20 Dec 2018

„Wir sind in einer weitaus besseren Position als vor den Reformen“

Frankfurt Conference on Financial Market Policy 2018: Wissenschaftler, Regulierer und Praktiker diskutierten an der Goethe-Universität Frankfurt über den Stand der institutionellen Reformen

Die Finanzkrise von 2008 und die Staatsschuldenkrise von 2010 und 2011 haben das Gesicht der europäischen Finanzmärkte stark geprägt. Vor diesem Hintergrund wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche institutionelle Reformen beschlossen, die zur Errichtung der europäischen Bankenunion geführt haben. Die sechste Frankfurt Conference on Financial Market Policy des Forschungszentrums SAFE stellte eine Bilanz der bisher umgesetzten Reformen im Bankensektor in den Mittelpunkt, über die Wissenschaftler, Praktiker und Aufsichtsexperten Mitte Dezember an der Goethe-Universität Frankfurt diskutierten.

Dass die Bankenunion sich weiterentwickeln muss, steht für Luis de Guindos, Vize-Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), außer Frage: „Wir müssen den Bankensektor stützen, indem wir die Reformagenda vollständig umsetzen, die als Antwort auf die Finanzkrise vereinbart wurde.“ Schon jetzt haben die umgesetzten Reformen aus der Sicht von de Guindos einiges im Euroraum bewirkt. „Eine substantielle Risikoreduzierung ist erreicht worden, setzt sich fort und das sollte so weitergehen“, sagte de Guindos. Banken hielten heute mehr und qualitativ besseres Kapital als in der Vergangenheit, hätten zudem ihre Liquiditätssituation und ihren Verschuldungsgrad verbessert. Dennoch sei die Reform der europäischen Finanzarchitektur noch nicht abgeschlossen. De Guindos begrüßte die Entscheidung für die gemeinsame Letztsicherung (Common Backstop) des gemeinsamen Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF) sowie die Debatte um die dritte Säule der Bankenunion, die gemeinsame Europäische Einlagensicherung (EDIS). Beide würden dazu beitragen, gleiche Bedingungen für alle Akteure auf dem Bankenmarkt herzustellen. Dies könnte sowohl die private Risikoteilung verbessern als auch Regionen vor lokalen Kreditklemmen schützen.

Zugleich sprach sich de Guindos dafür aus, die Kapitalmarktunion voranzutreiben und den wachsenden Nicht-Banken-Sektor in den Blick zu nehmen. „Wie die Krise gezeigt hat, müssen wir wachsam sein bei möglichen neuen Risiken im Finanzsystem“, sagte de Guindos. Es sei nötig, die Widerstandskraft des Sektors gegen systemweite Schocks zu verbessern. De Guindos sprach sich etwa dafür aus, Investmentfonds stärker zu regulieren. Dazu könnten „neue Instrumente“ nötig sein, um Ziele wie eine Begrenzung von Liquiditäts- und Verschuldungsrisiken oder verpflichtende Mindest-Liquiditätspuffer zu erreichen. Die Regulierung von Investmentfonds solle auf europäischer Ebene erfolgen, da die Auswirkungen möglicher Probleme in diesem Sektor die gesamte EU betreffen würden.

Die Wettbewerbsfähigkeit der EU erhalten

Auch die Teilnehmer des folgenden Panels, das von Rainer Haselmann (SAFE und Goethe-Universität Frankfurt) moderiert wurde, diskutierten die Reformen der vergangenen Jahre im Euroraum und kamen dabei zu teils unterschiedlichen Ergebnissen. Thomas Book, Vorstandsmitglied der Deutsche Börse AG und verantwortlich für Trading & Clearing, lobte das Erreichte: „Wir sind in einer weitaus besseren Position als vor den Reformen.“ Für die Zukunft komme es darauf an, sowohl die politische Zusammenarbeit auf internationalem Level als auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu erhalten.

Sabine Lautenschläger, Vorstandsmitglied der EZB, erinnerte an die Ziele der Reformen nach der Finanzkrise: Zum einen sei es darum gegangen, spezifische Probleme zu lösen, die die Krise offenbart hatte. Dennoch sei klar, dass keine Krise der anderen gleiche. „Der zweite Schritt war deshalb, die generelle Widerstandsfähigkeit der Banken zu verbessern, um sie stark genug zu machen, um Widrigkeiten jeder Art zu trotzen“, sagte Lautenschläger. Diese Idee stehe hinter den drei Aspekten, auf die die Reformen abzielten, nämlich Kapital, Liquidität und Unternehmensführung. Vieles sei in diesen Bereichen bereits erreicht worden, wobei die Fortschritte bei der Unternehmensführung sowie dem Risikomanagement vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erhalten hätten. „Dabei sind sie genauso wichtig wie Reformen zu Kapital und Liquidität – wenn nicht sogar noch bedeutsamer“, sagte Lautenschläger. Schließlich würden gute Führung und Riskomanagement verhindern, dass Banken überhaupt in Schwierigkeiten geraten. Auch Lautenschläger sprach sich dafür aus, die vereinbarten Reformen vollständig umzusetzen. Andernfalls würden Wettbewerbsbedingungen verzerrt und Regulierungs-Arbitrage ermöglicht. Um den 19 verschiedenen Jurisdiktionen der Mitglieder und den spezifischen Geschäftsmodellen der Banken gerecht zu werden, sollten aufsichtliche Regeln prinzipienbasiert sein und zugleich den Aufsehern den nötigen Entscheidungsspielraum für spezifische Geschäftsmodelle einräumen, so Lautenschläger.

