17 Jul 2015

Wir brauchen mehr Europa

Am 14. Juli hielt Agnès Bénassy-Quéré, Professorin an der Paris School of Economics sowie Vorsitzende des französischen Conseil d’Analyse Économique, eine SAFE Policy Center Lecture zum Thema „Euro Area Policy Making – in Need of More Europe”. Der Vortrag wurde von Hans-Helmut Kotz moderiert.

Laut Bénassy-Quéré hat die politische Entscheidungsfindung innerhalb der Eurozone schon seit der Entstehung der Europäischen Währungsunion mit einer fehlenden Integration und Koordination der verschiedenen Politikbereiche zu kämpfen. Das regelbasierte System innerhalb des Maastrichter Vertrags konnte die Probleme, die durch die Finanzkrise sowie die darauffolgende Staatsschuldenkrise entstanden sind, nur unzureichend lösen, so Bénassy-Quéré. Die Krise sei unter anderem ausgelöst worden durch mangelnde fiskalische Disziplin in einigen Euro-Ländern, hohe Kapitalzuflüsse in Sektoren mit nicht handelbaren Gütern, übertriebene Kreditvergabe und die „Too big to fail"-Problematik im Bankensektor sowie eine nominale Divergenz der Mitgliedsländer.

Laut Bénassy-Quéré habe sich die politische Zusammenarbeit im Euroraum zu sehr auf die finanzpolitische Tragfähigkeit konzentriert, während nominale Abweichungen, wie Preis- oder Lohnunterschiede, zu wenig Beachtung gefunden hätten. Beispielsweise seien vor der Krise die nominalen Lohnstückkosten in Ländern wie Spanien, Irland, Griechenland und Italien angestiegen, was die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder gegenüber Frankreich, Österreich oder Deutschland geschwächt habe. Außerdem hätten nicht alle Länder, die von der Krise sehr stark betroffen waren, im Jahr 2007 ein hohes Haushaltsdefizit gehabt, aber alle Krisenländer hätten zu dieser Zeit hohe externe Leistungsbilanzdefizite gemeldet. Daraus schlussfolgert Bénassy-Quéré, dass die aktuellen Leistungsbilanzdefizite als ein guter Indikator für die Entstehung von Ungleichgewichten in der Eurozone dienen können. Sie forderte, makroökonomische Ungleichgewichte durch eine bessere politische Zusammenarbeit zu korrigieren, insbesondere durch eine gemeinsame Wettbewerbspolitik oder Nachfragesteuerung.

Bénassy-Quéré ging zudem auf das „Europäische Semester“ ein. Dieses war 2010 eingeführt worden, nachdem die EU erkannt hatte, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) als Basis für die politische Zusammenarbeit nicht ausreicht. Das Semester dauert von November bis Juli und dient einer besseren makroökonomischen Überwachung in der Eurozone. Am Ende jedes Semesters gibt die Europäische Kommission Empfehlungen an die Euro-Länder auf Grundlage des Jahreswachstumsberichts, die in die Haushaltsbeschlüsse der Länder einfließen sollen.

Bénassy-Quéré nannte drei Hauptprobleme bei der Konstruktion des Europäischen Semesters. Erstens sei die Überwachung auf Ebene der Eurozone und auf Ebene der Länder zu wenig integriert; zweitens sei die Trennlinie zwischen kurz- und mittelfristiger Überwachung (SWP, Makroökonomisches Ungleichgewichtsverfahren) und einer langfristigen Aufsicht (EU2020 Wachstumsstrategie) unscharf und drittens mangele es an Eigenverantwortung auf Länderebene bei der Umsetzung länderspezifischer Empfehlungen. Um diese Probleme zu überwinden, schlägt Bénassy-Quéré vor, das Europäische Semester zu restrukturieren, indem die Überwachung der Eurozone und der Mitgliedsländer in verschiedene Schritte unterteilt wird und gezieltere Instrumente verwendet werden für eine fiskalpolitische Zusammenarbeit, eine bessere Wettbewerbspolitik sowie die makroökonomische Aufsicht.