwickelt hat. Dieses System läuft parallel zu SWIFT und könnte jenes im Falle von Sanktionen für viele Transaktionen ersetzen, allerdings mit technisch deutlich begrenzteren Kapazitäten.

Ungleich relevanter als das russische Alternativsystem dürfte in Zukunft jenes von China werden. Das gilt auch für die Umgehung von Finanzsanktionen gegen Russland, falls letztere von der chinesischen Regierung toleriert wird. Das chinesische „Cross-Border Interbank Payment System“ (CIPS) enthält nicht nur ein Informationssystem (wie SWIFT), sondern auch ein komplettes System zur Verrechnung und Abwicklung von Zahlungen.

China spielt eine Führungsrolle bei der Entwicklung digitaler Zentralbankwährungen

Auch wenn das über CIPS abgewickelte Zahlungsvolumen bisher noch begrenzt ist (etwa im Vergleich zum inneramerikanischen Zahlungssystem CHIPS), explodiert die Anzahl der angeschlossenen Teilnehmer, beispielsweise von 195 im Oktober 2015 auf 1189 im Mai 2021. Die aktuellen Diskussionen über die Nutzung des Korrespondenzbankensystems und SWIFTs als Sanktionsinstrument gegen Russland werden diesen Prozess weiter beschleunigen.

Eine noch größere Herausforderung für das bisher unter westlicher Kontrolle stehende globale Zahlungssystem dürfte allerdings langfristig von der Etablierung digitaler Zentralbankwährungen erwachsen. Das gilt insbesondere, wenn diese in einem System miteinander verbunden werden, wie im aktuellen „mBridge“-Projekt. Solche Zentralbankwährungen umgehen das Bankensystem – und damit auch das System von Korrespondenzbanken und SWIFT.

Bei der Entwicklung von digitalen Zentralbankwährungen spielt China global eine Führungsrolle, insbesondere durch die rasche Etablierung des digitalen Renminbi. Noch wichtiger aber ist diese Rolle bei der Entwicklung eines multi-Zentralbankwährungssystems. Dahinter steckt die Annahme, dass auch der digitale Renminbi von vielen Händlern und Investoren noch auf absehbare Zeit als „toxisch“ angesehen wird. Letzteres würde sich aber relativieren, wenn man im Rahmen eines solchen Systems ohne Friktionen in andere digitale Zentralbankwährungen wechseln könnte. Damit würde China dem langfristigen Ziel deutlich näherkommen, die Rolle des US-Dollars als globale Handels- und Reservewährung zu erodieren.

Langfristig steht hier die Zukunft des etablierten globalen Finanzsystems auf dem Spiel. Dieses System beruht bisher auf der dominanten Rolle des US-Dollars, des US-Finanzsystems und zentralisierter Infrastrukturen unter westlicher Kontrolle wie SWIFT. Die Nutzung solcher Infrastrukturen als Sanktionsinstrument hat nicht intendierte Konsequenzen. Sie kann auf lange Sicht nicht nur das globale Finanzsystem schwächen, sondern auch die Vormachtstellung der USA. Letztere beruht nicht zuletzt auf dem exorbitanten Privileg des Dollars, eine wichtige Grundlage zur dauerhaften Finanzierung des gravierenden amerikanischen Leistungsbilanzdefizits.


Andreas Nölke ist Professor für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und SAFE Fellow.

Blogbeiträge stellen die persönliche Meinung der Autoren:innen dar und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten von SAFE oder seiner Mitarbeiter:innen wider.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 26. Februar 2022 in der „Börsen-Zeitung“ veröffentlicht.