Dirk Schoenmaker, Professor für Banking und Finance an der Erasmus Universität Rotterdam, hob ebenfalls die Fortschritte der Bankenunion hervor, lenkte den Blick aber auch auf andere Aspekte. Europa sei „overbanked“ und Unternehmen aus der Realwirtschaft immer noch zu abhängig von den Kreditinstituten bei der Finanzierung. In den USA beispielsweise seien Unternehmensanleihen eine stabilere Quelle der Finanzierung. Außerdem erinnerte Schoenmaker daran, dass das Finanzsystem keine Existenzberechtigung aus sich selbst heraus aufweise. Sein Zweck sei es vielmehr, der Volkswirtschaft in einer nachhaltigen Art und Weise zu dienen.

Daniela Weber-Rey, Vorstandsmitglied der HSBC Trinkaus&Burkhardt AG, sprach sich nach rund zehn Jahren intensiver Reformen für ein Innehalten aus: „Wir sollten die Effekte der Reformen genau analysieren, statt über neue nachzudenken“, sagte Weber-Rey. Kritisch beurteilte sie die Entwicklungen auf dem deutschen Bankenmarkt: Speziell die deutschen Institute hätten an Wettbewerbsfähigkeit und Vertrauen verloren in den vergangenen Jahren. Gerade Deutschland benötige aber wegen seiner Industrie starke einheimische Banken. Es müsse weniger um Regulierung gehen, als um die Frage, wie die Wettbewerbsfähigkeit der Kreditinstitute verbessert und das Vertrauen in diese wiederhergestellt werden könnten.

Ein Projekt der Zukunft: Europäischer Fiskalmechanismus

Jan Krahnen, Direktor des Forschungszentrum SAFE, hob im zweiten Panel, das von Jürgen Schaaf (EZB) moderiert wurde, die Bedeutung der Marktdisziplin auf dem Bankenmarkt hervor. Es müsse sichergestellt sein, dass die Gläubiger des Kreditinstituts an dessen Verlusten bei der Sanierung oder Abwicklung im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit beteiligt würden. In der Praxis sei dies aber nicht so einfach umzusetzen. Rolf Strauch, Chefvolkswirt des European Stability Mechanism (ESM), lenkte den Blick auf die nächsten Schritte hin zur Vollendung der Bankenunion. Die gemeinsame Letztsicherung (common backstop) werde spätestens ab 2024 zur Verfügung stehen. Falls dessen Mittel nicht ausreichten, könne der ESM einspringen, so Strauch. Auch eine gemeinsame Einlagensicherung sei prinzipiell sinnvoll, auch wenn viele Banken ihre Bilanzen zuvor von Altlasten bereinigen müssten. Ein Projekt der ferneren Zukunft könne ein europäischer Fiskalmechanismus sein, für den bereits viele Ideen kursierten. „Wichtig ist dabei, dass alle diskutierten Vorschläge umgesetzt werden könnten, ohne dauerhafte Transfers zu begründen“, sagte Strauch.

Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach sich dafür aus, die Vielfalt des europäischen Bankenmarkts zu erhalten. Auf der anderen Seite sei das too-big-to-fail-Problem großer Kreditinstitute immer noch nicht gelöst. Nationale wie europäische Champions auf dem Bankenmarkt seien nicht sinnvoll. Boštjan Jazbec vom Einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus (Single Resolution Board, SRB) machte sich dagegen für Europäische Bankenchampions stark, die die europäische Wirtschaft unterstützen könnten. Sinnvoll sei es, die Regulierungsvorschriften in der EU weiter zu vereinheitlichen.

Gleiche Spielregeln in Europa

Im abschließenden Panel, das von Hans-Helmut Kotz (SAFE und Harvard University) moderiert wurde, sagte der frühere finnische Notenbankgouverneur Erkki Liikanen (IFRS Foundation und Helsinki Graduate School for Economics), dass pan-europäische Banken sinnvoll sein könnten, um das Problem des Staaten-Banken-Nexus zu verringern. Problematisch sei die Zersplitterung der Finanzmärkte in Europa. Bei der Regulierung müsse es darum gehen, eine Balance zwischen Banken und anderen Akteuren zu finden. Die Kreditinstitute müssten in die Lage versetzt werden, im Ernstfall selbst für sich einzustehen und nicht auf das Geld des Steuerzahlers angewiesen zu sein, so Liikanen.

Katja Langenbucher, Professorin für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Bankrecht an der Goethe-Universität Frankfurt, nahm aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive die Finanz- und Bankenregulierung im Euroraum in den Blick. Noch gebe es sehr viel Variation in der Regulierung und Unterschiede in der Umsetzung in den Mitgliedländern. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA brauche mehr Ressourcen, um ihrer Aufgabe der Durchsetzung der Regeln nachkommen zu können.

Die Perspektive der Banken brachte Karl-Peter Schackmann-Fallis vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) in das Panel ein. Speziell das deutsche Bankensystem profitiere von seiner Vielseitigkeit und sei effizient mit niedrigen Preisen und geringen Margen für die Banken.  Die Nähe zu den Kunden begünstige zudem die Risikoeinschätzung. Aufgabe der Regulierung müsse es ein, für gleiche Spielregeln im Euroraum zu sorgen.

Cornelia Woll, Professorin für Politische Wissenschaften an der Sciences Po, sprach über die Sanktionierung von unternehmerischen Fehlverhalten durch Regierungen. Die Zahl der Konventionalstrafen hätte nach der Finanzkrise deutlich zugelegt. Dass Wirtschaftsbeziehungen und die Verfolgung von unternehmerischen Fehlverhalten auch eine politische Komponente haben können, machte Woll anhand des Beispiels der Vereinigten Staaten deutlich: So würden in den USA ausländische Unternehmen rund 16 Prozent der Fälle ausmachen, aber für fast 60 Prozent der zu zahlenden Strafen aufkommen.